Mittwoch, 20. April 2022

Sünder und Verräter - die Buhlerin und Judas

 "O Unseligkeit des Judas! Er sah, wie die Buhlerin die Füße küsste, und ersann hinterlistig den Kuss des Verrats. Sie löste die Haare, er aber war gebunden durch Zorn und trug statt des Myrons die übelriechende Bosheit; denn der Hass wusste nicht, das Zuträgliche zu schätzen. O Unseligkeit des Judas! Von ihr erlöse, o Gott, unsere Seelen." (4. Stichire zu den Lobpsalmen im Morgengottesdienst des Großen Mittwochs im 1. Ton)

Die Geschicke der Welt bilden in diesen heiligen Tagen vollumfänglich ab, was sich viele Male ereignet hat seit jenen Tagen in Judäa, als der Erlöser freiwillig Leid, Kreuz und Tod auf sich nahm: Immer wieder verraten und kreuzigen wir den Erlöser, weil wir immer wieder auf die Bosheit des Bösen hereinfallen. Es kommt in die Welt unter der Maske der Intelligenz und des Richtigen. Beides stinkt zum Himmel, doch wir sehen oft nur die äußere Hülle, die das übelriechende Verderben (oft nur mit Mühe!) zu kaschieren weiß. Seit Wochen wütet der Hass auch innerhalb der Kirchen. Ganze Gemeinden werden verwirrt und straucheln, lehnen sich auf gegen ihresgleichen, während der Böse frohlockt. Nicht fehlbare Menschen sollten das Ziel unserer Kämpfe sein, sondern die Barbarei des Bösen. Der Hass verliert den Boden unter den Füßen und verstrickt sich in Widersprüche, vor denen wir eindringlich gewarnt sind: "Steht fest im Guten!"

Erschüttert liest man vom vehementen Widerspruch des griechisch-katholischen Großerzbischofs von Kiew: "Zuerst müssen wir aufhören uns zu töten, dann können wir über nächste Schritte sprechen." Übers. nicht verifiziert, Quelle zdf heute) Solche Aussagen könnten durchaus wie eine komplette Verdrehung der christlichen Botschaft erscheinen, die in diesen heiligen Tagen mit großem Nachdruck verkündet wird: Allem Leiden, aller Ungerechtigkeit, aller verdorbenen Verlogenheit setzt Christus und mit ihm der Christ immer direkt und zuerst die Vergebung entgegen, nicht ein verhandelbares "aber nur, wenn ...". 

Immer wieder drängt sich bei den Worten des kath. Repräsentanten der Unierten in der Ukraine der Gedanke auf: Und wenn Russland, und wenn Putin, und wenn unser Patriarch doch irgendwie richtiger gehandelt haben, als es uns in diesem bewußt herbeigeführten Gewirr scheinen wollte? Wenn der Mensch in der Ukraine noch weniger zählt, als es einem sowieso schon scheinen mag, da wirtschaftliche Interessen nur allzu offenkundig alle Grausamkeiten der Welt zu rechtfertigen scheinen, und das nicht erst seit Februar?

Es ist der verdrehte Schein, der schon Judas zum schlechten Spiegelbild der Sünderin machte. Im Falle von Jesu Verrat wurde das Myron zur Parfüm der vergebenen Sünden, der Hass des Judas, aus Neid und scheinbarer Ohnmacht geboren, zur stinkenden Offenbarung verratener Liebe. Sie hätte hingegen auch dann noch alles erwarten dürfen, und gerade erst recht die Vergebung. Aus verratener und verlogener Liebe wäre die gereinigte Liebe im Licht der Auferstehung geworden, die uns Menschen immer angeboten ist.  

Montag, 11. April 2022

6. Fastenwoche - "Der Reiche und Lazarus"

 

Lazarus - Echternacher Handschrift (wikipedia)

 

Die letzte Woche der Großen Fasten ist da. Es ist eine weitere Woche des jahrelangen Krieges, unbeachtet seitens der westlichen Medien bis in den Februar 2022. Es ist eine weitere Woche hasserfüllter Publikationen und erschütternder Lügen, die hüben und drüben von den Medien aufgetischt werden. Es ist eine weitere Woche der Verunsicherung und der Verzweiflung. Und das ist zweifellos gewollt. Die Menschen in der Ukraine und der ukrainische Staat scheinen den Großmächten völlig egal zu sein, könnte man denken. Tote, Verletzte, Vertriebene - all das scheint nicht zu zählen vor den Großen der Welt, die wirtschaftlich vom Krieg profitieren und profitieren werden. Die Kirche leidet in höchstem Maße unter dieser Verunsicherung. "Kyrill muss weg!" heißt es da durchaus, nachdem es auch ein "Putin der Völkermörder!" gegeben hat. Für die Christen und die Gläubigen ist es beruhigend zu wissen: Wenn Patriarch Kyrill "weg ist", wird keiner kommen, der makelloser oder besser ist! Gott sei es gedankt: die orhtodoxe Kirche ist und bleibt eine Kirche der sündigen Menschen! Es stimmt natürlich: Die Sünde terrorisiert die Menschen mit Angst und Schrecken. Sie führt ihn in die Abgründe des Todes, in die Hände der Feinde des Menschengeschlechts. Aber die Sünde kann den Leib Christi, die Kirche, nicht vernichten, da er Urheber des Bösen nicht in dem Maße Macht besitzt, wie es momentan scheinbar der Fall ist. Die jetzt sichtbare Gestalt der "Macht" ist so vergänglich, wie es die einst sichtbare Pracht der Herrscher war, die "heute glänzt und morgen in Schutt und Asche sinkt". Die Mysterien der Kirche werden nicht durch einen Krieg auf einmal automatisch verfügbar gemacht: Die Kirche bleibt auch in Kriegszeiten verwurzelt in ihrer Zeitlosigkeit der Verbindung von Zeitlichkeit und Ewigkeit. die in jeder Liturgie Gegenwart wird.

Es ist die Zeit des "Reichen und des Lazarus"! Welcher Wirklichkeit stelle ich mich heute, habe ich mich in den vergangenen Wochen gestellt? Ist es die Wirklichkeit der von Gott geschaffenenen Menschen, die Fehler machen dürfen? Ist es die Wirklichkeit der unterschiedlichen Verantwortlichkeiten, die am Computerbildschirm und in den Zeitungen leichtfertig als "verwerfliche Parteinahme", als "wiedererstandene KGB-Schachzüge" und als "Verantwortungslosigkeit der russisch-orthodoxen Kirche" dargestellt werden? Die Wirklichkeit des "Reichen und des Lazarus" ist anderweitig ausgerichtet: Sie hat die ewigen Wahrheiten im Blick, die Bestand haben und auch im Hier und Heute wichtig und unerlässlich sind. Eine solche Wahrheit ist zweifellos: Jeder Mensch ist Ikone und Geschöpf Gottes. Kein Handeln und kein Tun rechtfertigen seine Erniedrigung und seinen gewaltsamen Tod. Aber was ist dann der Krieg, zu dem so viele schweigen, denen wir doch ein klares Wort abverlangen? Der Krieg ist ein Anfang und ein Endpunkt des Teufelskreises, den man auch die "Verstrickung in die Sünde" nennen kann. Der Krieg ist gewollt, ganz sicher von den Westmächten, die zu oft schon bewiesen haben, welchen Stellenwert der Mensch in ihrem Weltbild einnimmt. (Ohne verallgemeinend werden zu wollen.) "Lazarus" ruht im Schoß Abrahams, "der Reiche" muss leiden: Ist das eine biblische Ghettoisierung, eine Aburteilung à la Schwarz-weiß-Malerei? Es ist vielleicht ein Aufruf: Stellt Euch der Wirklichkeit hier und jetzt! Lasst Euch nicht blenden von dem, was glänzt und großspurig daherkommt. Bleibt menschlich oder werdet wieder menschlich, das heißt: Verzeiht, vergebt, seid nicht auf einen Auge blind!

Montag, 28. Februar 2022

... wenn wir bei Gott ausharren...

Die Überschrift ist der Schluss eines tröstenden Wortes eines russischen Priesters an eine aufgelöste Gläubige nach der Liturgie, am gestrigen Sonntag des Gerichts, nördlich von Moskau. "Alles wird gut vorbeigehen, wenn wir bei Gott ausharren." Schon zum dritten Mal habe ich mir heute diesen Satz aufgerufen. Es ist schwer zu glauben, dass "alles gut vorbeigeht", wenn man die Nachtichten liest und die Verhärtungen selbst unter orthodoxen Christen mitbekommt. Im Westen wird ganz offen von Orthodoxen gesagt, dass die Gläubigen des "Moskauer Patriarchats" nun aufgeschmissen sind: Ihr Patriarch als Marionette Putins, ohen Willen und Stimme - da sei keine Berechtigung mehr gegeben, dem "Apparat" weiterhin zanzugehören. - Eine beschämende Logik! Wir im Westen sind weit mehr Marionetten des politischen Systems, als es die russische Kirche in den letzten 70 Jahren gewesen sein konnte. Im Westen sind wir gut installiert, Kirche und Kaiser sind hier traditionell eins, sie sind nicht nur aufeinander angewiesen, wie es die orthodoxe Tradition kennt. Eine beschämende Logik also, vor allem vor dem Hintergrund des Blutvergießens: Nach acht Jahren der kriegerischen Auseinandersetzungen im Donbass-Gebiet ist jetzt das russische Militär massiv offensiv geworden. Die Opfer der letzten acht Jahre zählen scheinbar so wenig, dass erst jetzt das Ausmaß der ukrainischen Katastrophe bemerkt zu werden scheint. Eine Katastrophe menschlichen Versagens - eine Last für das Gewissen all jener, die sich als im Westen lebend und als Bürger und Menschen des Westens verantwortlich fühlen für diesen Krieg! Es ist eine schwere Last, die sich bemerkbar macht: Es ist wieder wie bei Kain und Abel, um mit den Worten des Kiewer Metropoliten Onufrij zu sprechen. Und es ist schlimmer noch! Gott sei Dank, ich habe das Wort des Vaters Andrei oben schon übersetzt; ein viertes Mal brauche ich es heute nicht nachzuschlagen: "Es wird alles gut vorbeigehen, wenn wir nur bei Gott ausharren!" Möge Gott uns die Kraft schenken zur Verzeihung und zur Vergebung.

Freitag, 25. Februar 2022

Die Ukraine - ein geschundenes Land

Aufrufe über Aufrufe: Frieden für die Ukraine... So berechtigt diese Aufrufe sind: Wehe der Ukraine, wenn alles wieder so werden soll, wie es war! Die heutige Ukraine hat als Identifikation nicht etwa den Blick auf ein gemeinsames Volk, auch nicht auf eine gemeinsame Religion. Die Ukraine mit ihren politischen und teilweise auch kirchlichen Vertretern bauen auf die Macht und die Kraft des Hasses gegen Russland, gegen alles, was russisch ist und klingt. Gnade uns Gott, wenn das die Fundamente des ukrainischen Staats sein sollen, ja womöglich wieder werden sollen, wenn Russland beseitigt ist. Welche Perspektive für ein Land, dessen Territorium seit Jahrhunderten ein Spielball der polotischen Mächte war. Gott möge den Menschen in der Ukraine beistehen, wenn sich durchsetzen kann, was selbst kirchliche Vertreter wie Epifanij Dumenko sich wünschen: Friede durch Vernichtung und Hass! Es ist höchst fragwürdig, was in der Presse, auch in der kirchlichen, auch in der politisch gemäßigten, als Motivation Russlands und der russischen Kirche vermutet wird. Patriarch Kyrill wird "Selbstschutz" vorgehalten, wenn er sich als "willenloser Untergebener des Kreml" nicht für eine Ukraine einsetzen möchte, die sich weiterhin durch Unterdrückung und Hass definiert auf Kosten der vielen Menschen, die es verdient haben, in Frieden und Freiheit zu leben. Frieden und Freiheit gab es in all den Jahren nicht, da die Regierung der Ukraine als Marionette der westlichen Mächte alles tun durfte - nur eines nicht: dem vermeintlichen Gegner Russland die Hand reichen, zur Überwindung der geschichtlich gewachsenen, aber durch abgrundtiefen Widerwillen gegen alles Russische angefeuerten Ressentiments arbeiten, das freie, auch anti-westliche Wort gestatten! Die Ukraine hätte alles gewonnen, wenn man dort an den Schalthebeln der Macht, die doch nur von den wirklichen Machthabern außerhalb des Landes umgelegt werden, zumindest den Menschen des Volkes hätte dienen wollen, nicht dem, was als erstrebenswert und paradiesisch angepriesen wird, wo es doch in Wirklichkeit nur vergammelte, verrostete Schätze sind, mit denen keiner mehr etwas anzufangen weiß. Man hört die Aufrufe zum Frieden in der Ukraine! - Lassen wir auch Taten folgen, auf dass nicht der Hass, sondern die Liebe zur Grundlage des Friedens wird.

Donnerstag, 24. Februar 2022

Ukraine, Russland und andere

Bildquelle: kremlin.ru via wikipedia. - Was heute auf dem Bildschirm erscheint, wenn man zum Posteingang gehen möchte, unterscheidet sich nur geringfügig von dem, was monatelang dort zu sehen war: ein roter Streifen, auf dem die neuesten Meldungen zu lesen sind. Irgendwie will es scheinen, dass nicht die Menschen hinter den Nachrichten interessieren sollen. Es hat den Anschein, dass es um Beeinflussung geht, um die Lenkung des Volksgewissens. Dass die Presse heute durchaus dämlich hantiert, ist nicht von der Hand zu weisen. Wer die Schlagzeilen zu Bundeskanzler Scholz - "Das ist Putins Krieg!" - liest, denkt doch unweigerlich an die vielen Karikaturen, die mit ähnlichen Parolen gerade den Beschuldiger sehr alt aussehen lassen. Recht dämlich sind auch die Bilder, die verzerrte Gesichter der Politiker zeigen, um die Entschlossenheit sichtbar zu machen, die hinter den Anklagen stehen: Wir lassen nicht zu, dass Unrecht geschieht. Unrecht darf und durfte freilich sehr oft geschehen, wenn es in die machtpolitische und finanzpolitische Agenda passte. Unrecht darf auch jetzt noch geschehen, wenn es durch potente Magnaten gedeckt ist, die immer nur das Beste für die Menschen wollen, was jeder weiß. Die Menschen, die für die scheinbar Großen der Welt, im Westen wie im Osten, nicht interessant sein werden, da sie unbekannt bleiben werden, sehen in den Großen zu recht oft nur die ihnen Entfremdeten - und gerade daruch ja wirkliche "Möchtegerne", denen die Etwas-weniger-Großen zu Füßen liegen. Und zwar in der Verkennung der allzu schnelle Vergänglichkeit menschlicher Größe. Ja, die Schlagzeilen zu den Geschehnissen in der Ukraine, in Russland sind nicht sehr intelligent gewählt. Sie wirken wie umformulierte Kopien anderer Schlagzeilen, die sich - 10, 30, 80 Jahre alt - auch nicht für den Menschen interessierten, der litt und starb, sondern die mitreißen wollten: homo homini lupus. Doch so ist es nicht, denn wer dem anderen Menschen ein Wolf ist, ist kein Mensch mehr. Zwar will mir die Werbung, der "Mainstream", alles Moderne klarmachen, dass sich das Universum nur um mich dreht, aber dass das ebenso dämlich ist, wie die schlecht gewählten Schlagzeilen, könnte jedem schnell einleuchten. Der Mensch verliert, wenn das Du abhanden kommt. Das verräterische Photo mit dem verzerrten Biden-Gesicht als Siegespose gegen Putin ohne das Du des Gegenüber - es würde im Nichts verschwinden, denn einzig der Photographierte würde die Folgen seines Tuns zu tragen haben; das allerdings, ob er will oder nicht, immer in Beziehung zu den anderen Menschen. Wer in den Krieg zieht, führt ihn niemals nur gegen seinen Feind; es ist immer auch ein Krieg gegen sich selbst. Der "Teufel", gegen den wir im Gebet anzutreten haben, hat keinen bekannten (oder unbekannten) Namen: Er heißt "Hass" und "Unversöhnlichkeit" und "Egoismus", er lebt von jeder Tat, die nicht verziehen wird, und von der Vergangenheit, die unvergeben der Vergessenheit anheimgegeben wurde. Das sind die Dämonen, vor denen wir stehen sollten im Gebet und Fasten. Dann werden sie weichen.

Mittwoch, 16. Februar 2022

Die Causa ROCOR - Rue Daru

Gott sei Dank! Die Versöhnung der zwei "Geschwister" konnte durch eine Einigung, durch persönlichen Kontakt und durch die Berufung auf die pastorale Notlage herbeigeführt werden. "ROCOR", also die russische Auslandskirche, ist ein historischer Teil des jetzigen "Archevêché des églises orthodoxes de tradition russe en Europe occidentale": Beide Institutionen haben seit ihrer Gründung als eine einzige Entität im Jahr 1920 unterschiedliche Richtungen eingeschlagen. Die ROCOR wurde schon bald, mindestens ab Mitte der 1920er Jahre, die oberste Institution für die russisch-orthodoxen Gemeinden außerhalb der russischen Grenzen. Relativ bald erfolgte der Bruch mit dem Moskauer Patriarchat aufgrund der politischen und dadurch auch kirchlichen Situation (bis 2007). Die Institution "Archevêché" (Rue Daru, Paris) verselbständigte sich ab Mitte der 1920er Jahre ebenfalls. Sie wurde geleitet vom Metropoliten Eulogius, dem 1921 die gesamten russischen Auslandsgemeinden unterstellt worden waren, auch jene der späteren ROCOR, der aber seine Rechte nicht durchsetzen wollte und sich daher auf die damals mit "Westeuropa" umschriebenen Gebiete (Teile des heutigen Ost-, sowie Mittel-, Nord- und Südeuropa) beschränkte. Seine Jurisdiktion unterstellte sich, ebenfalls aus politischen Gründen, ab 1930/31 dem ökumenischen Patriarchat (bis 2019). Der Streit zwischen den Diözesen von Großbritannien und "Rue Daru" entbrannte aufgrund von Rechtsfragen. Die unterschiedliche Handhabung der Kirchendisziplin führte mindestens ab Anfang 2021 zu Spannungen innerhalb des ROCOR-Bistums, die nicht zu lösen waren. Diese Situation sollte durch eine pastorale Hilfskonstruktion abgemildert, wenn nicht gelöst werden: Das scheiterte nicht nur aufgrund von Verständigungsproblemen; es belastete auch andere Institutionen außerhalb Großbritanniens. Dass beide, ROCOR und Rue Daru, sich nun versöhnen konnten, ist ein sicher notwendiger und - ebenso sicher - auch segensreicher Schritt. Nicht die eigenen Rechte, die "Orthodoxie" der kanonischen Wahrheit, auch nicht die bessere Rhetorik dürfen allerdings ausschlaggebend sein, wenn es um die Sendung der Kirche geht: Jeder der Beteiligten, den jetzt das einigende Band der communio wieder verbindet, darf mit Blick auf das Evangelium und auf den Auftrag der Kirche dankbar sein über das Geschenk der Versöhnung. Sind alle Beteiligten nun wirklich ins Boot geholt worden? Die Verlautbarung der ROCOR ist klar: Nein, es gibt Menschen, denen die Versöhnung der beiden Institutionen nicht zu einer Lösung ihrer Gewissensprobleme hat verhelfen können. Mit Blick auf das Kirche-Sein heißt das: Diese Menschen tragen weiterhin schwer an dem, was Auslöser und Grund der Entzweiung war. Sie tragen diese Last womöglich für all diejenigen, die jetzt wieder in communio stehen. Aus der Position des Unbeteiligten heraus gesprochen - falls es das in der Gemeinschaft der Kirche überhaupt geben darf! - kann das nur bedeuten: Die Kirche ist aufgefordert, sich bewusst zu machen, dass sie verantwortlich ist für die Menschen, die jetzt noch unter das Joch des Zwistes gebeugt sind. Der Sonntag des Zöllners und Pharisäers hat uns das deutlich machen wollen: Der Zöllner hat durch seine Worte "Gott, sei mir Sünder gnädig!" nicht eine rhetorische Demutsfloskel gebraucht, die ihn besser macht als den Pharisäer. Der Zöllner ist ein Sünder, vielleicht ein Betrüger, ein Helfershelfer der Okkupation und der Kolonialherrschaft. Sein Gebet bezieht sich auf wirkliche Schuld und Sünde! Aber er sieht, was falsch ist, was verdreht und "gottlos" ist an dem, was ihm als Ideologie vielleicht Halt und Kraft gegeben hatte. Der Pharisäer ist vor dem Gesetz zumindest in löblicher Weise gerechtfertigt. Er hält sich an das, was die Tradition und eine rigoristische Auslegung der canones vorschreiben. Aber ihm fehlt das Wesentliche: Er sieht nur sich und Gott, da ihm der Zöllner zwar auffällt, aber nur, um im besseren Licht dazustehen. Der Kirche ist ein solcher Blick verwehrt. Ohne alle anderen, die Geachteten oder Verachteten, die Geehrten oder auch Unehrenhaften, die Selbstsicheren oder Zweifelnden, die Machtbesessenen oder Unterdrückten, gibt es die Kirche nicht und gibt es keine Erlösung. Da trifft die "Causa ROCOR - Rue Daru" auf das Schisma in der Kirche: Es braucht die Versöhntheit und die communio und es braucht die mutige Entscheidung zur Versöhnung nach dem Vorbild des Zöllners, es braucht aber auch die Erkenntnis, was denn wirklich verdreht ist am Denken des Pharisäers. - Wie selbstverständlich, mit Betroffenheit gar, wünsche ich mich in die Rolle des Zöllners. Aber ich sehe nicht, dass die Haltung des Pharisäers in mir unbemerkt die Oberhand gewonnen hat, da sie pragmatisch ist, schlüssig und ... zutiefst unmenschlich.

Samstag, 12. Februar 2022

Das maskierte Schisma

Zuerst eine kleine, nicht vollständige Auflistung einiger Artikel zum Thema Schisma und Zerrüttung in den orthodoxen Patriarchaten (dem ökumenischen, von Moskau, von Alexandrien): - Facebook-Eintrag von Orthodoxie aktuell - Meldung auf Orthodox Christianity - Motivation des russ. Eindringens in das Territorium des Patr. von Alexandrien u. s. w., denn es gäbe noch zahlreiche Veröffentlichungen, die sich in den unterschiedlichen Sprachen zu diesem thema äußern; dazu kommen die Diskussionen zu diesen jeweiligen Beiträgen. Auffallend ist indes, dass es wie eine "Sprachverwirrung" vorkommen muss, wenn sich die Parteiungen gegenseitig des Unrechts und der Missachtung von Gesetzen und Kanones bezichtigen. Das Schisma zwischen den Patriarchaten ist nicht da, weil Moskau auf seiner Position beharrt, weil der Phanar unrechtmäßig Moskauer Rechte beschnitten hat oder weil Moskau auf fremdes kirchliches Territorium übergreift. Das Schisma existiert vor allem deshalb, weil die Kirche nicht auf Hass, nicht auf völkische Argumentationen, nicht auf Grenzverschiebung und politische Machtverhältnisse gründen kann, die heute so, morgen anders liegen werden. Das Schisma ist da, weil die sogenannte "Orthodoxe Kirche der Ukraine" ihre Existenz dem Hass und der Ablehnung alles "Russischen" verdankt. Dadurch war die Versöhnung der bis 2018 von der orthodoxen Kirche getrennten Menschen - praktisch aller Hierarchen, Kleriker etc. dieser Neuschöpfung des Phanar - einfach nicht möglich, da sie nicht gewollt war. Als Verwaltungsakt könnte sie - wer weiß das? - stattgefunden haben, doch das hat nichts mit dem zu tun, was Christus und was das Beispiel der Apostel der Kirche aufgetragen hat. Es ist eine abgrundtiefe Wunde: Wer unversöhnt und sogar verfälschend eine Kirchenstruktur errichten will, kann nur eine Nicht-Kirche hervorbringen, denn es fehlt das Wesentliche: die versöhnte Communio. Diese mangelnde Fundamentierung wird im Phanar seit hundert Jahren durch "Rechtsakte" übertüncht, die im Grunde völlig widersinnig erscheinen: Am Beispiel der Gebiete von Finnland, Estland, jetzt der Ukraine lässt sich eine fatale Haltlosigkeit politischer Machtspiele aufzeigen. In Finnland war die Communio jahrzehntelang zerstört, die Menschen blieben zerstritten, die Mysterien waren nicht Zeichen der Gemeinschaft, sondern Zeichen der Trennung. Erst als das Leid zu groß wurde, als die Versöhnung nicht mehr per Aktennotiz vergegaukelt werden konnte, sondern mit Leben erfüllt werden musste, konnte die orthodoxe Kirche in Finnland Wirklichkeit werden. Das Beispiel Estland ist ähnlich zu bewerten: Was ist das für eine "Kirche", die sich gründet auf das Anti-Russische, so verständlich es vielleicht erscheinen könnte nach den Ereignissen der Okkupation etc. Ohne Versöhnung fehlt die Communio, fehlt im Grunde der "rechte Glaube", die Orthodoxie. Es braucht vieles nicht in der Kirche: der Mensch bleibt Sünder, er bleibt fehlerbehaftet, subjektiv und engstirnig. Was es allerdings braucht in der Kirche ist der Wille, in der Gemeinschaft der Kirche zu leben. Diese Kirche umfasst zwingend alle, die die Mysterien empfangen und als Christen leben wollen. Deshalb gibt es keine "Versöhnung zu Sonderkonditionen", die nur die einschließt, die mir genehm sind oder die mir ersparen könnte, die Versöhnung persönlich anzubieten. Fehlt diese Versöhnung, wird die Kirche ausgeschlossen, obwohl das Dekor scheinbar stimmt. Deshalb die nachgeholte Weihe von Männern, die aus dem Schisma in die Kirche zurückkehren, deshalb aber auch die Praxis, die Weihen von römisch-katholischen Klerikern anzuerkennen (nach dem Brauch des Moskauer Patriarchats): Eine Unversöhntheit (im oben dargelegten Sinne) ist bei diesen röm.-kath. Weihevorgängen nicht anzunehmen und die Aufnahme in die orthodoxe Kirche stellt eben keinen Verwaltungsakt dar, sondern eine tiefgehende, von Gott charismatisch bewirkte Heilung. Unverständlicherweise tritt das Schisma zwischen dem Phanar, Moskau, Alexandrien, Jerusalem und Antiochien völlig in den Hintergrund, während die Folgen der schismatischen Situation in aller Munde sind. Lösungen lassen sich so freilich nicht finden. Denn die Problematik wir augenscheinlich, z. B. in den verlinkten Artikeln, überhaupt nicht benannt. Wer aneinander vorbeiredet, kann sich nicht wirklich verstehen.

Montag, 31. Januar 2022

Journalismus als Ideologiefalle?

Seit Tagen schon, wenn nicht gar seit Wochen, erscheinen reißerische Titel auf dem Bildschirm, sobald man zum Posteingang möchte. Es ist ermüdend, sie alle zu zitieren oder auch nur zu paraphrasieren... Erstaunlich ist ebenfalls die Bandbreite der Themen, die dergestalt abgearbeitet wird: Ratzinger, Mißbrauch, Putin, Diktaturen, Ukraine, Outing, Kriegsgefahr, Gas, Erdöl, USA, etc. Das alles wird in den Schlagzeilen zu etwas, was sich mit dem interessanten Begriff "Empörungsjournalismus" umschreiben ließe. Eben erst erschien auf dem Bildschirm der Titel: "Die SPD muss mit Gerhard Schröder brechen" (von Jan Rübel). Muss sie das wirklich? Wer befiehlt ihr das? Was hat die SPD davon - und was G. Schröder, was die Parteienlandschaft und was das eigene Gewissen? Politische Bildung ist sicher wichtig und heute mehr als notwendig, aber eine intensive Beschäftigung mit dem Hin und Her der politischen Meinung und dem, was hier und dort als neueste wissenschaftlich gestützte Wahrheit verkauft wird, das sei dem überlassen, der sich einer ziemlich lächerlich gewordenen Strategie von Opportunismus und schlecht versteckter Ironie im Politischen unterwerfen möchte. In Deitschland können wir froh sein über die neuen Anfänge nach dem 2. Weltkrieg, über das, was aufrichtige Menschen nach einer zermürbenden Zeitspanne von 12 Jahren unter und mit dem Nationalsozialismus aufbauen konnten. Vielleicht ist das ja auch der Grund, warum viele Menschen in Deutschland gerne klare Fakten herbeisehnen. Diese Fakten allerdings sind allzu oft nur eine schöne Kulisse: Es fehlt bis heute die grundlegende Aufarbeitung der Geschichte - um es mal allgemein zu formulieren. Leider reicht es ja nicht, sich artig an die Brust zu klopfen und die Fehler Deutschlands einzugestehen. Ich persönlich denke oft: Wahrscheinlich hätte ich nichts besser gemacht, als meine Verwandten und Kompatrioten. Ich hätte wohl ebenfalls zugestimmt, als der rechtmäßigen Staatsführung ihr Recht zugestanden wurde. Ich hätte wohl nur mit Mühe, wenn überhaupt, die sich leerenden Wohnungen und Geschäfte bestimmter Volksgruppen wahrgenommen - ob ich dann die Intelligenz besessen hätte, die richtigen Schlüsse zu ziehen? Ratzinger, Putin, und ich weiß nicht wem noch: Ihnen allen wird schlimmstes Versagen und despotisches, uneinsichtiges Verhalten vorgeworfen. Im Falle Ratzinger mehren sich plötzlich andere Stimmen, die auf einmal schwarz auf weiß vorzeigen, dass eine gegenteilige Aussage zu der bis vor kurzem vorliegenden und schon wiederrufenen ja vor fast zwei Jahren für jeden nachlesbar in einer Biographie erwähnt wird. Der "Empörungsjournalismus" zählt auf die sündelosen Leser und die ganz reinen Intelligenten, die vor der Unvollkommenheit des Anderen voller Ekel aufschreien, während die eigene Begrenztheit und vielleicht auch Sündhaftigkeit mit großer Geste zugedeckt wird. Es hat immer etwas Erschütterndes, wenn die eigene Meinung und Überzeugung, und sei sie auch wohlbegründet, als einzig vernünftige und sinnvolle und rechtmäßige Optionen (Was sage ich: Optionen?) hingestellt werden. Natürlich kann auch da etwas Wahres zu finden sein, aber sicher nicht die Wahrheit und der einzige Sinn! Ich würde gerne den reißerischen Titel des vollendeten Journalismus einer großen deutschen Zeitung lesen, der jetzt, nach doch recht vielen Jahren, anstelle des "Wir sind Papst!!!" sich bereit zeigt zu schreiben: "Wir sind Lügner!!!" Und doch wäre es kein Trost.

Dienstag, 25. Januar 2022

Aktuell und ergänzend zur Einschätzung des Ukraine-Konflikts - die "nouvelle théologie"

Es ist und bleibt verstörend und verletzend für die Christen, dass aus der christlichen, kirchlichen Gemeinschaft Beauftragte - Kleriker also, die ausgesondert wurden, folglich auch nicht durch Anspruch und Willen diesen Dienst übertragen bekamen - durch Unversöhnlichkeit und mangelnde Kommunikationsbereitschaft alle anderen mit sich in den Strudel der Entzweiung reißen. Denn, wie kürzlich dargelegt: Es geht nicht mehr um Kirchenpolitik, auch nicht um Geopolitik, auch nicht um Rache. Es geht jetzt um die Kirchlichkeit. Ein bescheiden daherkommender Begriff von enormer Tragweite. Wie es scheint, läuft alles hinaus auf eine Verdeutlichung der Positionen. Wo kann die orthodoxe Kirche nicht nur "kanonisch", sondern auch in ihren Mysterien und in ihrem Charisma weiterleben und weiter ihrer Sendung treu bleiben. In einem englischsprachigen Artikel wird dieses Problem von einem Bischof der griechischen Kirche aufgeworfen. Als Verteidiger der russischen Position im Ukraine-Konflikt sieht er in der Einrichtung eines Exarchats in Afrika durch die russische Kirche einen schweren Fehler, einenen Gesichtsverlust der russischen Kirchenpolitik, die er bislang ja unterstützt hatte. Genau hier zeigt sich die beklemmende Verzerrung der Positionen, je nach Penchant und Kulturkreis, so will es bald scheinen. Metropolit Seraphim, um dessen Position es hier geht, hat canones, Rechte, Bestimmungen und ein "Protokoll" innerkirchlicher Beziehungen vor Augen. Er sieht den Konflikt zwischen dem Phanar, Moskau und Alexandrien als misslungene geopolitische Aktion dreier sich mittlerweile nicht mehr verstehender Bürokratien. Dabei ist man geneigt, die Position der russischen Kirche ganz anders einzuordnen: Ist es wirklich zu weit hergeholt, die Gnadengaben des Heiligen Geistes an die menschliche Einwilligung zu binden, für diese Gnadengaben auch empfänglich zu sein? Ist es unverständlich, wenn das Evangelium eindeutige, strenge und unmissverständliche Worte findet, wie die Beziehung zwischen Gott und Mensch gelingen kann? Ist es weiters missverständlich formuliert, wenn die Mysterien der Kirche nicht auf Hochrechnung bestimmter vorhandener oder nicht vorhandener Komponenten funktionieren, sondern aufgrund der gesamten und intakten divino-humanen Realitäten des Kirche-Seins? Erzbischof Anastasius von Albanien hat unmissverständlich betont, dass genau diese Realität zerbrochen ist, wenn die Versöhnung fehlt. Er kann sich dabei stützen auf die Worte des Evangeliums, die jedes Opfer nichtig nennen, das unversöhnt dargebracht werden soll. Versöhnt heißt hier nicht: Unterscrhreibe eine offizielle Aktennotiz der Versöhnung und die Rechnung stimmt wieder. Versöhnt heißt hier konkret: Räume zuerst die Unversöhntheit aus der Welt, und zwar vor Gott und der Kirche, vor allen Beteiligten ("... versöhne dich zuerst mit deinem Bruder ...", Matth 5,23f.) Es reicht bei weitem nicht, symbolisch im Tempel den Zerknirschten zu mimen - bei fortdauerndem Hass, Unversöhntheit und Gewalt ist die Maske der Versöhnung eine Täuschung. Dass man zwei kirchliche Strukturen in Afrika hat, ist ein Akt der Verzweiflung, nicht der Geopolitik, erst recht nicht der Kirchenpolitik. Alle sind von nun an betroffen, denn alle haben sich zu sorgen um die Kirche, die nicht auf Gesetze und Protokolle gegründet ist, sondern auf Jesus Christus, der nicht Grieche, nicht Russe, nicht Serbe oder Rumäne oder Römer war. Dass der Herr der Kirche nicht nur war, sondern auch ist und sein wird, macht jede Kirchen- oder Geopolitik so erbärmlich für die Gewinner und für die Verlierer, ob sie es merken oder nicht. Für uns ist es ein Trost: Die Erbärmlichkeit wird keinen Bestand haben, wenn wir festhalten am Evangelium.

Vom Wert der Unergründlichkeit

Scheinbar hilft es enorm, Gedanken eine feste Form zu geben. Ob Journalisten das ebenfalls so wahrnehmen, sei dahingestellt. Was dem Menschen oftmals zugemutet wird an Veröffentlichungen, übersteigt hingegen das Maß des Erträglichen. Auf jeder neuen Seite im Internet lassen sich die Anklagen und Weh-Rufe verfolgen, die geschickt und höchst manipulativ mit Wörtern jonglieren und sich die Angst und die Unsicherheit der Menschen zunutze machen. Bei genauerer Analyse entpuppt sich das Allermeiste als wenig fundierter Abklatsch einer Modemeinung, die heute so, morgen anders hofiert wird. In einem interessanten Aufsatz zur Rezeption der Liturgiehistorie (Alain Rauwel, Les espaces de la liturgie au Moyen Âge latin) beleuchtet der Verfasser den Umgang der Geschichtswissenschaft mit liturgiehistorischen Quellen und denkt laut nach über die Rezeption dieser Quellen in wissenschaftlichen Kreisen heute: Ohne wirklich zu tragfähigen Definitionen der Begrifflichkeiten gelangt zu sein, wirft man eifrig mit eben diesen Begrifflichkeiten um sich. Eine der fatalsten Folgen ist die völlige Verzerrung der Quelle durch unsachgemäße Übertragung des Originaltextes bei seiner Exegese. Beispiele gibt es zu Genüge. Daher sei an dieser Stelle auf zwei der bedenklichsten Fehlgriffe hingewiesen - wohlwissend, dass sicher keiner der "Exegeten" vorsätzlich falsch interpretieren will, zumal es sich sehr oft um wirklich verdienstvolle und hochgebildete Wissenschaftler handelt! Bei der ersten Missdeutung geht es um die Übertragung eines fremdsprachlichen Begriffs - vor dem hier behandelten Hintergrund ist es meist eine Übersetzung aus dem Lateinischen: Tatsächlich trifft dann auch voll und ganz zu, was Rauwel beklagt, dass nämlich das lateinische Wort für sich genommen richtig übersetzt wurde, dass die Übersetzung im Kontext allerdings völlig falsch gewählt wurde. Nicht nur das: Jeder Lateinschüler kann im Wörterbuch nachschlagen, dass z.B. der Ausdruck "venia" bedeuten kann: Gefälligkeit, Gunst, Gnade, Nachsicht, Erlaubnis, Verzeihung, Vergebung, Straflosigkeit... Leider kann ein solches Wörterbuch allgemeiner Art nicht Bildung im guten Sinne ersetzen; um "venia" halbwegs gut übertragen zu können, muss der Leser den Begriff einzuordnen verstehen in seinen konkreten Kontext. Er muss sich ein Verständnis von dem gebildet haben, was der Text weitergeben möchte. Ein solches Verständnis kann heute unser Vermögen übersteigen! Das angemessene Verständnis des Wortes "venia" (auf konkrete Passagen bezogen) ergibt sich aus einer Zusammenschau der persönlichen Haltung, der geistlichen Überzeugung und vor allem des konkreten Tuns eines Menschen, dem sich die "venia" anbietet als äußerer Ausdruck seiner Teilhabe am Leben der Kirche: Er vollzieht eine Venia. Wir gehen indes mit dem Handwerkszeug an diese Arbeit heran, das uns erreichbar ist, und das ist oftmals sehr hochwertig; aber es ist modern, will heißen: Wir versuchen, etwas auseinanderzunehmen, indem wir dort Verbindungen - notfalls mit Gewalt - mittels Schraubendreher und Schraubenschlüssel lösen wollen, wo es weder Schraubenkopf noch Mutter gibt. Alain Rauwel plädiert dafür, zuerst zu ergründen, wie unser Werkstück - der historische Text - zusammengefügt ist, um schließlich ans Ziel zu gelangen, ohne ein völlig zerstörtes und damit auch nutzlos gewordenes Artefakt präsentieren zu müssen. Es entspricht dann in Form und Gestalt dem, was wir kennen, hat aber nichts mehr mit dem zu tun, was es war und sein sollte. Eine zweite Missdeutung stellt sich unweigerlich ein, wenn nicht nur der Begriff falsch übersetzt wurde, sondern auch der Kontext verkannt wird. Wie ist der Text zu lesen, wenn er sich mir so erschließen soll, wie es beim historischen Adressaten der Fall war? Diese Fragestellung lässt die erschwerten Umstände einer adäquaten Interpretation eines historischen Textes deutlich werden. Wenn wir heute allerdings wirklich versuchen möchten, aus der Geschichte zu lernen, Gebildete zu sein, dann müssen wir uns auf den Weg machen und uns wenigstens in einer Antwort auf die gestellte Frage versuchen! Keinesfalls sollten wir dann so vorgehen, wie es aus sehr vielen Kanälen auf unsere Bildschirme schwappt: voreingenommen, geschichtsvergessen, opportunistisch, auf einem Auge (oder gar auf beiden) blind, unbelehrbar, hasserfüllt, unversöhnlich... Die gründliche und unvoreingenommene Erforschung der kirchengeschichtlichen Quellen, gerade auch der liturgiehistorisch relevanten, kann Antworten geben auf die meisten der heute diskutierten Fragen und Probleme, in der orthodoxen Kirche, aber auch in der römisch-katholischen, ja sogar im Protestantismus. Es scheint so, als hätte nur selten einer die Möglichkeit, so zu forschen. Was mancherorts zu lesen ist, trägt dann leider oft die allzu deutlichen Spuren fehlender Objektivität. Das ist verständlich, sogar verzeihlich, aber nicht wirklich hilfreich. Die Antwort, eigentlich so nah, zieht sich dann wieder zurück. Sie hat nichts gemein mit simplen Notlösungen, noch viel weniger hingegen mit Verdrehung, Mißbrauch und Opportunismus.

Montag, 24. Januar 2022

Kirchenpolitik und Ukrainekonflikt

Die Nachrichten sprechen von Krieg, die Politiker klagen an, und die orthodoxen Kirchen finden keine Worte und keine Lösungen in den schweren Verletzungen, die der Kirche zugefügt werden. Sonderbarerweise läuft es in Politik und Kirche nach dem gleichen Muster: Was opportun erscheint, wird durchgewunken, was nicht, wird sanktioniert. Immer wieder ist zu hören, dass es beim Ukraine-Konflikt zwischen Istanbul-Phanar und Moskau um kirchenpolitische Fragen gehe und dass hier von einer den Glauben betreffenden Angelegenheit nicht die Rede sein könne. Allerdings funktioniert diese Einordnung nur dann, wenn die Kirche eine Einrichtung unter anderen ist: als stünde sie etwa neben einer x-beliebigen Staatsform und folgte seinen Gesetzmäßigkeiten, als könne man sie vergleichen mit dem, was gemeinhin "Institution" genannt wird - und was doch etwas ganz anderes ist, als es die Kirche sein kann. Sie ist nämlich tatsächlich Institution, aber im Vollsinne des Wortes: sie ist eingesetzt, nicht von Menschen, nicht von Organen, nicht auf der Grundlage von Philosophien, sondern eingesetzt durch einen Auftrag Christi: das Evangelium zu leben und zu verkünden. Tatsächlich brauchte es nicht viel mehr, um die Kirche zu "instituieren"; das, was wesenhaft zur Kirche gehört, nämlich ihre apostolische Verwurzelung, ihr Leben in der Gegenwart des dreieinen Gottes mittels der liturgischen Vollzüge, die Weitergabe des apostolischen Erbes durch das Evangelium und die Traditionen, all das ist in der Kirche gegeben, seitdem Menschen den Fleisch und Mensch gewordenen Gott erkennen durften und bekennen. Diese Frage, was an der Kirche denn definierbar und konstruierbar sei, hat folglich zum Bruch zwischen der orthodoxen Kirche und der röm.-kath. Kirche geführt. Allein der Umstand, dass der vorstehende Satz in dieser Form wohl keineswegs akzeptiert würde von den Vertretern der röm.-kath. Kirche, zeigt auf, vor welchen Schwierigkeiten die Menschen stehen, die zur orthodoxen Kirche gehören. Denn es kann den Christen ja nicht darum gehen, sich künstlich zu spalten und zu trennen. Dass aber der Katholik die Frage anders stellt, hat mit einer Verschiebung der "Konstanten" zu tun, die in dieser Form auch im römischen Dunstkreis tatsächlich nicht ursprünglich ist. - Über viele Jahrhunderte galt der Grundsatz, dass als untrennbar zu gelten hat, was zur Institution Kirche gehört. - Alle Komponenten der Kirche bildeten in Ost und West zu jener Zeit ein Ganzes, wie auch die Kirche an ihrem jeweiligen Ort und unter ihrem jeweiligen Bischof ein Ganzes war, ohne dass alle diese örtlichen Kirchen aufgehört hätten, die eine Kirche zu bilden. Die Sakramente, die Organisation, die Sprache, die Disziplin - all das konnte sich in ihrer Form - nicht ihrem Inhalt nach - unterscheiden in Ost und West. Was sich nicht unterschied, war die Überzeugung, dass nichts von all dem separiert werden konnte ohne Angriff der Kirchlichkeit. Das ist wohl eines der Hauptprobleme, wenn es um die Kirche in der Ukraine geht. Es ist einfacher, die canones der entsprechenden Konzilien anzuführen, um bestimmte Maßnahmen zu legitimieren, wie es seitens des Phanar geschehen ist. Dass eine solche Argumentation für andere Kirchen nicht akzeptabel ist, kann nicht verwundern: Dem orthodoxen Kirchenverständnis fehlt die Möglichkeit, buchhalterisch hochzurechnen und dadurch das Mysterium der Kirche aufzurechnen. Fatal bleibt der politisch motivierte Hintergrund des kirchlichen Ukraine-Konflikts. Eine "Landeskirche" der Ukraine auf das Fundament einer den Hass und die Abneigung schürenden politischen Strömung zu gründen, entspricht zwar einer gewissen Opportunität, widerspricht allerdings dem grundlegenden Auftrag der Kirche. So ist es keineswegs verwunderlich, dass der Großteil der orthodoxe Kirchen der "nouvelle théologie" des Phanar und jener Kirchen, die ihn unterstützen, eine Absage erteilen müssen. Sonderbarerweise versagt an dieser Bruchstelle diese "nouvelle théologie": Dass es in der Kirche eine "Versöhnung" geben kann, die losgelöst ist von grundlegenden Komponenten dieser (kirchlichen) Versöhnung, darf verneint werden: Philaret Denisenko und alle mit ihm aus der Gemeinschaft der Kirche entlassenen Menschen können nicht durch einen Jurisdiktionsakt zweifelhafter Art Versöhnung finden; dadurch unterscheidet sich der Fall gundlegend von der Wiedereingliederung der russ. Auslandskirche ins Moskauer Patriarchat. Es bedarf einer Versöhnung in der Kirche, mit den Beteiligtenm, nicht eines Rechtsaktes, um wieder das Mysterium der Kirche abbilden zu können. Diese wesentlichen Aspekte außer Acht zu lassen, ist nicht mehr "Kirchenpolitik", ist auch nicht mehr "ein anderer Blickwinkel". Es geht bei diesen Aspekten um grundlegende theologische Wirklichkeiten, die weitreichende Folgen haben für alle Christen. - Eine ganz entscheidende Frage wird sein: Wo existiert und lebt die Kirche weiter mit all ihren Charismen und Sakramenten, mit ihrer Unversehrtheit, die sich nicht auf menschliche Sündlosigkeit und Sophismus stützt, sondern auf die Gnade des Heiligen Geistes, die wirksam werden kann, auch das bleibt wahr, durch die Vermittlung sündiger und unvollkommener Menschen der Kirche.

Mittwoch, 12. Januar 2022

Orthodoxie, Politik - und die "Deutsche Tagespost"

Die Meldungen zum angespannten Verhältnis des griech.-orth. Patriarchats in Alexandria und dem Moskauer Patriarchat infolge des Zerwürfnisses um die ukrainische Kirche mehren sich. Die "Deutsche Tagespost" hat einen kurzen Text aus der Feder von Stephan Baier veröffentlicht unter der Überschrit "Der Riss durch die Orthodoxie wird immer tiefer". Der Text an sich ist griffig formuliert und lässt wohl nur den orthodoxen Leser stutzig werden: Wie kann es sein, dass ein Satz, der erste des Textes, den Kontext dermaßen verkürzt, dass der wenig vertraute Leser gleichsam in eine Richtung denken muss, die dem Autor eigen ist? Der Satz liest sich folgendermaßen: "Der tiefe Riss, der seit dem russischen Boykott des Panorthodoxen Konzils auf Kreta 2016 durch die orthodoxe Welt geht, ist neuerlich tiefer und breiter geworden." Die russische Kirche hatte ihre Teilnahme nicht etwa im Alleingang ausgesetzt, sondern erst nach der Absage von einigen anderen orthodoxen Kirchen. Der übernächste Satz ist zumindest eingehend zu prüfen, was hier nicht geleistet werden kann; es scheint zumindest so, dass die historische Kirche von Alexandrien einen anderen Jurisdiktionsbereich beanspruchen wollte, als es der folgende Satz weismachen möchte. Zitat Tagespost: "Damit verletzt Moskau die Rechte des Patriarchats von Alexandria, das in der orthodoxen Welt seit jeher für ganz Afrika zuständig ist." Sonderbarerweise kann schon der nächste Satz wiederum in Erstaunen versetzen, Zitat: "Diese kirchenpolitische Offensive ist nicht nur mutmaßlich, sondern erklärtermaßen ein russischer Racheakt dafür, dass sich der Patriarch von Alexandria, Theodoros, im Streit um die Jurisdiktion über die Ukraine klar auf die Seite des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios, stellte." Den Verfasser dieser Zeilen würde sehr interessieren, wie der "russische Racheakt" als ein "erklärtermaßen" gesetzter dargestellt werden kann, wenn nicht aufgrund eines grundlegenden Missverstehens der orthodoxen Ekklesiologie. Denn das Handeln der russischen Kirche bezieht sich - erklärtermaßen - auf das funktionierende Leben als Kirche, nicht als Abstrafung für verletztes Vertrauen o. ä. Freilich stimmen in diesem Punkt die "theologischen Systeme" der röm.-kath. Kirche und jetzt wohl auch des Phanar nicht mit dem orthodoxen Verständnis der Kirche überein. Damit ist nun recht deutlich in Worte gefasst, was seit Beginn der eigentlich doch kirchenpolitischen Ukraine-Frage von den Vertretern der russischen Kirche zu bedenken gegeben wird: Die Kirche kann nicht als buchhalterisches System funktionieren, sondern sie lebt einzig durch ihr grundlegendes Sein in der Gegenwart Gottes - was nun wieder recht schwach ausgedrückt ist. Deshalb ist das wirklich Beunruhigende an den Ereignisse rund um die Ukraine, den Phanar, Griechenland, jetzt auch Alexandria und Moskau nicht ein vermeintlicher "Riss durch die Orthodoxie", sondern vielmehr das durchaus mit handfesten Argumenten belegte Bemühen der russischen Kirche, den Gläubigen z. B. in Afrika das kirchliche Leben weiterhin ermöglichen zu wollen - da sich, gelinde ausgedrückt, ein Mangel an "Kirchlichkeit" eingestellt hat durch die Ereignisse rund um die Errichtung einer durch den Phanar geschaffenen ukrainischen Parallelstruktur namens "Orthodoxe Kirche der Ukraine". Zu verstehen ist diese Argumentation nicht mit der Schablone scholastischer Beweisführung. Zumindest will es scheinen, dass der Redakteur Stephan Baier genau dieser Linie zu folgen scheint, mit der er beim etwas weniger polarisierten Leser nicht wenig Verwunderung auszulösen versteht. Ein weiteres Zitat soll den Leser objektiv informieren: '„Wenn ein Hierarch mit einem Schismatiker konzelebriert, fällt er selbst ins Schisma“, begründete der Außenamtschef des Moskauer Patriarchats, Metropolit Hilarion, diesen Bruch.' Das ist ehrenvoll und journalistisch korrekt zitiert. Dieser Satz bleibt vor dem komplexen Hintergrund der orthodoxen Verfasstheit aber ein rechtes Trostpflaster für verletzte Slawophile. Und schwubb, befinden wir uns wieder mitten im II. Weltkrieg, zumindest dem Vokabular nach: "Die russische Afrika-Offensive ist nicht einfach nur eine grobe Missachtung der Rechte des Patriarchats von Alexandria, sondern eine Warnung an all jene orthodoxen Kirchen, die treu zum Ersten, Ehrwürdigsten und Ehrenoberhaupt der weltweiten Orthodoxie, dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, stehen. Die Loyalität zu ihm und seinen Entscheidungen hat offenbar einen hohen Preis, seit Moskau einseitig mit Konstantinopel gebrochen hat." Es ist die "Afrika-Offensive", die Rechte missachtet, aber warnen soll, dass nicht ein hoher Preis zu zahlen sein wird. Der hohe Preis, ist das nicht zuallererst die Abkehr von der orthodoxen Ekklesiologie? Diese Ekklesiologie ist nicht erst seit 2016 oder 2018 in Gefahr; sie war verwundet schon durch kirchenpolitische Schachzüge, sei es in Istanbul, sei es in Moskau, sei es andernorts. Doch immer wieder sind die Gläubigen aufgestanden und haben die Ekklesiologie verteidigt, indem sie durch Wort oder Tat aufgezeigt haben, was zu tun ist, um dem Glauben der Apostel treu zu bleiben. Mit Verwunderung liest sich der Schlusssatz des Tagespost-Textes: "Die russische Orthodoxie setzt offen auf weltliche Machtmittel zur Durchsetzung ihres Standpunkts." Damit möchte S. Baier wohl den vorangehenden Satz erklären, in dem es um die Sorge der russischen Kirche auch für die Orthodoxen in der Türkei geht: "Die russisch-orthodoxe Kirche kann sich nicht weigern, die Orthodoxen in der Türkei zu fördern." (was ein Zitat ist von Metropolit Hilarion). Interessanterweise scheint das jenes "weltliche Machtmittel" zu sein, was Baier im letzten Satz anführt: Es wäre freilich ein völlige Verdrehung und Verkennung dessen, was man selbst als Kritiker des Metropoliten Hilarion seinen Worten unterstellen könnte. Heißt das, dass die wirklich theologische Barriere zwischen Ost und West nunmehr auch intellektuell unüberwindlich wird? "Möge Gott uns vergeben!"