Montag, 31. Januar 2022

Journalismus als Ideologiefalle?

Seit Tagen schon, wenn nicht gar seit Wochen, erscheinen reißerische Titel auf dem Bildschirm, sobald man zum Posteingang möchte. Es ist ermüdend, sie alle zu zitieren oder auch nur zu paraphrasieren... Erstaunlich ist ebenfalls die Bandbreite der Themen, die dergestalt abgearbeitet wird: Ratzinger, Mißbrauch, Putin, Diktaturen, Ukraine, Outing, Kriegsgefahr, Gas, Erdöl, USA, etc. Das alles wird in den Schlagzeilen zu etwas, was sich mit dem interessanten Begriff "Empörungsjournalismus" umschreiben ließe. Eben erst erschien auf dem Bildschirm der Titel: "Die SPD muss mit Gerhard Schröder brechen" (von Jan Rübel). Muss sie das wirklich? Wer befiehlt ihr das? Was hat die SPD davon - und was G. Schröder, was die Parteienlandschaft und was das eigene Gewissen? Politische Bildung ist sicher wichtig und heute mehr als notwendig, aber eine intensive Beschäftigung mit dem Hin und Her der politischen Meinung und dem, was hier und dort als neueste wissenschaftlich gestützte Wahrheit verkauft wird, das sei dem überlassen, der sich einer ziemlich lächerlich gewordenen Strategie von Opportunismus und schlecht versteckter Ironie im Politischen unterwerfen möchte. In Deitschland können wir froh sein über die neuen Anfänge nach dem 2. Weltkrieg, über das, was aufrichtige Menschen nach einer zermürbenden Zeitspanne von 12 Jahren unter und mit dem Nationalsozialismus aufbauen konnten. Vielleicht ist das ja auch der Grund, warum viele Menschen in Deutschland gerne klare Fakten herbeisehnen. Diese Fakten allerdings sind allzu oft nur eine schöne Kulisse: Es fehlt bis heute die grundlegende Aufarbeitung der Geschichte - um es mal allgemein zu formulieren. Leider reicht es ja nicht, sich artig an die Brust zu klopfen und die Fehler Deutschlands einzugestehen. Ich persönlich denke oft: Wahrscheinlich hätte ich nichts besser gemacht, als meine Verwandten und Kompatrioten. Ich hätte wohl ebenfalls zugestimmt, als der rechtmäßigen Staatsführung ihr Recht zugestanden wurde. Ich hätte wohl nur mit Mühe, wenn überhaupt, die sich leerenden Wohnungen und Geschäfte bestimmter Volksgruppen wahrgenommen - ob ich dann die Intelligenz besessen hätte, die richtigen Schlüsse zu ziehen? Ratzinger, Putin, und ich weiß nicht wem noch: Ihnen allen wird schlimmstes Versagen und despotisches, uneinsichtiges Verhalten vorgeworfen. Im Falle Ratzinger mehren sich plötzlich andere Stimmen, die auf einmal schwarz auf weiß vorzeigen, dass eine gegenteilige Aussage zu der bis vor kurzem vorliegenden und schon wiederrufenen ja vor fast zwei Jahren für jeden nachlesbar in einer Biographie erwähnt wird. Der "Empörungsjournalismus" zählt auf die sündelosen Leser und die ganz reinen Intelligenten, die vor der Unvollkommenheit des Anderen voller Ekel aufschreien, während die eigene Begrenztheit und vielleicht auch Sündhaftigkeit mit großer Geste zugedeckt wird. Es hat immer etwas Erschütterndes, wenn die eigene Meinung und Überzeugung, und sei sie auch wohlbegründet, als einzig vernünftige und sinnvolle und rechtmäßige Optionen (Was sage ich: Optionen?) hingestellt werden. Natürlich kann auch da etwas Wahres zu finden sein, aber sicher nicht die Wahrheit und der einzige Sinn! Ich würde gerne den reißerischen Titel des vollendeten Journalismus einer großen deutschen Zeitung lesen, der jetzt, nach doch recht vielen Jahren, anstelle des "Wir sind Papst!!!" sich bereit zeigt zu schreiben: "Wir sind Lügner!!!" Und doch wäre es kein Trost.

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