Montag, 29. August 2011

Heimweh

Heimatliche Waldlandschaft...

Es gibt nur wenige Gefühlsregungen, die an Intensität dem Heimweh das Wasser reichen können. Wenn ich an Heimweh denke, dann kommt mir in den Sinn: Ein innerer Schmerz, der sich unablässig weiterbohrt, ein Sehnen, das immer wieder nach Stillung verlangt, Seufzen aus Herzensgrund, der Blick in weite Ferne gerichtet, ohne wirklich fixieren zu wollen, Sehnsucht nach Geborgenheit.
Dann gibt es die Momente, die urplötzlich an die Heimat denken lassen: Vor allem Gerüche, die auf einmal auftauchen und Bilder hervorzaubern, die längst vergangen sind; aber auch Geräusche, die unwillkürlich einst Gehörtes wachrufen; und nicht zu vergessen: die Bilder der Natur, die sich wie ein Brandzeichen ins Gedächtnis eingegraben haben, um immer wieder hervorzukommen - bei jeder Blüte, bei jedem Lichteinfall, bei jeder Wolkenbank.
Heimweh ist bei mir immer auch der Schmerz über das Verlorene, über die Menschen, die hinter den Ereignissen, Gerüchen, Bildern und Geräuschen stehen und immer stehen werden. Heimweh ist ein Schmerz, der viel mit dem Glauben zu tun hat, und vielleicht noch mehr mit der Liebe, der wir nachjagen, ohne sie wirklich greifen zu können. Heimweh ist vielleicht deshalb ein Vorgeschmack auf die vollkommene Freude in der vollendeten und damit göttlichen Liebe, die alle Schmerzen und alles sich Abquälen aufwiegen wird, morgen etwa, oder übermorgen, oder etwas später.

Donnerstag, 25. August 2011

Notre-Dame de l'Atlas / Tibhirine - fr. Christophe Lebreton, VIII


[23/08/1993) Montag
Ja. Dein Leib hier zu sein, setzt uns dieser Gewalttätigkeit aus, die im Moment noch nicht auf uns zielt.
Wäre es nicht besser, wenn ein einziger Mensch sich für dieses Land opfern würde.
Mein Knecht, sagst du, sei dort + wo ich bin.
Es ist absolut notwendig, dir wirklich und wahrhaftig zu folgen.

Montag Abend
Gelesen von M. Alain Couturier (La verité blessée, S. 180): "Was wir sind, was unser Kostbarstes ist in dem, was wir sind, ein jeder von uns; in dem, was wir sind, ist das am wenigsten Vermittelbare von uns das, was nicht von uns abhängig ist. Was uns geschenkt ist."

In diesem Hest, sind die Worte darin: "um darzubringen"?

(Übers. aus: Le souffle du don. Journal de frére Christophe moine de Tibhirine. Bayard éd., 1999. S. 22)

Dienstag, 23. August 2011

Das Wasser, das zu Wein wurde

Photo: Umschlagbild Collectanea cisterciensia

Das erste Zeichen Jesu, von dem der Evangelist Johannes in seinem Evangelium berichtet, ist die Verwandlung des Wassers in Wein auf der Hochzeit zu Kana. Ein großartiges Geschenk des Herrn an die Brautleute und an uns, die wir Teilhaber sein dürfen, wenn Christus austeilt, ohne abzuzählen oder abzumessen. Ich erinnere mich an eine Predigt anläßlich einer Priesterweihe, die dieses Evangelium ausgelegt hat: Sechshundert Liter Wein in den großen Krügen! Was für eine Menge und was für ein großzügiges Geschenk - kaum, dass man den Wein wirklich vollständig austrinken kann.
Heutzutage sind wir wieder in dieser Situation der Hochzeit zu Kana: Die Vorräte sind erschöpft, wir suchen überall nach dem, was unserem zisterziensischen Leben Halt und Sinn geben kann. Wir feiern, doch der Wein ist zuende.
(Eine Zwischenfrage, etwas abwegig... Was aber setzt man uns vor? Ist es nicht das bittere Wasser der Ästhetik in Gottesdienst und Liturgie, die nicht über ihre Formen hinausgeht? Das Wasser einer leeren Tradition ist nicht weniger bitter: Man setzt es uns vor und sagt dazu, dass man es so immer gemacht hat - doch den Sinn unseres Tuns vermittelt man uns nicht oder nur als Zerrbild.)
Der Wein ist zuende, doch wir sollen die Krüge mit Wasser füllen. Unser Wasser, das können die Riten und Zeremonien sein, die Anstrengungen und die Observanzen: All das bleibt Wasser, wenn wir es nicht auf Christi Geheiß in die Krüge füllen und glaubend davon trinken möchten. Denn alle Observanzen, Riten, Gebräuche und Usus bleiben fade und sind unangebracht, unzeitgemäß sogar, wenn wir sie nicht mit echter und wirklicher Liebe praktizieren. Solange die Riten Ästhetik und Hochgefühl produzieren müssen, fehlt ihnen das Wesentlichste: Dass sie uns helfen wollen, die Heilstaten Gottes zu erfahren, die er uns in der Liturgie, im Gottesdienst erfahren läßt, da der Gottesdienst sein Geschenk an uns ist.
Es wäre traurig, wenn wir nur das Wort Christi hörten: "Füllt die Krüge mit Wasser." Das hätte jeder sagen können. Wir sind zu Christus gekommen, um ihn um Wein zu bitten. Er will ihn uns geben - fässerweise sogar. Gebe Gott also, dass wir nicht in der Erbärmlichkeit trügerischer Äußerlichkeiten steckenbleiben, sondern uns an unversiegbaren sechshundert Litern besten Weines gütlich tun. Oft schon hier und jetzt, unter Mühen, aber trotzdem voller Freude.

Donnerstag, 18. August 2011

Dom Sébastien Wyart - ein Soldat Christi

Dom Sébastien Wyart
Photo: Cistopedia

Aus dem zisterziensischen Menologium:
"Sébastien Wyart wurde im Jahre 1839 in Bouchain in Nordfrankreich geboren. Nachdem er bei der päpstlichen Garde bis in den Offiziersrang aufsteigen konnte, tauschte er die Uniform eines Soldaten gegen das Mönchskleid ein und wurde Soldat Christi im Kloster Mont des Cats, dessen Abt er im Jahre 1883 wurde. Im Jahre 1887 wählten ihn schließ-lich die Mönche von Sept-Fons zu ihrem Abt und gleichzeitig zum „Praeses“ der Kongregation von Sept-Fons. Das Generalkapitel 1892 in Rom, bei dem sich drei der vier trappistischen Kongregationen vereinig-ten, wählte Dom Sébastien zum Generalabt. Seine Sorge sollte das geist-liche Wohl der ihm Untergebenen bleiben. Mit aller ihm zustehenden Autorität warb er für die Einheit des Zisterzienserordens und war bereit, seine Ämter niederzulegen, wenn er und sein Amt dieses Ziel behindern würden. Er durfte es noch erleben, dass Cîteaux, die Mutter aller Zister-zienserklöster, im Jahre 1898 wiederbesiedelt werden konnte. Nach sei-nen letzten Kämpfen während der schwierigen politischen Situation zwischen Staat und Kirche in Frankreich, starb er nach schweren Leiden am 18. August des Jahres 1904 und wurde in Tre Fontane begraben."
Dom Sébastien Wyart hat als Generalabt der Zisterzienser Strengerer Observanz den Traum der Einheit des Ordens nie aus den Augen verloren. Unmittelbar nachdem ihm wieder gestattet worden war, mit den Mönchen "communis observantiae" zu kommunizieren, verfasste er ein zuvorkommendes Schreiben an P. Gregor Müller (Wettingen-Mehrerau), den Redaktor und Gründer der "Cistercienser Chronik", in dem er in kurzen Worten darlegt, warum die Fusion dreier "Trappisten"-Kongregationen (also ohne die "Trappisten" der Kongregation von Casamari) gewünscht und gefördert wurde - vor allem auch römischerseits. Die Unterschiede in der Observanz spielten zur damaligen Zeit natürlich keine unbedeutende Rolle, obwohl uns diese Problematik vom heutigen Standpunkt aus betrachtet sehr geringfügig vorkommen mag.

Montag, 15. August 2011

P. Séraphim, ein Athosmönch in Frankreich (Île de Porquerolles)

Entschlafung der Gottesmutter. Freskomalerei in Niederbayern. Quelle: kreuzgang.org

Zum Festtag der Aufnahme Mariens in den Himmel, der Patronin des Zisterzienserordens, hier eine Verweisung auf ein kurzes, französischsprachiges Video, wie durch Zufall gefunden auf der Seite "Orthodoxologie"! P. Séraphim hat als Mönch der Zisterzienserabtei Bellefontaine (Frankreich) zusammen mit P. Placide Deseille einen monastischen Neuanfang gewagt. Sie wurden 1977 auf dem Athos Mönche des Klosters Simonos Petra und konnten später nach Frankreich zurückkehren, um dort das athonitische Leben anzusiedeln. Das Kloster Saint-Antoine-le-Grand in Saint-Laurent-en-Royans wurde zum geistlichen Zentrum für zahlreiche Gläubige. Die Trennung von Bellefontaine, der Wechsel von Bischof, Abt und Konfession - das alles waren Schritte, deren Tragweite weder die eine noch die andere Seite ermessen kann. Das segensreiche Wirken der monastischen Gemeinschaften athonitischer Prägung in Frankreich und weit darüber hinaus soll als Antwort auf Fragen hier und dort genügen.

Notre-Dame de l'Atlas / Tibhirine - fr. Christophe Lebreton, VII


[15/08/1994]
Nach dem 15. August...
Kohelet meint: "Es gibt eine Zeit zum Töten und eine Zeit zum Heilen." Alle sind krank geworden über dem Morden, das diese unsere Zeit zerstört. Und du eröffnest am Kreuz die Zeit des Heilens. Meine Kraft und mein Bollwerk. Dir vertraut mein Herz: er hat mich geheilt, mein Fleisch ist wieder aufgeblüht. Wie steht es um das Gerechtsein, das Wahrhaftigsein meines Fleisches? Fleisch des Lazarus im Grab. Freund, wirst du mich weiterhin die Verwesung schauen lassen?
Heute höre ich im Evangelium, dass HOCHZEIT gefeiert wird: Der Sohn des Königs heiratet eine Frau... und alle sind eingeladen.
(Übers. aus: Le souffle du don. Paris: Bayard, S. 105)

Samstag, 13. August 2011

Gedenken an den Mauerbau in Berlin am 13. August 1961

Die Berliner Mauer am Brandenburger Tor 1961
Photo: Wikipedia. Autor: Bundesarchiv, Bild 145-P061246 / o.Ang. / CC-BY-SA

Wenn von der Berliner Mauer die Rede ist, dann kommt mir immer auch das Bild in den Sinn, das die Mauern in den Gehirnen der Menschen benennt. Als Deutscher kenne ich die "Mauer" noch aus eigener Erfahrung, trennte sie doch meine Familie empfindlich und nachdrücklich. Wäre die Festlegung auf Ethnien und Völkerschaften nicht so willkürlich wie begrenzt, so würde ich mich gleichzeitig als Pole, Slawe, Deutscher, Russe und ... Europäer bezeichnen, und alles das trifft zu. Die unselige Mauer hat es nicht vermocht, Familien und Völker so weit auseinander zu bringen, dass sie ihre familiären und emotionalen Bande vergessen. Noch viel weniger hat sie es vermocht, ihre Diktatur der Ausschließung verewigen zu können. Die große Traumwelt, die einige wenige Machthaber für sehr viele Menschen erträumen wollten, hat sich durch ihr Unrechtsystem und ihr Machtvakuum letztendlich selbst zerschlagen.
Als Mönch denke ich bei Mauern oft auch an die mauern zwischen Menschen und Meinungen. Als Zisterzienser kommt mir dann die überhöhte Mauer der Ideologie in den Sinn, die sich mittels Observanzen und unterschiedlichen Lebensweisen in die Gehirne der Menschen gestellt hat. Brauchen wir heute wirklich noch die Mauern der Ignoranz - des Nichtverstehens und der Intoleranz, wenn ich Brüder oder Schwestern sehe, die anders leben als ich, aber trotzdem Zisterzienser sind? Es ist für mich beinahe noch peinigender, die Folgen dieses ideologischen Mauerbaus zu tragen, als an die Zeit der Familientrennung durch das Berliner Mauerkonstrukt zurückzudenken. Die Mauer zwischen Observanzen und Jurisdiktionen, die heute noch in den Köpfen mancher Zisterzienser und einiger Papiere existiert, ist eine Mauer, die sich bis heute klug und rechtmäßig dünkt. Dass das Infragestellen dieser ideologischen Mauer nun selbst zur Ideologie abgestempelt wird, gehört zu den Peinlichkeiten kirchen- und ordensrechtlicher Selbstwahrnehmung, die mir weitaus unverständlicher sind, als es ein völlig destruktiver, doch aller Kraft zur Selbstkritik entbehrender Kommunismus-Sozialismus ist. Das deutsche Volk, mein Volk, hat die Knechtschaft des Sozialismus abschütteln können. Gebe Gott, dass es eine neue Knechtschaft der Gottesferne nicht zulassen wird. Meine Kirche, die von Cîteaux, hat in neunhundert Jahren Prüfungen und Niederlagen durchleben müssen. Gebe Gott, dass nicht Kleinkariertheit und Angst ihre Ratgeber sein werden, sondern demütiges Vertrauen darauf, dass nicht die Observanzen uns verbinden, sondern dass es die Liebe ist.

Sonntag, 7. August 2011

Fest der Verklärung des Herrn

Christi Verklärung

Die "Hochzeit" des Mönchs: Sich im Licht der Verklärung sonnen zu dürfen. Das heißt aber, sich ziemlich vollständig entblößt zu sehen und ziemlich genau alles das im Auge zu haben, was die Realität im geistlichen Leben ist, nämlich Hunger und Durst, physisch und seelisch. Das Licht der Verklärung wird zum grellen Licht der Wahrheit. die alten Mönche und Nonnen wußten gut, was es bedeuten kann, sich dem brennenden Licht der Gottesliebe auszusetzen. Dieses Licht verbraucht alles an Energie, es läßt nicht mehr viel zurück von dem, was man heute Selbstbestimmung nennt. Umso mehr strahlt es allerdings auch im Menschen auf, der sich so hinzugeben versteht: Wenn alles aufgebraucht ist, was der Mensch zu bieten hat, bleibt die unermessliche Freiheit zurück, die den Kindern Gottes eigen ist. Ein sonderbarer Gedanke vor dem Hintergrund immer neuer Experimente in Kirche und Ordenswelt. Manchmal scheint es mir, als hätten die Älteren von uns unter der Knechtschaft der Observanzen größere Freiheiten besessen als wir Heutigen. Was heute als frei und "der Zeit gemäß" daherkommt, kann Diktatur und Knechtschaft sein, da die Freiheit nicht erfahrbar wird. Die Verklärung Christi hat deutlich gemacht, dass das Kreuz und die Auferstehung beieinander liegen, dass die Ekstase und das Leid zusammengehen und die menschlichen Bemühungen ihre Vollendung in der Gnade finden. Auf Jesus zu schauen und sein Licht der Verklärung aufzunehmen, das bedeutet auch, Zeuge zu sein vor der Welt - selbst in der Wüste des Klosters, in der Abgeschlossenheit und Einsamkeit. "Hic Rhodos" - hier ist das Jetzt und Heute, hier finde ich meinen Nächsten und die Welt, der das Licht Christi verkündigt sein will. Für uns allerdings gilt: Ohne viele Worte!

Donnerstag, 4. August 2011

Notre-Dame de l'Atlas / Tibhirine - fr. Christophe Lebreton, VII


Aus dem Tagebuch von fr. Christophe:
Donnerstag, 4. August [1994]
Hl. Jean-marie Vianney, Pfarrer von Ars. Ich ruhe mich aus. Ich bin auch in der Einsamkeit. und ich wünschte, ich könnte beten. 5 Personen wurden gestern in Algier ermordet. Sie sind Franzosen. Man spricht darüber und gerade das ist es, was ihre Mörder wollen. Die Terroristen haben etwas zu sagen, was die Regierung nicht hören will. Das unterdrückte, erstickte Wort, es explodiert im Zorn, im Wahnsinn, der tötet. Und trotzdem nehme ich diesen geschenkten Tag an. Eine gewisse Müdigkeit - eine alles überschwemmende Trägheit - liegt in der heißen Luft. Ein Bild drängt sich vor: Der Herr ist mein Hirte. Nichts wird mir fehlen. Er läßt mich ausruhen.
Und ich höre dich zu mir sagen: Ich bin der gute Hirt.
ich bin es ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich
WIE der VATER mich kennt und wie ich den Vater kenne
und ich verlasse meine Seele für die Schafe. Ich gebe ein
Leben hin für
[geben hat den Sinn von ablegen, darbieten, vro allem hinsichtlich der Opfergabe]
A. Chouraqui übersetzt Vers 12 von Jesaja 53 folgendermaßen: weil er sein Leben in den Tod nackt gemacht hat.
Du bittest mich, das LEBEN zu wählen, doch in dieser Wahl
ist das Ereignis deines Todes gegenwärtig, durch den dein Leben zu mir kommt
und also auch dein Nacktwerden bis zum Letzten.
Letzten Sonntag war ich am Ende... Ich hätte mitleiden können mit der Müdigkeit meiner Brüder, mit der um sich schlagenden Hoffnungslosigkeit im Herzen der Algerier... Doch mein unausweichliches Ich war noch da: genervt im Chor, verängstigt durch den Mangel an Wasser...
(...)
(Übers. aus: Le souffle du don. Journal du frère Christophe... Bayard 1999, S. 99-100)