Mittwoch, 12. Januar 2022

Orthodoxie, Politik - und die "Deutsche Tagespost"

Die Meldungen zum angespannten Verhältnis des griech.-orth. Patriarchats in Alexandria und dem Moskauer Patriarchat infolge des Zerwürfnisses um die ukrainische Kirche mehren sich. Die "Deutsche Tagespost" hat einen kurzen Text aus der Feder von Stephan Baier veröffentlicht unter der Überschrit "Der Riss durch die Orthodoxie wird immer tiefer". Der Text an sich ist griffig formuliert und lässt wohl nur den orthodoxen Leser stutzig werden: Wie kann es sein, dass ein Satz, der erste des Textes, den Kontext dermaßen verkürzt, dass der wenig vertraute Leser gleichsam in eine Richtung denken muss, die dem Autor eigen ist? Der Satz liest sich folgendermaßen: "Der tiefe Riss, der seit dem russischen Boykott des Panorthodoxen Konzils auf Kreta 2016 durch die orthodoxe Welt geht, ist neuerlich tiefer und breiter geworden." Die russische Kirche hatte ihre Teilnahme nicht etwa im Alleingang ausgesetzt, sondern erst nach der Absage von einigen anderen orthodoxen Kirchen. Der übernächste Satz ist zumindest eingehend zu prüfen, was hier nicht geleistet werden kann; es scheint zumindest so, dass die historische Kirche von Alexandrien einen anderen Jurisdiktionsbereich beanspruchen wollte, als es der folgende Satz weismachen möchte. Zitat Tagespost: "Damit verletzt Moskau die Rechte des Patriarchats von Alexandria, das in der orthodoxen Welt seit jeher für ganz Afrika zuständig ist." Sonderbarerweise kann schon der nächste Satz wiederum in Erstaunen versetzen, Zitat: "Diese kirchenpolitische Offensive ist nicht nur mutmaßlich, sondern erklärtermaßen ein russischer Racheakt dafür, dass sich der Patriarch von Alexandria, Theodoros, im Streit um die Jurisdiktion über die Ukraine klar auf die Seite des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios, stellte." Den Verfasser dieser Zeilen würde sehr interessieren, wie der "russische Racheakt" als ein "erklärtermaßen" gesetzter dargestellt werden kann, wenn nicht aufgrund eines grundlegenden Missverstehens der orthodoxen Ekklesiologie. Denn das Handeln der russischen Kirche bezieht sich - erklärtermaßen - auf das funktionierende Leben als Kirche, nicht als Abstrafung für verletztes Vertrauen o. ä. Freilich stimmen in diesem Punkt die "theologischen Systeme" der röm.-kath. Kirche und jetzt wohl auch des Phanar nicht mit dem orthodoxen Verständnis der Kirche überein. Damit ist nun recht deutlich in Worte gefasst, was seit Beginn der eigentlich doch kirchenpolitischen Ukraine-Frage von den Vertretern der russischen Kirche zu bedenken gegeben wird: Die Kirche kann nicht als buchhalterisches System funktionieren, sondern sie lebt einzig durch ihr grundlegendes Sein in der Gegenwart Gottes - was nun wieder recht schwach ausgedrückt ist. Deshalb ist das wirklich Beunruhigende an den Ereignisse rund um die Ukraine, den Phanar, Griechenland, jetzt auch Alexandria und Moskau nicht ein vermeintlicher "Riss durch die Orthodoxie", sondern vielmehr das durchaus mit handfesten Argumenten belegte Bemühen der russischen Kirche, den Gläubigen z. B. in Afrika das kirchliche Leben weiterhin ermöglichen zu wollen - da sich, gelinde ausgedrückt, ein Mangel an "Kirchlichkeit" eingestellt hat durch die Ereignisse rund um die Errichtung einer durch den Phanar geschaffenen ukrainischen Parallelstruktur namens "Orthodoxe Kirche der Ukraine". Zu verstehen ist diese Argumentation nicht mit der Schablone scholastischer Beweisführung. Zumindest will es scheinen, dass der Redakteur Stephan Baier genau dieser Linie zu folgen scheint, mit der er beim etwas weniger polarisierten Leser nicht wenig Verwunderung auszulösen versteht. Ein weiteres Zitat soll den Leser objektiv informieren: '„Wenn ein Hierarch mit einem Schismatiker konzelebriert, fällt er selbst ins Schisma“, begründete der Außenamtschef des Moskauer Patriarchats, Metropolit Hilarion, diesen Bruch.' Das ist ehrenvoll und journalistisch korrekt zitiert. Dieser Satz bleibt vor dem komplexen Hintergrund der orthodoxen Verfasstheit aber ein rechtes Trostpflaster für verletzte Slawophile. Und schwubb, befinden wir uns wieder mitten im II. Weltkrieg, zumindest dem Vokabular nach: "Die russische Afrika-Offensive ist nicht einfach nur eine grobe Missachtung der Rechte des Patriarchats von Alexandria, sondern eine Warnung an all jene orthodoxen Kirchen, die treu zum Ersten, Ehrwürdigsten und Ehrenoberhaupt der weltweiten Orthodoxie, dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, stehen. Die Loyalität zu ihm und seinen Entscheidungen hat offenbar einen hohen Preis, seit Moskau einseitig mit Konstantinopel gebrochen hat." Es ist die "Afrika-Offensive", die Rechte missachtet, aber warnen soll, dass nicht ein hoher Preis zu zahlen sein wird. Der hohe Preis, ist das nicht zuallererst die Abkehr von der orthodoxen Ekklesiologie? Diese Ekklesiologie ist nicht erst seit 2016 oder 2018 in Gefahr; sie war verwundet schon durch kirchenpolitische Schachzüge, sei es in Istanbul, sei es in Moskau, sei es andernorts. Doch immer wieder sind die Gläubigen aufgestanden und haben die Ekklesiologie verteidigt, indem sie durch Wort oder Tat aufgezeigt haben, was zu tun ist, um dem Glauben der Apostel treu zu bleiben. Mit Verwunderung liest sich der Schlusssatz des Tagespost-Textes: "Die russische Orthodoxie setzt offen auf weltliche Machtmittel zur Durchsetzung ihres Standpunkts." Damit möchte S. Baier wohl den vorangehenden Satz erklären, in dem es um die Sorge der russischen Kirche auch für die Orthodoxen in der Türkei geht: "Die russisch-orthodoxe Kirche kann sich nicht weigern, die Orthodoxen in der Türkei zu fördern." (was ein Zitat ist von Metropolit Hilarion). Interessanterweise scheint das jenes "weltliche Machtmittel" zu sein, was Baier im letzten Satz anführt: Es wäre freilich ein völlige Verdrehung und Verkennung dessen, was man selbst als Kritiker des Metropoliten Hilarion seinen Worten unterstellen könnte. Heißt das, dass die wirklich theologische Barriere zwischen Ost und West nunmehr auch intellektuell unüberwindlich wird? "Möge Gott uns vergeben!"

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