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Samstag, 12. Februar 2022

Das maskierte Schisma

Zuerst eine kleine, nicht vollständige Auflistung einiger Artikel zum Thema Schisma und Zerrüttung in den orthodoxen Patriarchaten (dem ökumenischen, von Moskau, von Alexandrien): - Facebook-Eintrag von Orthodoxie aktuell - Meldung auf Orthodox Christianity - Motivation des russ. Eindringens in das Territorium des Patr. von Alexandrien u. s. w., denn es gäbe noch zahlreiche Veröffentlichungen, die sich in den unterschiedlichen Sprachen zu diesem thema äußern; dazu kommen die Diskussionen zu diesen jeweiligen Beiträgen. Auffallend ist indes, dass es wie eine "Sprachverwirrung" vorkommen muss, wenn sich die Parteiungen gegenseitig des Unrechts und der Missachtung von Gesetzen und Kanones bezichtigen. Das Schisma zwischen den Patriarchaten ist nicht da, weil Moskau auf seiner Position beharrt, weil der Phanar unrechtmäßig Moskauer Rechte beschnitten hat oder weil Moskau auf fremdes kirchliches Territorium übergreift. Das Schisma existiert vor allem deshalb, weil die Kirche nicht auf Hass, nicht auf völkische Argumentationen, nicht auf Grenzverschiebung und politische Machtverhältnisse gründen kann, die heute so, morgen anders liegen werden. Das Schisma ist da, weil die sogenannte "Orthodoxe Kirche der Ukraine" ihre Existenz dem Hass und der Ablehnung alles "Russischen" verdankt. Dadurch war die Versöhnung der bis 2018 von der orthodoxen Kirche getrennten Menschen - praktisch aller Hierarchen, Kleriker etc. dieser Neuschöpfung des Phanar - einfach nicht möglich, da sie nicht gewollt war. Als Verwaltungsakt könnte sie - wer weiß das? - stattgefunden haben, doch das hat nichts mit dem zu tun, was Christus und was das Beispiel der Apostel der Kirche aufgetragen hat. Es ist eine abgrundtiefe Wunde: Wer unversöhnt und sogar verfälschend eine Kirchenstruktur errichten will, kann nur eine Nicht-Kirche hervorbringen, denn es fehlt das Wesentliche: die versöhnte Communio. Diese mangelnde Fundamentierung wird im Phanar seit hundert Jahren durch "Rechtsakte" übertüncht, die im Grunde völlig widersinnig erscheinen: Am Beispiel der Gebiete von Finnland, Estland, jetzt der Ukraine lässt sich eine fatale Haltlosigkeit politischer Machtspiele aufzeigen. In Finnland war die Communio jahrzehntelang zerstört, die Menschen blieben zerstritten, die Mysterien waren nicht Zeichen der Gemeinschaft, sondern Zeichen der Trennung. Erst als das Leid zu groß wurde, als die Versöhnung nicht mehr per Aktennotiz vergegaukelt werden konnte, sondern mit Leben erfüllt werden musste, konnte die orthodoxe Kirche in Finnland Wirklichkeit werden. Das Beispiel Estland ist ähnlich zu bewerten: Was ist das für eine "Kirche", die sich gründet auf das Anti-Russische, so verständlich es vielleicht erscheinen könnte nach den Ereignissen der Okkupation etc. Ohne Versöhnung fehlt die Communio, fehlt im Grunde der "rechte Glaube", die Orthodoxie. Es braucht vieles nicht in der Kirche: der Mensch bleibt Sünder, er bleibt fehlerbehaftet, subjektiv und engstirnig. Was es allerdings braucht in der Kirche ist der Wille, in der Gemeinschaft der Kirche zu leben. Diese Kirche umfasst zwingend alle, die die Mysterien empfangen und als Christen leben wollen. Deshalb gibt es keine "Versöhnung zu Sonderkonditionen", die nur die einschließt, die mir genehm sind oder die mir ersparen könnte, die Versöhnung persönlich anzubieten. Fehlt diese Versöhnung, wird die Kirche ausgeschlossen, obwohl das Dekor scheinbar stimmt. Deshalb die nachgeholte Weihe von Männern, die aus dem Schisma in die Kirche zurückkehren, deshalb aber auch die Praxis, die Weihen von römisch-katholischen Klerikern anzuerkennen (nach dem Brauch des Moskauer Patriarchats): Eine Unversöhntheit (im oben dargelegten Sinne) ist bei diesen röm.-kath. Weihevorgängen nicht anzunehmen und die Aufnahme in die orthodoxe Kirche stellt eben keinen Verwaltungsakt dar, sondern eine tiefgehende, von Gott charismatisch bewirkte Heilung. Unverständlicherweise tritt das Schisma zwischen dem Phanar, Moskau, Alexandrien, Jerusalem und Antiochien völlig in den Hintergrund, während die Folgen der schismatischen Situation in aller Munde sind. Lösungen lassen sich so freilich nicht finden. Denn die Problematik wir augenscheinlich, z. B. in den verlinkten Artikeln, überhaupt nicht benannt. Wer aneinander vorbeiredet, kann sich nicht wirklich verstehen.

Montag, 24. Januar 2022

Kirchenpolitik und Ukrainekonflikt

Die Nachrichten sprechen von Krieg, die Politiker klagen an, und die orthodoxen Kirchen finden keine Worte und keine Lösungen in den schweren Verletzungen, die der Kirche zugefügt werden. Sonderbarerweise läuft es in Politik und Kirche nach dem gleichen Muster: Was opportun erscheint, wird durchgewunken, was nicht, wird sanktioniert. Immer wieder ist zu hören, dass es beim Ukraine-Konflikt zwischen Istanbul-Phanar und Moskau um kirchenpolitische Fragen gehe und dass hier von einer den Glauben betreffenden Angelegenheit nicht die Rede sein könne. Allerdings funktioniert diese Einordnung nur dann, wenn die Kirche eine Einrichtung unter anderen ist: als stünde sie etwa neben einer x-beliebigen Staatsform und folgte seinen Gesetzmäßigkeiten, als könne man sie vergleichen mit dem, was gemeinhin "Institution" genannt wird - und was doch etwas ganz anderes ist, als es die Kirche sein kann. Sie ist nämlich tatsächlich Institution, aber im Vollsinne des Wortes: sie ist eingesetzt, nicht von Menschen, nicht von Organen, nicht auf der Grundlage von Philosophien, sondern eingesetzt durch einen Auftrag Christi: das Evangelium zu leben und zu verkünden. Tatsächlich brauchte es nicht viel mehr, um die Kirche zu "instituieren"; das, was wesenhaft zur Kirche gehört, nämlich ihre apostolische Verwurzelung, ihr Leben in der Gegenwart des dreieinen Gottes mittels der liturgischen Vollzüge, die Weitergabe des apostolischen Erbes durch das Evangelium und die Traditionen, all das ist in der Kirche gegeben, seitdem Menschen den Fleisch und Mensch gewordenen Gott erkennen durften und bekennen. Diese Frage, was an der Kirche denn definierbar und konstruierbar sei, hat folglich zum Bruch zwischen der orthodoxen Kirche und der röm.-kath. Kirche geführt. Allein der Umstand, dass der vorstehende Satz in dieser Form wohl keineswegs akzeptiert würde von den Vertretern der röm.-kath. Kirche, zeigt auf, vor welchen Schwierigkeiten die Menschen stehen, die zur orthodoxen Kirche gehören. Denn es kann den Christen ja nicht darum gehen, sich künstlich zu spalten und zu trennen. Dass aber der Katholik die Frage anders stellt, hat mit einer Verschiebung der "Konstanten" zu tun, die in dieser Form auch im römischen Dunstkreis tatsächlich nicht ursprünglich ist. - Über viele Jahrhunderte galt der Grundsatz, dass als untrennbar zu gelten hat, was zur Institution Kirche gehört. - Alle Komponenten der Kirche bildeten in Ost und West zu jener Zeit ein Ganzes, wie auch die Kirche an ihrem jeweiligen Ort und unter ihrem jeweiligen Bischof ein Ganzes war, ohne dass alle diese örtlichen Kirchen aufgehört hätten, die eine Kirche zu bilden. Die Sakramente, die Organisation, die Sprache, die Disziplin - all das konnte sich in ihrer Form - nicht ihrem Inhalt nach - unterscheiden in Ost und West. Was sich nicht unterschied, war die Überzeugung, dass nichts von all dem separiert werden konnte ohne Angriff der Kirchlichkeit. Das ist wohl eines der Hauptprobleme, wenn es um die Kirche in der Ukraine geht. Es ist einfacher, die canones der entsprechenden Konzilien anzuführen, um bestimmte Maßnahmen zu legitimieren, wie es seitens des Phanar geschehen ist. Dass eine solche Argumentation für andere Kirchen nicht akzeptabel ist, kann nicht verwundern: Dem orthodoxen Kirchenverständnis fehlt die Möglichkeit, buchhalterisch hochzurechnen und dadurch das Mysterium der Kirche aufzurechnen. Fatal bleibt der politisch motivierte Hintergrund des kirchlichen Ukraine-Konflikts. Eine "Landeskirche" der Ukraine auf das Fundament einer den Hass und die Abneigung schürenden politischen Strömung zu gründen, entspricht zwar einer gewissen Opportunität, widerspricht allerdings dem grundlegenden Auftrag der Kirche. So ist es keineswegs verwunderlich, dass der Großteil der orthodoxe Kirchen der "nouvelle théologie" des Phanar und jener Kirchen, die ihn unterstützen, eine Absage erteilen müssen. Sonderbarerweise versagt an dieser Bruchstelle diese "nouvelle théologie": Dass es in der Kirche eine "Versöhnung" geben kann, die losgelöst ist von grundlegenden Komponenten dieser (kirchlichen) Versöhnung, darf verneint werden: Philaret Denisenko und alle mit ihm aus der Gemeinschaft der Kirche entlassenen Menschen können nicht durch einen Jurisdiktionsakt zweifelhafter Art Versöhnung finden; dadurch unterscheidet sich der Fall gundlegend von der Wiedereingliederung der russ. Auslandskirche ins Moskauer Patriarchat. Es bedarf einer Versöhnung in der Kirche, mit den Beteiligtenm, nicht eines Rechtsaktes, um wieder das Mysterium der Kirche abbilden zu können. Diese wesentlichen Aspekte außer Acht zu lassen, ist nicht mehr "Kirchenpolitik", ist auch nicht mehr "ein anderer Blickwinkel". Es geht bei diesen Aspekten um grundlegende theologische Wirklichkeiten, die weitreichende Folgen haben für alle Christen. - Eine ganz entscheidende Frage wird sein: Wo existiert und lebt die Kirche weiter mit all ihren Charismen und Sakramenten, mit ihrer Unversehrtheit, die sich nicht auf menschliche Sündlosigkeit und Sophismus stützt, sondern auf die Gnade des Heiligen Geistes, die wirksam werden kann, auch das bleibt wahr, durch die Vermittlung sündiger und unvollkommener Menschen der Kirche.

Mittwoch, 12. Januar 2022

Orthodoxie, Politik - und die "Deutsche Tagespost"

Die Meldungen zum angespannten Verhältnis des griech.-orth. Patriarchats in Alexandria und dem Moskauer Patriarchat infolge des Zerwürfnisses um die ukrainische Kirche mehren sich. Die "Deutsche Tagespost" hat einen kurzen Text aus der Feder von Stephan Baier veröffentlicht unter der Überschrit "Der Riss durch die Orthodoxie wird immer tiefer". Der Text an sich ist griffig formuliert und lässt wohl nur den orthodoxen Leser stutzig werden: Wie kann es sein, dass ein Satz, der erste des Textes, den Kontext dermaßen verkürzt, dass der wenig vertraute Leser gleichsam in eine Richtung denken muss, die dem Autor eigen ist? Der Satz liest sich folgendermaßen: "Der tiefe Riss, der seit dem russischen Boykott des Panorthodoxen Konzils auf Kreta 2016 durch die orthodoxe Welt geht, ist neuerlich tiefer und breiter geworden." Die russische Kirche hatte ihre Teilnahme nicht etwa im Alleingang ausgesetzt, sondern erst nach der Absage von einigen anderen orthodoxen Kirchen. Der übernächste Satz ist zumindest eingehend zu prüfen, was hier nicht geleistet werden kann; es scheint zumindest so, dass die historische Kirche von Alexandrien einen anderen Jurisdiktionsbereich beanspruchen wollte, als es der folgende Satz weismachen möchte. Zitat Tagespost: "Damit verletzt Moskau die Rechte des Patriarchats von Alexandria, das in der orthodoxen Welt seit jeher für ganz Afrika zuständig ist." Sonderbarerweise kann schon der nächste Satz wiederum in Erstaunen versetzen, Zitat: "Diese kirchenpolitische Offensive ist nicht nur mutmaßlich, sondern erklärtermaßen ein russischer Racheakt dafür, dass sich der Patriarch von Alexandria, Theodoros, im Streit um die Jurisdiktion über die Ukraine klar auf die Seite des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios, stellte." Den Verfasser dieser Zeilen würde sehr interessieren, wie der "russische Racheakt" als ein "erklärtermaßen" gesetzter dargestellt werden kann, wenn nicht aufgrund eines grundlegenden Missverstehens der orthodoxen Ekklesiologie. Denn das Handeln der russischen Kirche bezieht sich - erklärtermaßen - auf das funktionierende Leben als Kirche, nicht als Abstrafung für verletztes Vertrauen o. ä. Freilich stimmen in diesem Punkt die "theologischen Systeme" der röm.-kath. Kirche und jetzt wohl auch des Phanar nicht mit dem orthodoxen Verständnis der Kirche überein. Damit ist nun recht deutlich in Worte gefasst, was seit Beginn der eigentlich doch kirchenpolitischen Ukraine-Frage von den Vertretern der russischen Kirche zu bedenken gegeben wird: Die Kirche kann nicht als buchhalterisches System funktionieren, sondern sie lebt einzig durch ihr grundlegendes Sein in der Gegenwart Gottes - was nun wieder recht schwach ausgedrückt ist. Deshalb ist das wirklich Beunruhigende an den Ereignisse rund um die Ukraine, den Phanar, Griechenland, jetzt auch Alexandria und Moskau nicht ein vermeintlicher "Riss durch die Orthodoxie", sondern vielmehr das durchaus mit handfesten Argumenten belegte Bemühen der russischen Kirche, den Gläubigen z. B. in Afrika das kirchliche Leben weiterhin ermöglichen zu wollen - da sich, gelinde ausgedrückt, ein Mangel an "Kirchlichkeit" eingestellt hat durch die Ereignisse rund um die Errichtung einer durch den Phanar geschaffenen ukrainischen Parallelstruktur namens "Orthodoxe Kirche der Ukraine". Zu verstehen ist diese Argumentation nicht mit der Schablone scholastischer Beweisführung. Zumindest will es scheinen, dass der Redakteur Stephan Baier genau dieser Linie zu folgen scheint, mit der er beim etwas weniger polarisierten Leser nicht wenig Verwunderung auszulösen versteht. Ein weiteres Zitat soll den Leser objektiv informieren: '„Wenn ein Hierarch mit einem Schismatiker konzelebriert, fällt er selbst ins Schisma“, begründete der Außenamtschef des Moskauer Patriarchats, Metropolit Hilarion, diesen Bruch.' Das ist ehrenvoll und journalistisch korrekt zitiert. Dieser Satz bleibt vor dem komplexen Hintergrund der orthodoxen Verfasstheit aber ein rechtes Trostpflaster für verletzte Slawophile. Und schwubb, befinden wir uns wieder mitten im II. Weltkrieg, zumindest dem Vokabular nach: "Die russische Afrika-Offensive ist nicht einfach nur eine grobe Missachtung der Rechte des Patriarchats von Alexandria, sondern eine Warnung an all jene orthodoxen Kirchen, die treu zum Ersten, Ehrwürdigsten und Ehrenoberhaupt der weltweiten Orthodoxie, dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, stehen. Die Loyalität zu ihm und seinen Entscheidungen hat offenbar einen hohen Preis, seit Moskau einseitig mit Konstantinopel gebrochen hat." Es ist die "Afrika-Offensive", die Rechte missachtet, aber warnen soll, dass nicht ein hoher Preis zu zahlen sein wird. Der hohe Preis, ist das nicht zuallererst die Abkehr von der orthodoxen Ekklesiologie? Diese Ekklesiologie ist nicht erst seit 2016 oder 2018 in Gefahr; sie war verwundet schon durch kirchenpolitische Schachzüge, sei es in Istanbul, sei es in Moskau, sei es andernorts. Doch immer wieder sind die Gläubigen aufgestanden und haben die Ekklesiologie verteidigt, indem sie durch Wort oder Tat aufgezeigt haben, was zu tun ist, um dem Glauben der Apostel treu zu bleiben. Mit Verwunderung liest sich der Schlusssatz des Tagespost-Textes: "Die russische Orthodoxie setzt offen auf weltliche Machtmittel zur Durchsetzung ihres Standpunkts." Damit möchte S. Baier wohl den vorangehenden Satz erklären, in dem es um die Sorge der russischen Kirche auch für die Orthodoxen in der Türkei geht: "Die russisch-orthodoxe Kirche kann sich nicht weigern, die Orthodoxen in der Türkei zu fördern." (was ein Zitat ist von Metropolit Hilarion). Interessanterweise scheint das jenes "weltliche Machtmittel" zu sein, was Baier im letzten Satz anführt: Es wäre freilich ein völlige Verdrehung und Verkennung dessen, was man selbst als Kritiker des Metropoliten Hilarion seinen Worten unterstellen könnte. Heißt das, dass die wirklich theologische Barriere zwischen Ost und West nunmehr auch intellektuell unüberwindlich wird? "Möge Gott uns vergeben!"

Sonntag, 24. Januar 2021

Hagia Sophia gegen Hagia Sophia?

Es ist zu lesen (und die seriöse Quelle sei an dieser Stelle mal verschwiegen), dass das ukrainische Schisma, das die gesamte Orthodoxie verwundet hat, sich an seinen Erschaffern rächt: Die Kiewer Hagia Sophia habe die Istanbuler Hagia Sophia mit in den Abgrund gezogen; die malträtierte ukrainische Nation sei das Vorspiel für eine malträtierte amerikanische Nation. Solche Behauptungen aufzustellen, hilft nicht gerade dabei, Versöhnliches und Klarstellendes hervorzuholen. Übrigens widerspricht eine solche Auslegung der geschichtlichen Ereignisse in einem entscheidenden Punkt der christlichen Sicht auf die Welt. Alles hängt zusammen - das ist wahr. Aber nicht alles wird automatisch zum oktroyierten Verhängnis für wen auch immer. Kürzlich konnte man in der frankophonen Szene empörte Zwischenrufe vernehmen: Wie kann die Weihe eines katholisch-unierten Klerikers orthodox anerkannt werden, wenn die russische Kirche sogar orthodoxen Klerikern (in der - schismatischen - "orthodoxen Kirche der Ukraine") die Anerkennung verweigert und sie als Ungeweihte bezeichnet? Es stimmt: Alles hängt zusammen. Mit dem Unterschied, dass im letztgenannten Fall die Anerkennung von sakramentalen Akten eng mit dem unumgänglichen Willen zur Umkehr zusammenhängt, ohne den die Liebe Gottes wohl vergeblich anklopft. Der "Schismatiker" spaltet nicht unbedingt durch gegensätzliche Meinungen und Lehrsätze, sondern vielmehr durch seine Zurückweisung der "communio" in ihrer grundsätzlichsten Bedeutung: es ist bei ihm - und das eigentlich immer in der Kirchengeschichte - eine Verweigerung aller Verwundungen und Toten zum Trotz. Und wo steht zwischen all dem Schmutz und Dreck das Evangelium? Es steht mittendrin und es ist sich nicht zu schade, uns Heutige immer wieder neu seine Zwischenrufe hören zu lassen: Dass Gott heilen will, dass Gott bedingungslos heilt, wenn wir ihn bitten, dass Gott sogar alle menschlichen Schubladen wie Volk, Rasse, Nation, Kultur, ja sogar Religion ... außer Acht lässt, um dem aufnahmebereiten Menschen alles Gnadengeschenke zukommen zu lassen. Und Gott heilt sogar vorbehaltlos, selbst wenn der Geheilte ihm noch nicht einmal seinen Dank zurückgibt. Die oft verstörenden Wortmeldungen, von denen drei oben in Auszügen vorgestellt wurden, gehören ebenfalls in den Gesamtzusammenhang, der die Welt besser oder schlechter werden lässt! Gebe Gott, dass sie nicht Hass, Abneigung oder Entmutigung produzieren, sondern zu einem entschiedenen Willen zur Wahrhaftigkeit und zum evangeliumsgemäßen Handeln aufrufen.

Montag, 14. Dezember 2020

Krankheit und Gesetz

Die Evangelienperikope von der verkrümmten Frau (Lk 13,10-17) ist eine mahnende Botschaft an uns. Der Erlöser wird aus sich heraus tätig, ohne dass die Frau mit einer Bitte an Ihn herantritt. Jesus heilt sie und provoziert dadurch ein schweres Ärgernis: Am Sabbat in der Synagoge vollzieht Er die Heilung - gegen das Gesetz und seine Vorschriften! Auch wir sind diese verkrümmte Frau, und in mancherlei Hinsicht können wir uns sogar permanent in ihr wiederfinden. Christus heilt uns beständig, manchmal bitten wir Ihn darum, manchmal haben wir andere Sorgen... Solche Sorgen, die vom Wesentlichen ablenken, finden sich in der Schriftstelle: "Sechs Tage gibt es, an denen man arbeiten darf; an denen kommt und lasst euch heilen, aber nicht am Sabbat!" Der Wächter über Zucht und Ordnung in der Synagoge ist emört über diese Schändung des Sabbat - und das Gesetz ist wohl auch auf seiner Seite. Und doch ist es für ihn nur ein Vorwand. Er sieht weder die geheilte Frau, noch sieht er den Erlöser und Herrn, sondern er wird von Zorn und vielleicht auch Neid gepackt. Uns geht es tatsächlich oft genauso. - Die "Tempelordnung" läuft Gefahr, ausgehebelt zu werden. Das "Typikon" wird missachtet. Altes Recht und älteste Bräuche sind in Gefahr. Leichtsinn und Unordnung herrschen in der Kirche Christi... Alles das mag stimmen, alles das mag bedacht werden. Doch wirklich wichtig ist zuallererst: Der Herr und Erlöser der Menschen heilt hier und jetzt durch Sein sakramentales Tun, das zwar nicht rubrikengemäß ist, aber das die Fülle aller Tradition und Gesetzmäßigkeit in sich trägt. Und das ist tatsächlich auch orthodoxe Lehre: der Blick über die äußerlichen Kanones hinaus auf das Wesen des sakramentalen Handelns. "Diese Tochter Abrahams, die der Satan schon achtzehn Jahre lang gefesselt hielt, musste sie nicht am Sabbat von dieser Fessel befreit werden?" Der Herr antwortet uns exakt und mit Akribie: Seine Heilung ist der Sieg über die Fesseln Satans. Dieser "Verwirrer", der uns alle in Atem hält, musste gerade am Sabbat seine Niederlage entgegennehmen. Bei uns scheinen nur solche recht groben Winke mit dem Zaunpfahl - wenn überhaupt - Wirkung zu zeigen. Und wie lange kann man nicht brauchen, um diese längst und nur zu gut bekannte Perikope so zu verstehen? Dass all das, was uns trennt und immer mehr trennt, weil es scheinbar gegen das Gesetz und gegen die Kanones ist (und zwar auf allen Seiten!!!), nur deshalb trennen kann, weil wir nicht auf den Erlöser blicken, sondern auf das, was um ein Vielfaches kleiner und sogar erbärmlicher ist als Er. Wohlgemerkt: Es geht hier nicht um die Abschaffung oder Verwässerung der Kanones, des Typikons oder der Kirchengesetze! Nichts weniger als das will die Perikope ausdrücken. Denn Christus sagt eindeutig und mit klaren Worten: "... musste sie nicht am Sabbat von dieser Fessel befreit werden?" Der Sabbat, der hier für all das steht, was uns äußerlich als Kirche zusammenhält und trägt, ist absolut unerlässlich für diese Heilung, denn erst mittels dieser äußeren Form wurde der Satan wirklich besiegt, da der Erlöser auf das Wesentliche hingewiesen hat: die Liebe in ihrer Vollform. Deshalb klingt der letzte Satz der Perikope wie das Finale einer Synphonie: "Als Er dies sagte, wurden alle Seine Widersacher beschämt, und das ganze Volk freute sich über alles Herrliche, was durch Ihn geschah." Wir, die Widersacher, und wir, die Kirche, sollten uns schämen, wenn wir das Gute aus dem Blickwinkel des "Verwirrers" vorgegaukelt bekommen und es nicht als solches erkennen (wollen?). Denn eigentlich dürfen wir uns aufrichtig freuen über die Wunder Christi, die jeden Tag vor unseren Augen geschehen. Es ist ein Evangeliumsabschnitt gegen Kurzsichtigkeit in all ihren Formen!

Freitag, 27. November 2020

Verschobene Realitäten

Neben den zahlreichen Meldungen der letzten Tage, die Angst und Unsicherheit verbreiten (wollen?), da sie das existenzielle Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit in Frage stellen, wenn es um ihre Gesundheit und das Wohlergehen geht, kreisen auch andere im Netz, die für Christen auch existenziell sind. Es sind die Meldungen zu Äußerungen von Patriarch Bartholomäus zum Status der orthodoxen Christen in der Ukraine. Wer bislang von einem rein rechtlich fußenden Streit zwischen Ersthierarchen (Moskau / Phanar) ausging, wird allerspätestens jetzt begriffen haben, das dem nicht so ist. Es geht in der Ukraine-Frage um nichts weniger als den orthodoxen Glauben, und zwar um die grundlegenden Fragen der Kirche. Patr. Bartholomäus, so wird er in einem diesbezüglichen Beitrag zitiert, "toleriert zeitweilig" (- d.h. duldet die Zugehörigkeit zu einer anderen Denomination als der von ihm eingesetzten -) die Gläubigen der autonomen Ukrainischen orthodoxen Kirche (des Moskauer Patriarchats). Es ist spannend, die Argumentation zu verfolgen, zeigt sie doch, wie sehr die gesunden Grundlagen der orthodoxen Theologie schon beiseite geschoben sind. Für den Phanar gilt: Als kirchliches Haupt der "Ökumene" ist es recht und billig, alle Fragen innerhalb der "Ökumene" zu behandeln, auch unter Umgehung der Ortskirche. Das Problem beginnt schon an diesem Punkt: Die "Ökumene" war ein klar umschriebener Begiff des byzantinischen Reichs, der - grob gesagt - den ganzen Erdkreis umfasste. Die "Ökumene" unterstand dem Kaiser in Byzanz per definitionem. Wenn sich heute jemand "ökumenischer Patriarch" mit Sitz in "Konstantinopel" nennt, dann darf gefragt werden, welches Selbstverständnis er hat. Die Frage eindeutig zu beantworten, verbietet sich in diesem Kontext aus Respekt vor dem Bischofssitz in Istanbul. Dass es heute keine Stadt Konstantinopel mehr gibt, dass der Kaiser in Konstantinopel schon lange nicht mehr existent ist, das sind Tatsachen, die ein Christ nicht verdrängen sollte und auch nicht verdrängen darf. Beides, der Kaiser und seine Stadt Byzanz, sind für die christliche Botschaft heute tatsächlich völlig bedeutungslos. Der Erzbischof von Istanbul tut recht daran, zum Wohl der ihm unterstellten Christen alles ihm Mögliche zu tun - nur eines sollte er nicht: den orthodoxen Glauben, der untrennbar mit der Kirche verbunden ist, ins Lächerliche ziehen. Das jedoch geschieht momentan in großem Stil durch Wort und Tat. Das Wesen der Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen, versammelt als Glieder Christi in der Gnade des Heiligen Geistes, kann unmöglich dem politischen Kalkül untergeordnet werden, wie es momentan geschieht. Das Weihesakrament ist sichtbarer und unsichtbarer Ausdruck des Glaubenslebens der Kirche durch das Zusammentreffen von Bestellung und Einsetzung des Weiheempfängers. Dieses Zusammenspiel ist Ausdruck des Glaubens der Kirche, daher kann die Weihe "genommen" werden, wenn wesentliche Elemente des Glaubens nicht mehr gegeben sind. Das ist der Fall bei klerikalen Angehörigen der durch den Phanar in Istanbul geförderten "Kirche der Ukraine". Ein so schwerwiegender Umstand kann nicht durch ein rechtliches Dokument, wie seitens des Phanar geschehen, für nichtig erklärt werden, ohne wesentliche Elemente des orthodoxen Glaubens beiseite zu schieben. Und nicht umsonst wird eine Weihe bei Wiederaufnahme von solchen "Klerikern" in die orthodoxe Kirche nachgeholt. Leider wird diese Theologie momentan komplett umgedreht. Ein "Erzbischof von Konstantinopel" habe als "ökumenischer Patriarch" historisch verbrieftes Recht, um Ordnung zu schaffen und um die Ordnung der Kirche zu wahren. Die Kirchen der heutigen "Ökumene", der realen und oft sehr bedrängten, sollten nicht den "Kaiser" suchen, der ihnen Schutz und Hilfe gewährt. Er wird sich nicht in den USA oder im Kreml oder sonstwo finden lassen, denn es gibt ihn nicht mehr. Die Kirchen heute und jetzt müssen Christus verkörpern durch ihre Beten und Handeln. Bei aller Not und aller Hilflosigkeit angesichts der menschlichen, sozialen Realitäten ist es die tröstliche Antwort, die ein für allemal gegeben ist - die für uns heute aufgeschrieben wurde: "Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des Ewigen Lebens!"

Freitag, 20. November 2020

Steht fest im Glauben!

Es ist ein ganz und gar biblisch inspirierter Leitsatz, der als Thema und Aufhänger dient (vgl. 1 Kor 16,13). Die Heilige Schrift ist denn auch erste und letzte Instanz für alles Handeln des Christen, und zwar nicht in Form individueller Interpretation, sondern gegründet auf die Kirchlichkeit, die das Leben des orthodoxen Christen prägt. Das Zeitalter virtueller Informationsverbreitung bringt es mit sich, dass nicht nur viel konsumiert, sondern auch viel produziert wird an Nachrichten. Neben den desaströsen Folgen ungezügelter Nachrichtenschwemmen gibt es auch Vorteile: der Mensch kann sich bilden und sich weiterbilden. Schließlich kann sich ein Christ nicht aus dem Hier und Jetzt herausnehmen und so tun, als könne er völlig losgelöst dem Alltag entkommen. Heute erschien, französischsprachig, ein Beitrag, der die Ekklesiologie der "nouvelle théologie" des Phanar kritisch hinterfragt: HIER. Schon der Titel hat, auch übersetzt, Bekenntnischarakter: "Die Sache ist jetzt klar!" Es geht denn auch um nichts Geringeres als um die Darlegung der Differenzen, die sich in den letzten Verlautbarungen des Patriarchen Bartholomäus auftun im Bezug auf die traditionelle orthodoxe Lehre. Das "primus sine paribus", das "Erster ohne Gleichrangige", wird im zitierten Beitrag als häretisch, das heißt also, als stark verkürzender (und somit verfälschender) Auszug aus der gültigen Lehre der Kirche, gebrandmarkt. Nichts weniger als dogmatische Gründe werden nunmehr auch, nach zwei Jahren gemäßigter Kommunikation, angeführt als Begründung für die Aussetzung der Kommemoration des Erzbischofs Chrysostomus von Zypern: die kirchliche Gemeinschaft mit Schismatikern (d.i. mit den vom Phanar 2018 anerkannten Mitgliedern seiner neugebildeten ukrainischen Nationalkirche) ist nicht zu rechtfertigen: HIER. "Jetzt ist die Sache klar!", so sagt es die Überschrift des oben zitierten Beitrags. Klar ist nunmehr, und tatsächlich nicht erst seit heute, dass gravierende dogmatische Gründe einen Bruch in der Orthodoxie haben entstehen lassen. Kreise zieht dieser Bruch, der theologisch grundgelegt ist, auch bis in die deutschsprachige Sphäre. Der griechische Metropolit Arsenios von Österreich hat schon vor Wochen theologisch verstörende Gedanken geäußert, die bis jetzt noch unverdaut sind. Sie sind, veröffentlicht HIER in der "Tagespost", auch nicht berichtigt worden und somit wohl geltende Meinung des Metropoliten. Das verstört umso mehr und umso tiefer, weil sie grundlegende kirchliche Strukturen, etwa die diözesanen, ad absurdum führen. Selbst im noch einigermaßen rechtgläubigen Mittelalter konnten im Westen solche Theorien nicht als Lehrmeinung der (römischen!) Kirche durchgehen, die heute scheinbar höchste Billigung des ökumenishcen Patriarchen besitzen, wenn sie nicht sogar mit Gewalt durchgesetzt werden sollen. So erscheint es beinahe, wenn man Verlautbarungen des Patriarchen Bartholomäus liest, die in den letzten Wochen erschienen sind, etwa HIER. Es kann beruhigen, dass Klarheiten geschaffen sind. Es bleibt verstörend, wie wenig sich die Kirchenpolitik aus den handfesten Folgen eines solchen Handelns zu machen scheint. Es geht schließlich um nichts weniger als den mystischen, geheimnisvollen Leib Christi. Möge der Himmlische König, der Geist der Wahrheit und Spender des Lebens, einem jeden von uns die Kraft und Einsicht schenken, das Rechte zu tun und zu bekennen!

Dienstag, 15. September 2020

Archevêché des églises orthodoxes de tradition russe en Europa occidentale

Drei Generationen in Christus: der hl. Patriarch Tichon, Patriarch Kyrill, Erzbischof Jean
 
 

Vor einem Jahr, am 14. September 2019, hat der Bischof des einstigen Exarchats der Rue Daru in Paris, Erzbischof Jean Renneteau, um Aufnahme in die Jurisdiktion des Moskauer Patriarchats gebeten: ein denkwürdiger Tag für die orthodoxen Christen in Westeuropa. Gerade zu diesem Jahrestag erschien nun in den Abgünden von Facebook u. ä., genauer gesagt auf der Seite der "Église locale en Europe occidentale", eine Zusammenfassung zur "Assemblée générale" der Gemeinden des "Erzbistums der orthodoxen Gemeinden russischer Tradition in Westeuropa" am 7. September 2019. Ein großes Problem der Rezeption jener "Assemblée", also einer gesetzlich festgelegten Zusammenkunft aller bei der 'Association' nach französischem Recht Eingeschriebenen bzw. ihrer gewählten Vertreter, ist die Vermischung grundlegender Ziele. Die Kirche kann nicht wie ein eingetragener Verein agieren. Eine Assoziation kann nicht mit ekklesiologisch argumentieren, wenn es um Vereinssatzungen geht. Es kann hier nicht um die Frage gehen, ob die Kirche sich vor einem Staat als Verein einschreiben lassen sollte... Es geht aber sehr wohl um die Frage - und zwar betrifft das alle orthodoxen Christen, da das besagte "Erzbistum der Rue Daru" eher bescheiden zu nennen ist -, was die Kirche ausmacht: Sie besteht aus den vielen Menschen, die auf Christus getauft sind, doch immer nur unter den Vorzeichen der unaufgebbaren Realia. Die Kirche lebt davon, dass sie auf Christus hin organisiert ist, dass ein Bischof ihr vorsteht - und dabei ist es egal, welchen Titel er führen kann. Zu den Realia gehört gleichfalls die unumstößliche Notwendigkeit, dass die Kirche niemals zu einer Demokratie werden kann, will sie nicht aufhören, Kirche zu sein. In der Kirche kann niemals ein "Volk" herrschen, da in ihr einzig die Herrschaft des menschenfreundlichen Gottes zugelassen ist. Was passiert, wenn eine Vermischung gewisser Ebenen vorgenommen wird, ist in der oben erwähnten (französischsprachigen) Zusammenfassung zu lesen, die hier aber nicht verlinkt werden soll. (Sie ist abrufbar auf der besagten Facebook-Seite unter dem 7. September.) Das "Erzbistum Rue Daru" hat seit der Entscheidung seines Bischofs, zur Mutterkirche von Moskau zurückzukehren, den für die Kirche so notwendigen Frieden wiedergefunden. Die orthodoxen Kirchen hingegen kämpfen immer noch um den Frieden Christi; ein trauriges Spiegelbild dieser verzweifelten Suche nach dem Frieden ist die Facebook-Seite der "Église locale en Europe occidentale": Dort wird geschimpft und gehadert, verleumdet und verurteilt. Es ist eine beschämende Lektüre, die jedem auf's Gemüt schlägt, der die Grundbegriffe akademischer theologischer Wissenschaft zumindest ansatzweise mitbekommen hat. Der Jahrestag der ekklesiologisch so wichtigen Entscheidung des Erzbischofs Jean Renneteau ist genau deshalb für alle orthodoxen Jurisdiktionen so denkwürdig, weil er alle Luftschlösser orthodoxer Befindlichkeiten grundlegend erschüttert. Die Entscheidung des französischen Bürgers Jean Renneteau als Präsident einer "Assemblée générale" zur Anerkennung eines Mehrheitsbeschlusses wäre der Todesstoß für ein orthodoxes Bistum gewesen, denn die Kirche kann und darf sich nicht zum Verein machen. Denn in ihr würden dann nicht mehr die Menschen in ihrer Hingeordnetheit auf den dreieinen Gott zählen, sondern nur noch Paritäten, Mehrheiten, Wahlregeln und Mitspracherechte. Der 14. September 2019 war - auch wenn die Rue Daru dem julianischen Kalender folgt - demnach wirklich ein dem lebenspendenden Kreuz geweihte Tag. Es war ein Tag, auf den sich alle orthodoxen Jurisdiktionen besinnen sollten, denn in dem mehr als bescheidenen Rahmen eines Exilbistums in Paris hat der orthodoxe Glaube zu einer ungeahnten Größe zurückgefunden, die auch die Person des Erzbischofs Jean Renneteau übersteigt, dem es scheinbar wirklich nur um die Menschen geht, die den Weg, die Wahrheit und das Leben suchen.  

Mittwoch, 15. Juli 2020

Eine verhangene Theologie

Historisierende Illustration zu einer Rekonstruktion des Klangraums der historischen Hagia Sophia
Die Wellen der Empörung schlagen hoch, da die einstige Bischofskirche Konstantinopels nach etwa 100 Jahren als Museum wieder zur Moschee werden soll, was sie seit 1453 war. Dass dieses Kirchengebäude zweifellos von großer Ehrwürdigkeit ist, sollte niemand mit Verstand bezweifeln. Wenn man jedoch lesen kann, dass die Hagia Sophia der "heiligste Ort der Orthodoxie" sei, dass - an gleicher Stelle zu lesen - der "ganzen Nation innigster Wunsch" in Erfüllung gegangen ist, als im Jahr 1919 eine Liturgie in diesem Kirchengebäude gefeiert wurde, und dass das ein Priester tat, der - wieder im gleichen Text zu lesen - ein Vertreter des "Hellenismus" war, dann darf man die Theologie hinter diesem Wunsch in Zweifel ziehen.

Donnerstag, 2. Juli 2020

Hagia Sophia - Kirche, Museum, Moschee... und die Mission der Christen

Hagia Sophia in Istanbul, Quelle: Wikipedia
Wie zu lesen ist, z. B. HIER, hat der oberste Gerichtshof der Türkei in einer gerade einmal 20-minütigen Sitzung entschieden, dass die einstige Kirche "Hagia Sophia" in Istanbul auf Präsidentialbeschluss wieder zur Moschee werden darf. Die Entrüstung seitens vieler orthodoxer Gläubigen ist verständlich, wurde in dieser Kirche doch nicht zuletzt auch Kirchengeschichte geschrieben: in ihr feierten die Vertreter des hl. Wladimir von Kiew den Gottesdienst zusammen mit den einheimnischen Gläubigen - und wußten nicht, "ob sie im Himmel oder auf Erden sind". Das war der Wendepunkt im oft unrühmlichen Kampf der christlichen Kulturen um Einfluss im Osten. Die Slawen wendeten sich dem östlichen Christentum zu, nicht dem westlichen mit seinem Zentrum in Rom. Es wäre hingegen mehr als verräterisch, würde sich die Befürchtung des Patriarchen Bartholomäus bewahrheiten, dass diese Entscheidung der Umwidmung der Hagia Sophia in eine Moschee zum weiteren Zerwürfnis zwischen Christentum und Islam beitragen werde. Verräterisch deswegen, weil nichts dem Evangelium mehr widerspricht,

Samstag, 2. Februar 2019

Menetekel auf Ukrainisch

"Menetekel" nach Rembrandt / Wikipedia
 Im Alten Testament wird vom "Menetekel" berichtet, jenem mahnenden und prophezeienden Schriftbild beim Festmahl des Belsazar (Dan 5,1-30). Man könnte es in Beziehung setzen zu jenem Abschnitt des Neuen Testaments, wo vom armen Lazarus die Rede ist (Lk 16,19-31): Als Warnung an die Lebenden soll der selige Lazarus zu den Verwandten geschickt werden, damit sie im künftigen Leben keine Qualen erleiden müssen... "Sie haben Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören." (Lk 16,29). Tatsächlich bräuchten wir kein Menetekel, wenn uns nicht die ... Dummheit ... gefangen hielte. Ob sich irgendjemand davon freimachen kann? Schwierig wird es hingegen erst dann, wenn wir starrköpfig und verbissen "dumm" bleiben wollen. Auch wir haben Mose und die Propheten, ja: Wir haben den Erlöser, den Christus, der uns beispielhaft vorlebt, wie wir als Christen miteinander leben sollen.
Und so könnte es wie ein Menetekel wirken, wenn der Abt Ephraim vom Vatopaidi-Kloster auf dem Athos-Berg einen Herzinfarkt erleidet, als er in Kiew aus dem Flugzeug steigt, um - gezwungen, wie manche sagen - an der Inthronisation des Primaten auf einer Kiewer Kathedra teilzunehmen, die auf den Tränen und auch auf dem Blut vieler Orthodoxer errichtet wurde. Die selbst ernannten Mächtigen benutzen die Kirche zu ihren Zwecken und wollen Reiche aufbauen, die mit der Botschaft Christi nichts zu tun haben. Es sind Jurisdiktionen, die auf Hass und Abneigung, Antipathie und Groll basieren: So etwas hat in der Kirche keinen Platz und darf niemals Beweggrund für kirchliches Handeln sein. Die Predigt von Patriarch Johannes von Antiochia in Moskau am 1. Februar 2019 (hier einsehbar) macht das sehr deutlich. Ob Beziehungen zum KGB oder zum US-amerikanischen Geldadel - kein Menschen ist ohne Sünde und Fehler und Schwächen. Wer allein sündelose Menschen zu Bischöfen und Klerikern bestimmt wissen möchte, darf und kann sich nicht orthodox nennen, denn er verleugnet den orthodoxen Glauben und seine Schönheit. Als Kirche hingegen können die Menschen gegen Korruption und Verwirrtheit angehen - und die Christen sind sogar dazu verpflichtet, denn das gehört auch zu ihrer Berufung. Freilich: Es ist schwer, ohne zu verurteilen und ohne heftig zu reagieren den christlichen Weg zu beschreiten. Es erfordert viel Klugheit, sogar Weisheit, richtig zu handeln und dadurch das Wirken des Heiligen Geistes zuzulassen. Ein Menetekel braucht es dazu nicht mehr.   

Mittwoch, 23. Januar 2019

Akademische Annäherungen an orthodoxe Problematiken




Aula magna in Padua - Quelle: Wikipedia

Man sollte die Theologie nicht mit der Religionswissenschaft verwechseln. Sehr gut lässt sich auf akademischem Niveau ein die Religionen betreffendes Thema behandeln. Doch dadurch wird es noch lange nicht zur Theologie. Aus orthodoxer Sicht ist die Theologie zuallererst der gelebte und vor allem auch erlebte Glaube. Natürlich wird er kommuniziert, "theologisch" geschieht das jedoch nicht auf dem Niveau der Wissenschaft, sondern auf dem Niveau der Kirchlichkeit, was bedeutet: im Lebensgefüge des Leibes Christi, der die Kirche ist.
Das vorausgeschickt, sollen andere zu Wort kommen, Menschen also, die sich bemühen werden, die Theologie und die Wissenschaft einfließen zu lassen in ihre Überlegungen, die aufgrund ihrer Ausbildung der akademischen Linie zu folgen haben:
Vater Georgij Maximov analysiert die gegenwärtige Situation der Mächtespiele in der Orthodoxie. Er führt an, dass die momentane Verunsicherung in der orthodoxen Welt nicht die erste innerorthodoxe Zerreißprobe darstellt. Die kontroverse Auslegung bestimmter 'canones' im Hinblick auf die konstantinopolitane Autorität zieht sich durch die Kirchengeschichte, wobei die neueste Zeit privilegiert ist. Vor allem seit Beginn des 20. Jahrhunderts versucht der Phanar die Diaspora in seine Jurisdiktion zu ziehen: Finnland, Estland, Polen, Amerika, u.v.m. Der Autor betont, dass es nicht nur die russische Kirche war, die sich dem Anspruch Istanbuls stellen musste. Er zeigt aber auch auf, dass der Phanar mit der Aufhebung der Kommuniongemeinschaft die Kirche von Griechenland bedroht hatte, als diese im Jahr 2003 einige ihrer Diözesen nicht dem ökumenischen Patriarchat unterstellen wollte. Das geschah dann tatsächlich, nämlich im des Friedens willen, nicht, weil dem Phanar dieses Recht zugestanden wurde! Auch das sollte bedacht werden, wenn man die heutige Situation beurteilen möchte, abgesehen von dogmatischen Gründen, die ebenfalls im Raum stehen sollten. Es reicht jedenfalls bei weitem nicht, sich mit der Bemerkung aus der Affäre zu ziehen, dass jede der Parteien doch ihre Leichen im Keller liegen hätte. Das ist zwar korrekt, wird aber der theologischen Realität keinesfalls gerecht, die nicht die sozio-politischen Hintergründe interessiert, sondern das Leben in Christus.
Alexej Ossipov, ebenfalls in Rußland lehrend, beschreibt ganz ähnlich, welche Hintergründe der momentanen Autoritätskrise zugrundeliegen, auch mit einem Blick auf die römischen Verhältnisse.
Metropolit Kallistos Ware referiert auf einem Kongress in Iasi (Rumänien) über eben jene Problematik, die heute zum Schisma in der Orthodoxie geführt hat: "Synodalität und Primat". Mit besonderer Klarheit verweist er auf den Umstand, dass das "Konzil von Kreta 2016" heute von niemandem mehr als pan-orthodox apostrophiert würde. Zu offensichtlich war die pan-orthodoxe Uneinigkeit in der Art und Weise der Organisation und hinsichtlich des Ablaufs, ganz zu schweigen von den zu behandelnden Themen.

Dienstag, 22. Januar 2019

Theologische Annäherungen an die orthodoxe Krisensituation

Die hl. Theophanie
Quelle: orthpedia.de

In der gegenwärtigen Situation einer ängstlichen Verunsicherung bei vielen orthodoxen Gläubigen darf man die tröstenden Momente nicht vergessen! Unter anderem sind das sicherlich die ermutigenden Worte aus Kiew selbst, vom dortigen Metropoliten Onuphrij, der in den Katastrophen der letzten Wochen und Monate eine reinigende geistliche Kraft sieht.
Kürzlich hat sich der Rat des Erzbistums der russisch orthodoxen Gemeinden in Westeuropa, bis 2018 als Exarchat zum ökumenischen Patriarchat gehörend, zu Wort gemeldet. Der ausführliche und sehr klare Text (s. Verweisungen auf franz., engl., dt. Übersetzungen und interessanten Zusatzinformationen im engl. Pressebericht) schließt etwas verwunderlich - allerdings nur auf den ersten Blick:
< [...] „Denn“, so der Apostel Paulus weiter, „Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern ein Gott des Friedens“ (1Kor 14,33); das Gegenteil der Unordnung ist folglich nicht die Ordnung, sondern der Friede. >
Die aktuelle Situation der Kirche spiegelt wider, was der Apostel Paulus anmahnt: Der Phanar in Istanbul verweist immer und immer wieder auf sein Recht, die "Ordnung" herzustellen; und er tut das unter Umgehung oder sogar durch Missachtung der canones, indem er seine Stellung vorschiebt als Erstsitz mit oberster Gewalt. Ganz abgesehen davon, dass nun noch mehr Unordnung herrscht (siehe HIER), hat sich dadurch eine ganz neue Situation ergeben, nämlich eine Schwebesituation in Glaubensfragen. Bis jetzt hat sich noch kein berufenes Organ bereiterklärt, den orthodoxen Glauben mit den jüngsten Ereignisse in der Ukraine explizit in Verbindung zu bringen. Der letzte Teil des oben zitierten Satzes tut das verhalten, wenn er auf die Verkündigung des Evangeliums anspielt und folglich auf das Erbe, dass der Kirche von ihrem Haupt Jesus Christus übergeben wurde: "Meinen Frieden gebe ich euch." (Joh 14,27), das ist die Antwort auf die "Ordnung" der Gesetze, die unantastbar war und den Tod des Gottessohnes nach sich gezogen hat. Denn diese Ordnung war zu einem Alten Bund geworden, an dessen Stelle ein Neuer Bund getreten ist: Wieder ist Gott selbst Urheber dieses Neuen Bundes, und er ist selbst Garant für die Gültigkeit dieses Bundes - durch sein Blut und seine Hingabe, aber auch durch sein Tun. "Er hielt nicht daran fest, wie Gott zu sein, [...] sondern er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz." (Phil 2,5-8). Der letzte Satz des Kommuniqués jenes Rates des Exarchats fordert im Grunde die letzte Konsequenz ein, um die man sich noch herumdrückt: das Bekenntnis zu Christus oder ein Verharren in der Ordnung, die den Frieden entbehrt. Dabei ist dieser Friede Christus selbst (vgl. Eph 2,14)! Der Hinweis auf diese wichtige Schlussfolgerung ist grundlegend: Die Ordnung muss mit dem Erlöser, dem Friedensfürst, verbunden sein, ansonsten bleibt sie Unordnung, ist sie ungeordnet - und Sünde!  

Montag, 22. Oktober 2012

Edzard Schaper, Der vierte König und die Transzendenz Gottes

In seinem Roman "Der vierte König" verarbeitet Edzard Schaper manche seiner eigenen großen Lebensfragen, so die nach dem sinnfälligen Zusammenspiel von Gott und Mensch in seiner Einordnung in die Lebensgeschichte der Menschen. Schaper konzentiert sich auf die Darstellung des sich als ungläubig darstellenden Erzählers Major Frederichs und seine ihn immer wieder in Frage stellenden Bezugspersonen: den jungen (russischen) Sonderführer (in der Wehrmacht!) Fürst Armjaninow, den vierten König und den Abt Ilarion. Eine knappe Passage, kurz vor dem Beginn der dritten Erzählebene innerhalb des Romans - der Legende vom vierten König -, ist so etwas wie ein "Wort für das Leben" der Geschichte, das bis zuletzt den Erzähler fesselt. Der Ungläubige hat sich zu weit vorgewagt auf das dünne Eis des Glaubens. Wie es scheint, hat es ihn nicht tragen können. So durfte er erkennen, dass der menschgewordene Gott immer noch bei den Menschen ist:
"Sehen Sie", sagte der Abt [...], "ich habe Ihnen gesagt, hier sei Christus wie gestern geboren, und Judas hänge jeden Tag unter jedem Baum, Herodes herrsche fürchterlich und vergieße das Blut der unschuldigen Kinder Gottes, aber der vierte König sei auch immer noch unterwegs - Wolodjenka hier, unser kleiner König. Er hat irgendwann einaml, in heiligen Augenblicken, über die wir gar nichts wissen, Christus erlebt, hat den Stern gesehen und ihm nachfolgen müssen. Das kann undkann nicht Geschichte werden für ihn, Vergangenheit; er ist sein ganzes, armes, geschlagenes und doch völlig glückliches Leben in die Gegenwart Gottes auf Erden gebunden. Wir wissen nicht, wo er gewandert ist, bevor er zu uns kam, und was er alles in seinem Leben erlebt hat. Es werden weite, weite Wege im alten Rußland gewesen sein, und doh immer nur Heilswege, könnte man sagen. [...] Er ist heute wie immer der kleine russische König, der vierte von den Heiligen Königen, der einmal aufbrach, als der Stern die Geburt des Erlösers verhieß, und er trauert hier darum, daß er das Kind versäumt, dem lehrenden Heiland nicht gehorcht und den Herrn nur am Kreuz gesehen hat, als er alle Gaben, die er zur Huldigung vor dem Kind mitgenommen, schon unbedacht verschwendet und seine Kraft vertan hatte und nichts mehr besaß als sein müdes, altes Herz, das er dem Gekreuzigten schenken konnte. - Natürlich können Sie diesen Menschen psychiatrisch rubrizieren; Sie im Westen tun das so gern; aber keine Rubrik hebt für Wolodjenka die Wirklichkeit auf..." (Schaper, Der vierte König, S. 94 f.)

Vladimir Kireev - Christus ist unter uns

Samstag, 24. März 2012

Der Gottesdienst als Lebenswirklichkeit


Der Gottesdienst der Kirche besteht nicht nur aus ehrwürdigen und ästhetisch in Form gebrachten Texten und Gebeten, deren Rezitation oder Gesang, in einer bestimmten Ordnung absolviert, den Menschen am Ende der Feier geheiligt entlässt. Die Liturgie ist kein Wellnessbereich, in dem man die Seele baumeln lassen kann. Die Liturgie ist auch kein Kontor mit Kirchenbindung, in dem Gutschrift und Schulden buchhalterisch abgerechnet werden. Für mich ist es ein Grauen, wenn manche Menschen Gott vorrechnen zu können meinen, was dem himmlischen Vater geschuldet ist und was diese Schuld abträgt. Das Gebet ist eines der anspruchsvollsten christlichen Werke, das dem Christen aufgetragen und geschenkt ist. Manchmal will es scheinen, dass diese Maxime aus dem Blickfeld gerät. Nämlich dann, wenn die Größe Gottes dazu verleitet, allzu menschlich ins Rechnen und Abwägen zu verfallen, um die Seele zu beruhigen. Vor dem dreifaltigen Gott ist die Seele wie atemlos; sie versucht, sich in Gott zu wiederzufinden, und stößt an die Grenzen ihrer Geschöpflichkeit. Das Paradoxon Gottes ist sicher auch seine "unermessliche Winzigkeit". Durch sie hat er sich vielleicht (oder auch nicht) so weit entäußern wollen, dass Gott Fleisch und menschliche Grenzen angenommen hat. Ohne das, was wir die Regel, den Ordo, das Typikon nennen, wären wir überfordert. Wir sind eben nicht ohne unsere Begrenztheit denkbar. Und deshalb sind die Regeln ein Geschenk und eine Herausforderung. Zu meinen, die Feier der Liturgie unter "Karenzbedingungen" - unter Rahmenbedingungen, die der Würde nicht widersprechen und die gnadenvermittelnde Teilnahme erlaubt, könnte genügen und könnte unser Gewissen befriedigen, ist wohl ein Trugschluss. Die Liturgie und der Gottesdienst sind nicht rechentechnisch abzuhaken und Gnaden sind nicht zu verbuchen! Und da werden die Probleme nur wieder zu gut sichtbar: Die Diskrepanz der Empfindungen (im Gestern und im Heute) ist eine unauslotbare Komponente in der Überlieferung des christlichen Frömmigkeitslebens. Waren unsere monastischen Vorfahren weniger fromm, weil sie nicht nur nicht täglich die Eucharistie feierten, sondern diesen Unterschied zur heutigen Wirklichkeit auch noch unthematisiert ließen? Dieser Umstand läßt sich nur vordergründig durch Mentalitätsverschiedenheit erklären. Auch die zugrundeliegende "Theologie der Liturgie" spielt nicht die Rolle in diesem Zusammenhang, die wir ihr wohl zuweisen würden. Es ist ein großer Unterschied, ob man Theologie betreibt, oder ob man sich für die Theologie bereit hält. Die Mönche und Mönchinnen des Mittelalters (zumindest läßt sich das aus den alten Texten herauslesen) gehören zu denen, die sich bereithalten. Das ist eines der schwierigsten Werke des Mönchslebens: das Bereitsein ohne Genugtuung, ohne Ergebnis. Das Eingeständnis, dass Gott in der Liturgie handelt, weil der Mensch sich bereithält und tut, was ihm richtig erscheint, wiegt schwer aus dieser Perspektive heraus. Denn sie erlaubt keine "Buchführung", kein Soll und Haben. Heute den Gottesdienst zu feiern, indem "rite et recte" zelebriert wird, aber ohne wirkliche theologische Perspektive im obengenannten Sinne, das ist "Buchhaltermentalität" und wirkt zerstörerisch - nicht auf die herrlichen Gnadengeschenke der Liturgie und des Gebets, aber auf die menschliche Seele, die in ihren Grenzen gequält wird, anstatt während des Gottesdienstes in die heilsame Lebenswirklichkeit Gottes eintauchen zu können.