Samstag, 27. April 2013

Die Kraft der Erinnerung - Iwan Schmeljow



Die Jahreszeiten haben Scharnierfunktionen. Der Frühling ist sicherlich in dieser Hinsicht besonders eindrücklich. Solche Zeiten bringen immer auch eine bestimmte Geisteshaltung mit sich. Man ist empfänglich für die Ereignisse des Lebens. Vielleicht wird der Vorhang, der Zeit und Ewigkeit trennt, an solchen Tagen auch durchlässiger und transparenter. Der Schriftsteller Iwan Schmeljow, der schon öfters hier zu Wort kam, versteht es in seinen literarischen Meisterwerken, die Erinnerung zukunftsträchtig werden zu lassen. Indem er die Vergangenheit nicht dahinsiechen läßt, als wäre sie nur eine unwillkommene Last, sondern in ihr Freude für die Gegenwart und Kraft für die Zukunft sieht, nimmt er der menschlichen Geschichte die Fatalität und läßt sie wieder zur Heilsgeschichte werden. In Schmeljows Kindheit war das Zusammenleben geprägt vom ständischen Bewußtsein der einzelnen Schichten - ob vom Handwerker, Bauern oder Geschäftsmann. Adel und Bürokratie standen wiederum an einem anderen gesellschaftlichen Platz. Trotzdem lebt in der Erinnerung des betagten Schriftstellers das Lebensmodell seiner Kindheit als geglückt und heilsam weiter. Vielleicht berührt das gerade heute die Menschen ungemein - die russischsprachigen vielleicht noch mehr, wenn sie die schöne Sprache Schmeljows im Original lesen: Der ungebildete Handwerker hat nicht nur einen Stehplatz, während der Reiche und Belesene Logenplätze einnehmen darf. In Schmeljows Werk vergibt der Schriftsteller seine Hauptrollen nicht nach Besitz oder Bildung, sondern nach dem Streben des Herzens. "Ondrejka-Frechdachs" (in "Wanja im heiligen Moiskau") kann die Fastenzeiten brechen und respektlos Schabernack treiben - seine Frömmigkeit misst Schmeljow nicht nach dem maskenhaften "Betragen", sondern nach der Hingabe des Herzens. Der alte Kunstschreiner "Gorkin", neben dem Ich-Erzähler Schmeljow die Hauptperson und ein Muster an Regularität, erstarrt vor Rührung vor der Schreinerarbeit Ondrejkas, die dieser zu Ehren der Himmelkönigin angefertigt hat. Reden kann man viel, selbst Regularität kann zum Selbstläufer werden, doch der Schatz des Herzens bleibt im Grunde verborgen. Schmeljow betont das immer und immer wieder. Der aufmerksame Leser merkt schließlich, dass die Erinnerung des Schriftstellers nur dazu dient, die Gegenwart menschlicher und die Zukunft lebenswerter zu machen durch die ständige Orientierung auf das Wesentliche. Schmeljow schämt sich nicht, wenn er es dauernd beim Namen nennt: Es ist der Dreieinige Gott, der nicht genug davon bekommt, in seiner liebevollen Gnade bei den Menschen zu wohnen. - Ein Gedanke, der sich aufdrängt, da die Heiligen der Woche so präsent sind: Maria Gabrielle Sagheddu, Rafael Arnáiz Barón. Beide haben nichts Großartiges vollbracht, sondern sind früh gestorben. Beide wollten, wie Schmeljows Helden, das Beste aus ihrem Leben machen und eine gute Schwester und ein guter Bruder in ihren Gemeinschaften sein. Vielleicht ist es diese Tugend, die sie für heute heilig macht.

       

Freitag, 26. April 2013

Zum Tode von Dr. Reinhard Lettmann, des emer. Bischofs von Münster (+ 16. April 2013 in Bethlehem)

Bischof Reinhard Lettmann ist eine markante Gestalt. Er hat über mehr als 50 Jahre in seinem Bistum gewirkt und durfte lange Jahre seine Geschicke lenken. Heute wird er im St. Paulus-Dom in Münster begraben, nachdem seit Mittwoch die Menschen seines Bistums an seinem Sarg Abschied nehmen durften.
Ein kurzes, aber doch eindrucksvolles Video des Bistums läßt einige Stationen des Lebens von Bischof Reinhard Lettmann Revue passieren:


Vivas in Christo!

Freitag, 19. April 2013

Campus Galli - Eine Klosterstadt als Wellnessmuseum in Leichtbauweise?

Wall-Grabenanlage Campus Galli. Photo: meßkirch.de
Die Klosterstadt in Meßkirch wird zur Zeit kontrovers diskutiert. Man stößt auf allerhand Meinungen und Bedenken, wenn man das Netz durchstöbert. Für einen Realia-Mann wird es interessant, wenn sich die Geister scheiden und die Kontroverse sachlich begründet wird. So konnte man vor längerer Zeit schon (irgendwo?) lesen, dass "eine Architektin als Baustellenleiterin schon mal ein ganz verkehrterAnsatz" wäre, da es eine solche niemals im Mittelalter gegeben hätte. Nun läßt eine solche Aussage sich hinterfragen. Welche Vorstellung steht hinter einem solchen Satz? Wohl auch jene, dass eine Frau nicht in dieses Bild passt, wenn man "à la Plan von St. Gallen" Mittelalter spielen möchte. Das stimmt. Dann kann man jetzt lesen, dass Container, die man erst mittelalterlich verkleiden muss, dem Lebensmodell des St. Galler Klosterplans nicht angemessen seien (ein interpretierende Lesart des Kommentars); denn dann könne man tatsächlich auch amerikanisch inspirierte Phantasieländer besuchen, um sich bespaßen zu lassen. Auch das stimmt.
So verständlich diese Einwände von Personen sind, die sich Authentizität und Echtzeitcharakter wünschen - zu Recht, möchte man sagen! -, so wenig treffen sie doch auch den Lebensnerv der "Klosterstadt Campus Galli Meßkirch": Wie steril wissenschaftliche Ergebnisse für das konkrete Leben sein können, beweist die römische Liturgiereforn nach 1965. Die Liturgie ist lebendig und real, da sie mit Leben gefüllt wird von all denen, die sie feiern (im Himmel und auf Erden also!). Das Klosterstadtprojekt als experimentell-archäologische Forschungsstätte wäre sinnlos, wenn sie nicht im Heute stehen würde - mit allen Zwängen, die das mit ich bringt. Wer als Besucher des Campus Galli nur authentisch geschnittene Kleidung und Werkzeug nach eindeutig datierbaren Fundstücken besichtigt, ohne davon in sein konkretes Leben mitzunehmen, bleibt auf einem hohen, aber hohlen Niveau stehen. Die oben angesprochene Architektin ist ebensowenig anachronistisch, wie die verkleideten Container, denn beide sind nicht Selbstzweck, sondern irgendeiner Motivation geschuldet - sei es der Fähigkeit der Architektin oder der Praxistauglichkeit der Container. Wer Authentiziät wünscht, müsste tatsächlich weitergehen, als er wohl wollte: Er müsste nicht nur handgenähte Kleidung, ausschließliche Fachwerkbauweise und rekonstruiertes Werkzeug einsetzen, sondern müsste auf der Baustelle nach dem St. Galler Klosterplan auch seine Lebensumstände anpassen. Das wäre in höchstem Maße interessant und für die Wissenschaft nutzbar, denn dadurch würden tatsächlich Einblicke erlaubt, die interessant wären. Und ebenso Tatsache ist der Umstand, dass eine gedankliche Aufsplitterung bezüglich der Anwendung von mittelalterlicher Technik, Kleidung, Nahrung, Arbeitsweise, Hygiene und Frömmigkeit die Authentizität in erheblichem Maße verfälscht. Wer kann schon sagen, wie es ist, mit leerem Magen bis zur Vesper zu schuften, und auch dann nur Speise essen zu können, die ohne tierische Fette bereitet wurde (wie in der Fastenzeit für 6 volle Wochen vorgeschrieben)? Wer kann Antworten geben auf die Auswirkungen des monastischen Tagesablaufs auf die Arbeitsleistung der Handwerker und Mönche, wenn der Tag um 1.00 Uhr beginnt und um 17.00 Uhr schließt? Wer kann abschätzen, welchen Einfluss das geistliche Fundament auf eine Klosterbaustelle hat?
Wer verkleidete Container und Frauen in Führungpositionen nicht zulässt, der sollte so konsequent sein, und auch alle anderen (weiß Gott experimentell-archäologisch wesentlicheren!!!) Punkte einklagen! Und er sollte nicht vergessen, dass das Mönchtum, neben allem Geschenk und Charisma, harte Arbeit ist, die weder mystisch durchlebt, noch idealistisch hinter sich gebracht werden kann. Die Klosterbaustelle Campus Galli ist sehr sinnvoll, weil sie neben der Archäologie die heutigen Fragen und Hintergründe der Zeitgenossen nicht außer Acht lässt. Wer authentischer leben möchte, der möge damit beginnen, "in allem Gott zu verherrlichen" - schon das ist eine Lebensaufgabe!

Dienstag, 16. April 2013

Pilger, Spinner, Heiliger - Benedikt-Joseph Labre

Sein Fest fällt mal in die Osterzeit, mal in die Fastenzeit. Seine Verehrung begann schon bald nach seinem Tod, obwohl ihm nicht überall ein guter Ruf vorauseilte. Die Art seines Lebens schreckte selbst damals, im 18. Jahrhundert, die meisten Zeitgenossen ab, obwohl sich die Hygiene der niederen Schichten oft den Zwängen der Armut zu beugen hatte. Der hl. Benedikt-Joseph Labre nahm seine Berufung ernst, sogar sehr ernst, und sein zurückliegendes Zisterzienserleben wird ihm Anhaltspunkte für sein persönliches authentisches Leben geliefert haben. Wie alle heiligen Verrückten, so würde Benedikt-Joseph sich wohl aus jeder Epoche herausstehlen, um sein Charisma nicht verkümmern zu lassen; kein Jahrhundert sähe ihn konform und angepasst, jedes würde ihn ausstoßen - oder auch vergöttern. Alles das wäre ihm in jedem Jahrhundert egal, obgleich er es verstünde, sich jener Abgötterei sorgsam zu entledigen. Denn seine Lebensernte ist die Verherrlichung Gottes. Zugegebenermaßen hatte er seine eigenen Mittel und Wege, ein Leben im Heiligen Geist zu führen. Wer zu seinen Lebzeiten ihm begegnen durfte und ein offenes Herz besaß, den konnte der Vagabund Gottes nicht durch sein Äußeres täuschen. Wer weiß, wie er sich heute kleiden würde? Vielleicht in Lederkluft oder Nietenkutte? Aus wie vielen Kirchen würde er herausgeworfen und in wie vielen Bussen und Bahnen würde er seinen Platz anbieten, obwohl manchem seiner Mitreisenden leise Angst vor ihm in den Augen stünde?
Keine Zeit erkennt ihre Propheten und keine Zeit hat Zeit, sich auf ihre Scham zu besinnen, wenn sie ihr Zeit verpasst hat.      

Freitag, 12. April 2013

Cura animarum - das Kloster, die Kranken, die Gemeinschaft

Monte Sión - Photo: ocso.org
Auf der Webseite des Ordens - siehe hier - wurde gestern die Nachricht veröffentlicht, dass ein neues Kloster am 6. April offiziell eingeweiht werden konnte: Monte Sión in Toledo, Spanien. Wie die Überschrift schon verrät, handelt es sich um ein Kloster der anderen Art, ein medizintechnisch voll ausgestattetes Kloster für Mönche und Monialen der verschiedenen Zisterziensergemeinschaften Spaniens, jurisdiktionsübergreifend. Die Einrichtung eines solchen "Infirmariums", das nicht zu einer ganz bestimmten Klostergemeinde gehört, ist für die Zisterzienser in dieser Form Neuland. Dass man eine solche Lösung in Angriff nehmen musste, ergibt sich aus verschiedenen Überlegungen:
Die Gemeinden werden kleiner und älter, und gleichzeitig kann die moderne Medizin Erstaunliches bewirken, wenn es um die Vitalität und die Heilung von Älteren oder chronisch Kranken geht.
Die Schwestern oder Brüder, die für die Versorgung der Kranken in den Gemeinschaften zuständig sind, brauchen umfassende Ausbildungen, um ihren Dienst überhaupt verantwortlich ausüben zu können.
Der Lebensrhythmus in vielen Klöstern musste sich, oft notgedrungen, an den krankheitsfördernden Lebensrhythmus des Zivillebens anhängen. Das heißt: Aus der wirklich christlichen Zeit wurde oft eine unchristliche - eine Zeit, die nicht Gott und seine Schöpfung im Blick hat, sondern die diktatorische Zwänge der entmenschlichten und scheinbar objektivierten Maß-Zeit.
Alte und Kranke haben in diesem Zeitschema im zivilen Leben selten Platz und werden zu Kunden. Im Kloster zeigen sich die Folgen der "Zeitkrankheit" auf andere Weise. Die Schwestern und Brüder sind oft gezwungenermaßen durch ihre Arbeit und die Notwendigkeiten des Lebens gleichsam solidarisch Kranke in diesem Zeitsystem, manchmal auch gefangen in den alten Mustern ihres Lebens vor dem Klostereintritt. Fatal wirken sich diese Zwänge aus auf die alten und kranken Mitschwestern und -brüder. Ihr Lebensrhythmus darf anderen Zeiteinheiten folgen, als denen einer Funkuhr oder eines sozialversicherungstechnisch gesteuerten Arbeitstages. Deshalb sind die Infirmare der Gemeinden oft nicht nur ausbildungsmäßig, sondern auch kräftemäßig überfordert, da kompetente Hilfe - wo sie von außen in Anspruch genommen werden kann! - in den engen Grenzen der Bürokratisierung arbeitet. Das Infirmerie-Kloster Monte Sión könnte diesem Grundübel der modernen Gesellschaft einerseits gezielt entgegenstehen, indem es in der christlichen Zeit lebt, andererseits entspricht es nicht dem, was das benediktinische Mönchtum ausmacht: Die Gemeinde ist nicht Zweckverband, um besser vor der Welt bestehen und in ihr wirken zu können, sondern zuallererst eine wirkliche Familie, die in den Blutsbanden der Communio eine Einheit und eine komplette Lebensgemeinschaft bildet. Die Älteren und Kranken aus ihr herauszulösen, weil die Versorgung nicht mehr gewährleistet werden kann, ist eigentlich immer ein letzter Schritt, wenn alles andere aussichtlos ist. Allerdings ist das neue Kloster Monte Sión auch ein Zeichen der Demut: Dass der Mensch, obwohl er bis zu einem gewissen Grad verantwortlich ist für seine Mitmenschen, letztlich und Gott sei Dank am Perfektionismus scheitern wird. Und dass die Perfektion der Liebe tatsächlich allein in der Gemeinschaft mit Gott zu finden ist. Vielleicht gelingen die schmerzlichen Schritte der zahlreichen leidenden Schwestern und Brüder, die ihrer Reifung und ihrer Lebensernte entgegensehen, aus ihren Gemeinden heraus auf das neue Terrain in Monte Sión. Es könnte ja tatsächlich als klösterliches Paradies zum Abbild des Himmlischen Jerusalem werden.        

Samstag, 6. April 2013

Bernhard von Clairvaux - ein bornierter Adliger... Benoît Chauvin und die Zisterzienser

Ein Kollege (nämlich dieser hier) hat kürzlich auf eine herrliche Videoaufzeichnung hingewiesen: Benoît Chauvin, der bekannte französische Zisterzienserforscher, spricht über sein Leben, seine Berufung, seine Forschung und seine Liebe zu den Zisterziensern. Er tut das freimütig, in einem erfrischend exzellenten Französisch und mit einer spitzen Zunge, die der Historie und der Hagiographie gleichermaßen geschuldet ist. "Bernhard von Clairvaux war borniert, das könnte man wohl so sagen." Ähnliches hört man immer wieder während des vierzig Minuten dauernden Gesprächs. Benoît Chauvin schöpft aus den Vollen. Man begibt sich auf Zeitreise und durchquert das Hochmittelalter, hält kurz inne bei der Plünderung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer, die ihr Geld größtenteils den Zisterziensern verdanken, schaut den großen Äbten von Cîteaux über die Schulter, die Großes leisten, wenn es um den Buchdruck, die Architektur, die Wirtschaft etc. etc. geht. Und man horcht auf, wenn Benoît Chauvin von seiner eigentlichen Forschungsarbeit spricht - vom scheinbar "bernhardinischen Grundriss" der Klosterkirchen, der eben nicht bernhardinisch, sondern genuin zisterziensisch ist, da die romanische Abteikirche von Cîteaux das erste Glied der architektonischen Kette ist, nicht die Kirche von Clairvaux... Man darf gespannt sein auf das, was noch aus der Feder von Benoît Chauvin fließen wird. Während des Gesprächs kündigt er einen Aufsatz über das eben erwähnte Thema an: Der Ur-Typus der Zisterzienserkirche ist die Kirche von Cîteaux. Man kann ins Schwärmen kommen bei den Namen die fallen: Jean de Cirey, Anselme Dimier, aber auch "Bernhardskongress 1953", Generalkapitel... Und man kommt ins Schwärmen bei der Vision eines Benoît Chauvin für sein Fach, die Historie: Dass es zu entdecken gilt, was noch irgendwo verborgen schläft; aber dass meist das entdeckt wird, was man nicht gesucht hat. ...sagt ein Mann, der sich nicht dem Diktat der chronometrisch versubjektivierten Zeit unterwerfen möchte, sondern der humanen Zeit, der allein christlichen Zeit also!