Montag, 24. Januar 2022

Kirchenpolitik und Ukrainekonflikt

Die Nachrichten sprechen von Krieg, die Politiker klagen an, und die orthodoxen Kirchen finden keine Worte und keine Lösungen in den schweren Verletzungen, die der Kirche zugefügt werden. Sonderbarerweise läuft es in Politik und Kirche nach dem gleichen Muster: Was opportun erscheint, wird durchgewunken, was nicht, wird sanktioniert. Immer wieder ist zu hören, dass es beim Ukraine-Konflikt zwischen Istanbul-Phanar und Moskau um kirchenpolitische Fragen gehe und dass hier von einer den Glauben betreffenden Angelegenheit nicht die Rede sein könne. Allerdings funktioniert diese Einordnung nur dann, wenn die Kirche eine Einrichtung unter anderen ist: als stünde sie etwa neben einer x-beliebigen Staatsform und folgte seinen Gesetzmäßigkeiten, als könne man sie vergleichen mit dem, was gemeinhin "Institution" genannt wird - und was doch etwas ganz anderes ist, als es die Kirche sein kann. Sie ist nämlich tatsächlich Institution, aber im Vollsinne des Wortes: sie ist eingesetzt, nicht von Menschen, nicht von Organen, nicht auf der Grundlage von Philosophien, sondern eingesetzt durch einen Auftrag Christi: das Evangelium zu leben und zu verkünden. Tatsächlich brauchte es nicht viel mehr, um die Kirche zu "instituieren"; das, was wesenhaft zur Kirche gehört, nämlich ihre apostolische Verwurzelung, ihr Leben in der Gegenwart des dreieinen Gottes mittels der liturgischen Vollzüge, die Weitergabe des apostolischen Erbes durch das Evangelium und die Traditionen, all das ist in der Kirche gegeben, seitdem Menschen den Fleisch und Mensch gewordenen Gott erkennen durften und bekennen. Diese Frage, was an der Kirche denn definierbar und konstruierbar sei, hat folglich zum Bruch zwischen der orthodoxen Kirche und der röm.-kath. Kirche geführt. Allein der Umstand, dass der vorstehende Satz in dieser Form wohl keineswegs akzeptiert würde von den Vertretern der röm.-kath. Kirche, zeigt auf, vor welchen Schwierigkeiten die Menschen stehen, die zur orthodoxen Kirche gehören. Denn es kann den Christen ja nicht darum gehen, sich künstlich zu spalten und zu trennen. Dass aber der Katholik die Frage anders stellt, hat mit einer Verschiebung der "Konstanten" zu tun, die in dieser Form auch im römischen Dunstkreis tatsächlich nicht ursprünglich ist. - Über viele Jahrhunderte galt der Grundsatz, dass als untrennbar zu gelten hat, was zur Institution Kirche gehört. - Alle Komponenten der Kirche bildeten in Ost und West zu jener Zeit ein Ganzes, wie auch die Kirche an ihrem jeweiligen Ort und unter ihrem jeweiligen Bischof ein Ganzes war, ohne dass alle diese örtlichen Kirchen aufgehört hätten, die eine Kirche zu bilden. Die Sakramente, die Organisation, die Sprache, die Disziplin - all das konnte sich in ihrer Form - nicht ihrem Inhalt nach - unterscheiden in Ost und West. Was sich nicht unterschied, war die Überzeugung, dass nichts von all dem separiert werden konnte ohne Angriff der Kirchlichkeit. Das ist wohl eines der Hauptprobleme, wenn es um die Kirche in der Ukraine geht. Es ist einfacher, die canones der entsprechenden Konzilien anzuführen, um bestimmte Maßnahmen zu legitimieren, wie es seitens des Phanar geschehen ist. Dass eine solche Argumentation für andere Kirchen nicht akzeptabel ist, kann nicht verwundern: Dem orthodoxen Kirchenverständnis fehlt die Möglichkeit, buchhalterisch hochzurechnen und dadurch das Mysterium der Kirche aufzurechnen. Fatal bleibt der politisch motivierte Hintergrund des kirchlichen Ukraine-Konflikts. Eine "Landeskirche" der Ukraine auf das Fundament einer den Hass und die Abneigung schürenden politischen Strömung zu gründen, entspricht zwar einer gewissen Opportunität, widerspricht allerdings dem grundlegenden Auftrag der Kirche. So ist es keineswegs verwunderlich, dass der Großteil der orthodoxe Kirchen der "nouvelle théologie" des Phanar und jener Kirchen, die ihn unterstützen, eine Absage erteilen müssen. Sonderbarerweise versagt an dieser Bruchstelle diese "nouvelle théologie": Dass es in der Kirche eine "Versöhnung" geben kann, die losgelöst ist von grundlegenden Komponenten dieser (kirchlichen) Versöhnung, darf verneint werden: Philaret Denisenko und alle mit ihm aus der Gemeinschaft der Kirche entlassenen Menschen können nicht durch einen Jurisdiktionsakt zweifelhafter Art Versöhnung finden; dadurch unterscheidet sich der Fall gundlegend von der Wiedereingliederung der russ. Auslandskirche ins Moskauer Patriarchat. Es bedarf einer Versöhnung in der Kirche, mit den Beteiligtenm, nicht eines Rechtsaktes, um wieder das Mysterium der Kirche abbilden zu können. Diese wesentlichen Aspekte außer Acht zu lassen, ist nicht mehr "Kirchenpolitik", ist auch nicht mehr "ein anderer Blickwinkel". Es geht bei diesen Aspekten um grundlegende theologische Wirklichkeiten, die weitreichende Folgen haben für alle Christen. - Eine ganz entscheidende Frage wird sein: Wo existiert und lebt die Kirche weiter mit all ihren Charismen und Sakramenten, mit ihrer Unversehrtheit, die sich nicht auf menschliche Sündlosigkeit und Sophismus stützt, sondern auf die Gnade des Heiligen Geistes, die wirksam werden kann, auch das bleibt wahr, durch die Vermittlung sündiger und unvollkommener Menschen der Kirche.

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