Dienstag, 22. Dezember 2020

Gott hat sein Gesicht verloren ...

... Das könnte man meinen, wenn man sich umsieht. Natürlich ist das unmöglich: Gott hat uns allen ja sein Gesicht gegeben, da er der Schöpfer ist. Wir sind als Kirche sein Leib, ein mystischer, nur im Geheimnis wahrnehmbarer Leib zwar, aber trotzdem real und greifbar. Die Kirche hat fundamentale Stützen: die apostolische Lehren und das Glaubensbekenntnis. Gerade mehren sich die Botschaften verschiedener Bischöfe. Sie mahnen alle die Einheit der orthodoxen Kirche an. Welche Antworten geben die Stützpfeiler der Kirche auf die ungelösten Fragen, die häufig in diesen Bischofsbotschaften angesprochen werden? Einmal ist es die grundlegende Antwort überhaupt: Als Kirche und als Kirchen in Land X und in Land Y haben wir auf Christus zu schauen, nicht auf die Politik, auf Grenzen, auf Ethnien. Eine zweite, vielleicht drängendere Antwort aus apostolischer Zeit ist die Blickrichtung: die Kirche, bestehend aus ihren Bischöfen zusammen mit den Gläubigen, kennt keine andere Hierarchie als die apostolische, bei der das Haupt Christus, alle anderen aber Geschwister sind, wenn auch mit unterschiedlichen Augaben betraut. Daraus ergibt sich die Verfassung der Kirche, die notwendigerweise hierarchisch ist, was aber bedeutet: die Gemeinschaft der Kirche, vertreten durch die Bischöfe (von denen manche auch Patriarchen genannt werden), trifft Entscheidungen im Blick auf ihr Oberhaupt, Christus, in Zusammenkünften und auf Synoden. Diese apostolische Verfassung der Kirche ist keine kirchenrechtliche Spitzfindigkeit, sondern ein sakramentaler Ausdruck ihres Wesens. Einfacher ausgedrückt bedeutet das: Durch die Bewahrung der apostolischen, orthodoxen Verfasstheit der Kirche dürfen wir alle am sakramentalen Leben der Kirche teilhaben. Denn es sind weniger bestimmte Riten und Rubriken, die die Sakramente beseelen, sondern es ist der unverfälschte Glaube der Kirche, in den diese Mysterien mittels äußerer Formen eingepackt sind. Verliert also Christus sein Gesicht, wenn die Kirche mit allen Kräften versucht, am apostolischen Glauben festzuhalten? Auch das kann nicht sein. Denn das, was gerade geschieht - Streit, Unfriede, Ärgernis, Ablehnung, Auflehnung -, das alles lässt zu, dass wir Menschen unser Gesicht vielleicht voreinander zu verlieren scheinen. Denn eines ist klar: Ein Christ verliert sein Gesicht nicht, weder durch die Sünde, noch durch Ehrenrührigkeiten... In dieser Weihnachtsfastenzeit wird daher sehr deutlich, was uns fehlt. Der Blick auf die Würde des Menschen, die soweit geht, dass ein früher Bischof sagen konnte: "Gott wurde Mensch, damit der Mensch vergöttlicht werde." (hl. Athanasius) Wenn dem so ist, dann müssen wir alles daransetzen, diese Würde des Menschen - jedes Menschen - zu verteidigen. Natürlich beginnt das im Kleinen, bei jedem Entrechteten oder Gedemütigten. Aber im Blick auf die Kirche heißt das eben auch: Die Einheit der Kirche kann nur in der gelebten Wahrhaftigkeit gefunden werden. Daher wird es keine Kirche in der Ukraine geben können, die auf Hass gegründet ist. Ein solches Konstrukt kann weder Kirche genannt werden, noch wird sie jemals apostolisch heißen. Deshalb sagt der Bischof von Kiew auch: "... bewaffnet Euch mit dem Gebet!" Und im Grunde ist das Gebet die einzige sinnvolle Waffe gegen den Hass! Es geht in dieser Frage nicht wirklich um Patriarchatsstreitigkeiten oder Vormachtstellungen. Es geht um die Kirche als Leib Christi! Nur aus diesem Grund gab es keine andere Möglichkeit, als uns allen ein Höchstmaß an liebender Verbundenheit abzuverlangen - durch die Aussetzung der "communio", die niemals auf Hass gegründet sein kann. Denn - in aller Ehrlichkeit gesagt - es ist doch völlig egal, welcher Bischofssitz die Verbindung zur Kirche gewährt, ob nun Moskau oder Istanbul, etc. Dass nunmehr aber die politischen Interessen umso deutlicher werden, sollte für die Kirche als ganze nur noch mehr Antrieb sein, sich entschieden gegen den Hass zu wenden und die Versöhnung zur Tat werden zu lassen. Das wird nur gelingen, wenn jeder bereit ist, auch die Geschichte als authentischen Ausdruck der Anwesenheit Gottes zu werten: dass "Konstantinopel" für die griechische Welt einen Halt darstellt, dass die "Rus" bis heute eine staatenverbindende Wirklichkeit sein darf, dass die Kirche in allen Sprachen und Kulturen auf eine je andere Art gegenwärtig sein kann. Nur dann übrigens sind wir wirklich orthodox, da jede Kleinkariertheit im Widerspruch steht zur apostolischen Lehre. Denn sonst hätte der Erlöser der Welt niemals in einer Höhle geboren werden und niemals am Kreuz sterben dürfen. Er hätte sein Gesicht verloren, so denken wir sicher.

Montag, 14. Dezember 2020

Krankheit und Gesetz

Die Evangelienperikope von der verkrümmten Frau (Lk 13,10-17) ist eine mahnende Botschaft an uns. Der Erlöser wird aus sich heraus tätig, ohne dass die Frau mit einer Bitte an Ihn herantritt. Jesus heilt sie und provoziert dadurch ein schweres Ärgernis: Am Sabbat in der Synagoge vollzieht Er die Heilung - gegen das Gesetz und seine Vorschriften! Auch wir sind diese verkrümmte Frau, und in mancherlei Hinsicht können wir uns sogar permanent in ihr wiederfinden. Christus heilt uns beständig, manchmal bitten wir Ihn darum, manchmal haben wir andere Sorgen... Solche Sorgen, die vom Wesentlichen ablenken, finden sich in der Schriftstelle: "Sechs Tage gibt es, an denen man arbeiten darf; an denen kommt und lasst euch heilen, aber nicht am Sabbat!" Der Wächter über Zucht und Ordnung in der Synagoge ist emört über diese Schändung des Sabbat - und das Gesetz ist wohl auch auf seiner Seite. Und doch ist es für ihn nur ein Vorwand. Er sieht weder die geheilte Frau, noch sieht er den Erlöser und Herrn, sondern er wird von Zorn und vielleicht auch Neid gepackt. Uns geht es tatsächlich oft genauso. - Die "Tempelordnung" läuft Gefahr, ausgehebelt zu werden. Das "Typikon" wird missachtet. Altes Recht und älteste Bräuche sind in Gefahr. Leichtsinn und Unordnung herrschen in der Kirche Christi... Alles das mag stimmen, alles das mag bedacht werden. Doch wirklich wichtig ist zuallererst: Der Herr und Erlöser der Menschen heilt hier und jetzt durch Sein sakramentales Tun, das zwar nicht rubrikengemäß ist, aber das die Fülle aller Tradition und Gesetzmäßigkeit in sich trägt. Und das ist tatsächlich auch orthodoxe Lehre: der Blick über die äußerlichen Kanones hinaus auf das Wesen des sakramentalen Handelns. "Diese Tochter Abrahams, die der Satan schon achtzehn Jahre lang gefesselt hielt, musste sie nicht am Sabbat von dieser Fessel befreit werden?" Der Herr antwortet uns exakt und mit Akribie: Seine Heilung ist der Sieg über die Fesseln Satans. Dieser "Verwirrer", der uns alle in Atem hält, musste gerade am Sabbat seine Niederlage entgegennehmen. Bei uns scheinen nur solche recht groben Winke mit dem Zaunpfahl - wenn überhaupt - Wirkung zu zeigen. Und wie lange kann man nicht brauchen, um diese längst und nur zu gut bekannte Perikope so zu verstehen? Dass all das, was uns trennt und immer mehr trennt, weil es scheinbar gegen das Gesetz und gegen die Kanones ist (und zwar auf allen Seiten!!!), nur deshalb trennen kann, weil wir nicht auf den Erlöser blicken, sondern auf das, was um ein Vielfaches kleiner und sogar erbärmlicher ist als Er. Wohlgemerkt: Es geht hier nicht um die Abschaffung oder Verwässerung der Kanones, des Typikons oder der Kirchengesetze! Nichts weniger als das will die Perikope ausdrücken. Denn Christus sagt eindeutig und mit klaren Worten: "... musste sie nicht am Sabbat von dieser Fessel befreit werden?" Der Sabbat, der hier für all das steht, was uns äußerlich als Kirche zusammenhält und trägt, ist absolut unerlässlich für diese Heilung, denn erst mittels dieser äußeren Form wurde der Satan wirklich besiegt, da der Erlöser auf das Wesentliche hingewiesen hat: die Liebe in ihrer Vollform. Deshalb klingt der letzte Satz der Perikope wie das Finale einer Synphonie: "Als Er dies sagte, wurden alle Seine Widersacher beschämt, und das ganze Volk freute sich über alles Herrliche, was durch Ihn geschah." Wir, die Widersacher, und wir, die Kirche, sollten uns schämen, wenn wir das Gute aus dem Blickwinkel des "Verwirrers" vorgegaukelt bekommen und es nicht als solches erkennen (wollen?). Denn eigentlich dürfen wir uns aufrichtig freuen über die Wunder Christi, die jeden Tag vor unseren Augen geschehen. Es ist ein Evangeliumsabschnitt gegen Kurzsichtigkeit in all ihren Formen!

Freitag, 27. November 2020

Verschobene Realitäten

Neben den zahlreichen Meldungen der letzten Tage, die Angst und Unsicherheit verbreiten (wollen?), da sie das existenzielle Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit in Frage stellen, wenn es um ihre Gesundheit und das Wohlergehen geht, kreisen auch andere im Netz, die für Christen auch existenziell sind. Es sind die Meldungen zu Äußerungen von Patriarch Bartholomäus zum Status der orthodoxen Christen in der Ukraine. Wer bislang von einem rein rechtlich fußenden Streit zwischen Ersthierarchen (Moskau / Phanar) ausging, wird allerspätestens jetzt begriffen haben, das dem nicht so ist. Es geht in der Ukraine-Frage um nichts weniger als den orthodoxen Glauben, und zwar um die grundlegenden Fragen der Kirche. Patr. Bartholomäus, so wird er in einem diesbezüglichen Beitrag zitiert, "toleriert zeitweilig" (- d.h. duldet die Zugehörigkeit zu einer anderen Denomination als der von ihm eingesetzten -) die Gläubigen der autonomen Ukrainischen orthodoxen Kirche (des Moskauer Patriarchats). Es ist spannend, die Argumentation zu verfolgen, zeigt sie doch, wie sehr die gesunden Grundlagen der orthodoxen Theologie schon beiseite geschoben sind. Für den Phanar gilt: Als kirchliches Haupt der "Ökumene" ist es recht und billig, alle Fragen innerhalb der "Ökumene" zu behandeln, auch unter Umgehung der Ortskirche. Das Problem beginnt schon an diesem Punkt: Die "Ökumene" war ein klar umschriebener Begiff des byzantinischen Reichs, der - grob gesagt - den ganzen Erdkreis umfasste. Die "Ökumene" unterstand dem Kaiser in Byzanz per definitionem. Wenn sich heute jemand "ökumenischer Patriarch" mit Sitz in "Konstantinopel" nennt, dann darf gefragt werden, welches Selbstverständnis er hat. Die Frage eindeutig zu beantworten, verbietet sich in diesem Kontext aus Respekt vor dem Bischofssitz in Istanbul. Dass es heute keine Stadt Konstantinopel mehr gibt, dass der Kaiser in Konstantinopel schon lange nicht mehr existent ist, das sind Tatsachen, die ein Christ nicht verdrängen sollte und auch nicht verdrängen darf. Beides, der Kaiser und seine Stadt Byzanz, sind für die christliche Botschaft heute tatsächlich völlig bedeutungslos. Der Erzbischof von Istanbul tut recht daran, zum Wohl der ihm unterstellten Christen alles ihm Mögliche zu tun - nur eines sollte er nicht: den orthodoxen Glauben, der untrennbar mit der Kirche verbunden ist, ins Lächerliche ziehen. Das jedoch geschieht momentan in großem Stil durch Wort und Tat. Das Wesen der Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen, versammelt als Glieder Christi in der Gnade des Heiligen Geistes, kann unmöglich dem politischen Kalkül untergeordnet werden, wie es momentan geschieht. Das Weihesakrament ist sichtbarer und unsichtbarer Ausdruck des Glaubenslebens der Kirche durch das Zusammentreffen von Bestellung und Einsetzung des Weiheempfängers. Dieses Zusammenspiel ist Ausdruck des Glaubens der Kirche, daher kann die Weihe "genommen" werden, wenn wesentliche Elemente des Glaubens nicht mehr gegeben sind. Das ist der Fall bei klerikalen Angehörigen der durch den Phanar in Istanbul geförderten "Kirche der Ukraine". Ein so schwerwiegender Umstand kann nicht durch ein rechtliches Dokument, wie seitens des Phanar geschehen, für nichtig erklärt werden, ohne wesentliche Elemente des orthodoxen Glaubens beiseite zu schieben. Und nicht umsonst wird eine Weihe bei Wiederaufnahme von solchen "Klerikern" in die orthodoxe Kirche nachgeholt. Leider wird diese Theologie momentan komplett umgedreht. Ein "Erzbischof von Konstantinopel" habe als "ökumenischer Patriarch" historisch verbrieftes Recht, um Ordnung zu schaffen und um die Ordnung der Kirche zu wahren. Die Kirchen der heutigen "Ökumene", der realen und oft sehr bedrängten, sollten nicht den "Kaiser" suchen, der ihnen Schutz und Hilfe gewährt. Er wird sich nicht in den USA oder im Kreml oder sonstwo finden lassen, denn es gibt ihn nicht mehr. Die Kirchen heute und jetzt müssen Christus verkörpern durch ihre Beten und Handeln. Bei aller Not und aller Hilflosigkeit angesichts der menschlichen, sozialen Realitäten ist es die tröstliche Antwort, die ein für allemal gegeben ist - die für uns heute aufgeschrieben wurde: "Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des Ewigen Lebens!"

Freitag, 20. November 2020

Steht fest im Glauben!

Es ist ein ganz und gar biblisch inspirierter Leitsatz, der als Thema und Aufhänger dient (vgl. 1 Kor 16,13). Die Heilige Schrift ist denn auch erste und letzte Instanz für alles Handeln des Christen, und zwar nicht in Form individueller Interpretation, sondern gegründet auf die Kirchlichkeit, die das Leben des orthodoxen Christen prägt. Das Zeitalter virtueller Informationsverbreitung bringt es mit sich, dass nicht nur viel konsumiert, sondern auch viel produziert wird an Nachrichten. Neben den desaströsen Folgen ungezügelter Nachrichtenschwemmen gibt es auch Vorteile: der Mensch kann sich bilden und sich weiterbilden. Schließlich kann sich ein Christ nicht aus dem Hier und Jetzt herausnehmen und so tun, als könne er völlig losgelöst dem Alltag entkommen. Heute erschien, französischsprachig, ein Beitrag, der die Ekklesiologie der "nouvelle théologie" des Phanar kritisch hinterfragt: HIER. Schon der Titel hat, auch übersetzt, Bekenntnischarakter: "Die Sache ist jetzt klar!" Es geht denn auch um nichts Geringeres als um die Darlegung der Differenzen, die sich in den letzten Verlautbarungen des Patriarchen Bartholomäus auftun im Bezug auf die traditionelle orthodoxe Lehre. Das "primus sine paribus", das "Erster ohne Gleichrangige", wird im zitierten Beitrag als häretisch, das heißt also, als stark verkürzender (und somit verfälschender) Auszug aus der gültigen Lehre der Kirche, gebrandmarkt. Nichts weniger als dogmatische Gründe werden nunmehr auch, nach zwei Jahren gemäßigter Kommunikation, angeführt als Begründung für die Aussetzung der Kommemoration des Erzbischofs Chrysostomus von Zypern: die kirchliche Gemeinschaft mit Schismatikern (d.i. mit den vom Phanar 2018 anerkannten Mitgliedern seiner neugebildeten ukrainischen Nationalkirche) ist nicht zu rechtfertigen: HIER. "Jetzt ist die Sache klar!", so sagt es die Überschrift des oben zitierten Beitrags. Klar ist nunmehr, und tatsächlich nicht erst seit heute, dass gravierende dogmatische Gründe einen Bruch in der Orthodoxie haben entstehen lassen. Kreise zieht dieser Bruch, der theologisch grundgelegt ist, auch bis in die deutschsprachige Sphäre. Der griechische Metropolit Arsenios von Österreich hat schon vor Wochen theologisch verstörende Gedanken geäußert, die bis jetzt noch unverdaut sind. Sie sind, veröffentlicht HIER in der "Tagespost", auch nicht berichtigt worden und somit wohl geltende Meinung des Metropoliten. Das verstört umso mehr und umso tiefer, weil sie grundlegende kirchliche Strukturen, etwa die diözesanen, ad absurdum führen. Selbst im noch einigermaßen rechtgläubigen Mittelalter konnten im Westen solche Theorien nicht als Lehrmeinung der (römischen!) Kirche durchgehen, die heute scheinbar höchste Billigung des ökumenishcen Patriarchen besitzen, wenn sie nicht sogar mit Gewalt durchgesetzt werden sollen. So erscheint es beinahe, wenn man Verlautbarungen des Patriarchen Bartholomäus liest, die in den letzten Wochen erschienen sind, etwa HIER. Es kann beruhigen, dass Klarheiten geschaffen sind. Es bleibt verstörend, wie wenig sich die Kirchenpolitik aus den handfesten Folgen eines solchen Handelns zu machen scheint. Es geht schließlich um nichts weniger als den mystischen, geheimnisvollen Leib Christi. Möge der Himmlische König, der Geist der Wahrheit und Spender des Lebens, einem jeden von uns die Kraft und Einsicht schenken, das Rechte zu tun und zu bekennen!

Mittwoch, 4. November 2020

Dankbarkeit

Es ist gerade ein Jahr her, dass sich der älteste Zweig der außerhalb Rußlands existierenden Diözesanverbände des Moskauer Patriarchats, das "Erzbistum der orthodoxen Gemeinden russischer Tradition in Westeuropa", wieder als Diözese in die Obedienz seiner geistlichen Erzeugerin bzw. Mutterkirche begeben hat. Nach dem in Rußland gültigen kirchlichen Kalender fiel der letzte offizielle Tag der Feierlichkeiten zur Wiedervereinigung (vom 2. bis 4. November 2019) auf das Fest der Gottesmutterikone von Kasan, die unter diesem Titel als Schutzpatronin des russischen Landes verehrt wird. Das "Erzbistum" war lange Jahrzehnte jurisdiktionell einem anderen Patriarchat angeschlossen, dem ökumenischen mit Sitz im Phanar. Vielleicht waren es die sich immer schneller drehenden Mühlen der Bürokratie und der Diplomatie, die die Wiedervereinigung am 3. November 2019 in Moskau haben zustande kommen lassen. Zumindest kann es heute nur providentiell erscheinen, dass sich zumindest ein Zankapfel der orthodoxen Welt eindeutig positionieren musste und durfte. Dass leider auch da Zwistigkeiten und Verärgerungen zu Trennungen geführt haben, ist nicht zu verschmerzen, aber - so scheint es - keine Tür ist in diesem Fall wirklich zugefallen und verbaut. Für weite Teile der orthodoxen Welt ist das Ereignis der Wiedervereinigung von zwei in langen Jahren eher auseinandergedrifteten Institutionen ein Anlass zu großer Dankbarkeit, denn es ist ein Segen und segenreich für alle, denen die Einheit und der orthodoxe Glaube am Herzen liegen. Manches Mal könnte es so scheinen, als sei ein diplomatischer Akt vor Gott zu einem Sprungbrett geworden: nämlich zur Überwindung immer gewichtiger erscheinender Mauern und Vorurteilen, die sich in den Augen Gottes wohl allesamt als dürftige Vorbehalte erweisen werden. Die Dankbarkeit sollte umso größer sein, als sich jetzt nur noch tiefere Abgründe der Uneinigkeiten auftun in den orthodoxen Kirchen. Immer mehr tun sich allerdings auch theologische Abgründe auf, die nicht mehr kaschiert werden, da sie als gegeben präsentiert werden: die Abgründe einer Ekklesiologie, die sich noch nicht einmal mehr den Mantel der apostolischen Orthodoxie überwirft. Es ist die Ekklesiologie der Ansprüche und Vorränge, nicht mehr die der Communio und der Communicatio. Es geht scheinbar um Werte und Kultur, dabei lägen sie doch gerade im Wesen der wirklich orthodoxen Ekklesiologie begründet: Es wären die Werte der Hinordnung auf den einzigen Herrn und Hirten der Kirche, auf den Erlöser und Bischof unserer Seelen, auf Jesus Christus. Dankbarkeit und gewissenhaftes Bekenntnis sind die wesentlichen Früchte jenes aufrichtigen Wiederfindens der alten kirchlichen Communio, wie es für das "Erzbistum" und das Moskauer Patriarchat der Fall ist. Dass es Wunden und Verletzungen gab und gibt, bleibt dann nebensächlich, da sie auf der Grundlage der gemeinsamen Fundamente heilbar sind. Viel wichtiger ist aber wohl jetzt noch, dass diese Wunden endlich verbunden werden, da viele von ihnen erst jetzt wirklich angeschaut und gereinigt werden können. Wenn das geschehen ist, darf die Ausheilung in Ruhe und gründlich vor sich gehen; aber sie wird zur völligen Gesundung führen! Die Dankbarkeit dafür wird zum Gebet um die Wiederherstellung des wirklich orthodoxen Glaubens: Auf die Gebete unserer heiligen Väter, Herr Jesus Christus, unser Gott, erbarme Dich unser!

Dienstag, 15. September 2020

Archevêché des églises orthodoxes de tradition russe en Europa occidentale

Drei Generationen in Christus: der hl. Patriarch Tichon, Patriarch Kyrill, Erzbischof Jean
 
 

Vor einem Jahr, am 14. September 2019, hat der Bischof des einstigen Exarchats der Rue Daru in Paris, Erzbischof Jean Renneteau, um Aufnahme in die Jurisdiktion des Moskauer Patriarchats gebeten: ein denkwürdiger Tag für die orthodoxen Christen in Westeuropa. Gerade zu diesem Jahrestag erschien nun in den Abgünden von Facebook u. ä., genauer gesagt auf der Seite der "Église locale en Europe occidentale", eine Zusammenfassung zur "Assemblée générale" der Gemeinden des "Erzbistums der orthodoxen Gemeinden russischer Tradition in Westeuropa" am 7. September 2019. Ein großes Problem der Rezeption jener "Assemblée", also einer gesetzlich festgelegten Zusammenkunft aller bei der 'Association' nach französischem Recht Eingeschriebenen bzw. ihrer gewählten Vertreter, ist die Vermischung grundlegender Ziele. Die Kirche kann nicht wie ein eingetragener Verein agieren. Eine Assoziation kann nicht mit ekklesiologisch argumentieren, wenn es um Vereinssatzungen geht. Es kann hier nicht um die Frage gehen, ob die Kirche sich vor einem Staat als Verein einschreiben lassen sollte... Es geht aber sehr wohl um die Frage - und zwar betrifft das alle orthodoxen Christen, da das besagte "Erzbistum der Rue Daru" eher bescheiden zu nennen ist -, was die Kirche ausmacht: Sie besteht aus den vielen Menschen, die auf Christus getauft sind, doch immer nur unter den Vorzeichen der unaufgebbaren Realia. Die Kirche lebt davon, dass sie auf Christus hin organisiert ist, dass ein Bischof ihr vorsteht - und dabei ist es egal, welchen Titel er führen kann. Zu den Realia gehört gleichfalls die unumstößliche Notwendigkeit, dass die Kirche niemals zu einer Demokratie werden kann, will sie nicht aufhören, Kirche zu sein. In der Kirche kann niemals ein "Volk" herrschen, da in ihr einzig die Herrschaft des menschenfreundlichen Gottes zugelassen ist. Was passiert, wenn eine Vermischung gewisser Ebenen vorgenommen wird, ist in der oben erwähnten (französischsprachigen) Zusammenfassung zu lesen, die hier aber nicht verlinkt werden soll. (Sie ist abrufbar auf der besagten Facebook-Seite unter dem 7. September.) Das "Erzbistum Rue Daru" hat seit der Entscheidung seines Bischofs, zur Mutterkirche von Moskau zurückzukehren, den für die Kirche so notwendigen Frieden wiedergefunden. Die orthodoxen Kirchen hingegen kämpfen immer noch um den Frieden Christi; ein trauriges Spiegelbild dieser verzweifelten Suche nach dem Frieden ist die Facebook-Seite der "Église locale en Europe occidentale": Dort wird geschimpft und gehadert, verleumdet und verurteilt. Es ist eine beschämende Lektüre, die jedem auf's Gemüt schlägt, der die Grundbegriffe akademischer theologischer Wissenschaft zumindest ansatzweise mitbekommen hat. Der Jahrestag der ekklesiologisch so wichtigen Entscheidung des Erzbischofs Jean Renneteau ist genau deshalb für alle orthodoxen Jurisdiktionen so denkwürdig, weil er alle Luftschlösser orthodoxer Befindlichkeiten grundlegend erschüttert. Die Entscheidung des französischen Bürgers Jean Renneteau als Präsident einer "Assemblée générale" zur Anerkennung eines Mehrheitsbeschlusses wäre der Todesstoß für ein orthodoxes Bistum gewesen, denn die Kirche kann und darf sich nicht zum Verein machen. Denn in ihr würden dann nicht mehr die Menschen in ihrer Hingeordnetheit auf den dreieinen Gott zählen, sondern nur noch Paritäten, Mehrheiten, Wahlregeln und Mitspracherechte. Der 14. September 2019 war - auch wenn die Rue Daru dem julianischen Kalender folgt - demnach wirklich ein dem lebenspendenden Kreuz geweihte Tag. Es war ein Tag, auf den sich alle orthodoxen Jurisdiktionen besinnen sollten, denn in dem mehr als bescheidenen Rahmen eines Exilbistums in Paris hat der orthodoxe Glaube zu einer ungeahnten Größe zurückgefunden, die auch die Person des Erzbischofs Jean Renneteau übersteigt, dem es scheinbar wirklich nur um die Menschen geht, die den Weg, die Wahrheit und das Leben suchen.  

Mittwoch, 15. Juli 2020

Eine verhangene Theologie

Historisierende Illustration zu einer Rekonstruktion des Klangraums der historischen Hagia Sophia
Die Wellen der Empörung schlagen hoch, da die einstige Bischofskirche Konstantinopels nach etwa 100 Jahren als Museum wieder zur Moschee werden soll, was sie seit 1453 war. Dass dieses Kirchengebäude zweifellos von großer Ehrwürdigkeit ist, sollte niemand mit Verstand bezweifeln. Wenn man jedoch lesen kann, dass die Hagia Sophia der "heiligste Ort der Orthodoxie" sei, dass - an gleicher Stelle zu lesen - der "ganzen Nation innigster Wunsch" in Erfüllung gegangen ist, als im Jahr 1919 eine Liturgie in diesem Kirchengebäude gefeiert wurde, und dass das ein Priester tat, der - wieder im gleichen Text zu lesen - ein Vertreter des "Hellenismus" war, dann darf man die Theologie hinter diesem Wunsch in Zweifel ziehen.

Donnerstag, 2. Juli 2020

Hagia Sophia - Kirche, Museum, Moschee... und die Mission der Christen

Hagia Sophia in Istanbul, Quelle: Wikipedia
Wie zu lesen ist, z. B. HIER, hat der oberste Gerichtshof der Türkei in einer gerade einmal 20-minütigen Sitzung entschieden, dass die einstige Kirche "Hagia Sophia" in Istanbul auf Präsidentialbeschluss wieder zur Moschee werden darf. Die Entrüstung seitens vieler orthodoxer Gläubigen ist verständlich, wurde in dieser Kirche doch nicht zuletzt auch Kirchengeschichte geschrieben: in ihr feierten die Vertreter des hl. Wladimir von Kiew den Gottesdienst zusammen mit den einheimnischen Gläubigen - und wußten nicht, "ob sie im Himmel oder auf Erden sind". Das war der Wendepunkt im oft unrühmlichen Kampf der christlichen Kulturen um Einfluss im Osten. Die Slawen wendeten sich dem östlichen Christentum zu, nicht dem westlichen mit seinem Zentrum in Rom. Es wäre hingegen mehr als verräterisch, würde sich die Befürchtung des Patriarchen Bartholomäus bewahrheiten, dass diese Entscheidung der Umwidmung der Hagia Sophia in eine Moschee zum weiteren Zerwürfnis zwischen Christentum und Islam beitragen werde. Verräterisch deswegen, weil nichts dem Evangelium mehr widerspricht,

Mittwoch, 24. Juni 2020

Nach dem Sonntag des Fests aller Heiligen des jeweiligen Landes


Es gehört zu den Grundlagen der Ekklesiologie, dass die Kirchen des Erdkreises nicht aus sich selbst entstanden sind: eine jede von ihnen darf sich als Teilhaberin an der apostolischen Tradition verstehen. Die Tradition ist in diesem Zusammenhang zu verstehen als Weitergabe des Glaubens und Anteilhabe am apostolischen Erbgut. Daher ist es völlig normal, dass die einzelnen Kirchen unterschiedliche Prägungen besitzen. Ganz natürlich ist für den "katholischen" Westen die Übernahme der Heiligen der römischen Frühzeit: Man feiert die römischen Märtyrer und Märtyrinnen, und im ganzen "katholischen" Westen werden die eminentesten von ihnen sogar in einem Hochgebet genannt, obwohl man hierzulande weder Italiener, geschweige den Römer ist. Diese Bezogenheit auf die römische Kirche im Westen ist allerdings nur natürlich, wird sie doch als Mutterkirche verstanden. Daher übrigens auch die Feiern der Weihetage von römischen Kirchen überall außerhalb der Stadt Rom und Italiens. Den orthodoxen Kirchen nun wird häufig so etwas wie Kirchen-Nationalismus nachgesagt.

Dienstag, 16. Juni 2020

Ein pfingstliches Anliegen - das Gebet um die Einheit der Kirche

Synaxis der Ersthierarchen - Chambésy 2016
 In einer Zeit, die angefüllt ist mit Engführungen und Verlockungen aller Art, die das Echte und Aufrichtige nicht wirklich zu schätzen scheint, sondern eher das Aufgeblasene und Simple, sollte ein Gegenpol gesetzt sein. Vielleicht finden sich viele, die das Anliegen unterstützen:
Kanavka - das Gebet um die Einheit der Kirche

Freitag, 5. Juni 2020

Das ökumenische Patriarchat und sein Prestige - ein englischsprachiger Aufsatz von Vater Kyrill Johnson

Patriarch Meletios Metaxakis

Ein mittlerweile auch schon historischer Artikel (von 1944/45) aus der Feder eines zur Orthodoxie gekommenen Amerikaners, der zeit seines Lebens innerhalb der antiochenischen Erzdiözese in Amerika gewirkt hat. Als ausgebildeter Historiker, Archäologe und Linguist konnte Vater Kyrill Johnson in Kairo mit dem damaligen Patriarchen von Alexandria über die im Artikel behandelten Dokumente zur Anerkennung der anglikanischen Weihen sprechen. Aus seinen Aufzeichungen zu diesem persönlichen Gespräch erarbeitete Vater Kyrill später den nachfolgenden Artikel:
The Prestige of the Ecumenical Patriarchate
Vielleicht lohnt es sich, die geschichtlichen Hintergründe im Licht des Pfingstfestes zu betrachten. Letztlich wurde der Kirche damals - und auch heute - die Kraft geschenkt, sich von der Angst vor dem Fremden zu lösen und das Evangelium allen Völkern zu verkünden.

Mittwoch, 6. Mai 2020

Christus ist auferstanden!

Gegen alle ethnisch verengenden, ideologisch verzerrenden und verängstigenden Machenschaften, die - zumeist ohne das Schlechte zu wollen - trotzdem verheerende Folgen haben, bleibt die Verkündigung der Osterbotschaft in allen Sprachen das Mittel der Wahl, denn sie ist das Gegenmittel gegen die Verführung durch den Bösen, der wirkt und wirkmächtig sein möchte.


In finnischer Sprache - der Irmos der 9. Ode des Osterkanon.


Der Ostertropar in griechischer, lateinischer und kirchenslawischer Sprache ("Moskauer Ostertropar").


In englischer Sprache - Irmos der 9. Ode des Osterkanon.


Der Ostertropar in verschiedenen Sprachen ...

Dienstag, 5. Mai 2020

"Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern..." (Mt 28,19)

Kathedrale Rue Daru, Paris, 2017: Bischof Nestor, Erzbischof Jean, Metropolit Emmanuel
Christus ist auferstanden!
Es ist Ostern und die Erde wartet nicht erst seit Anfang März auf die Frohe Botschaft. Und obwohl es Ostern ist, bleibt die Kirche der Welt vieles schuldig. Am sichtbarsten ist momentan die Schuld der Zersplitterung. Manche reden von Schisma, doch dazu fehlt es an Intelligenz und Größe bei de, was sich tut oder nicht tut.
Kürzlich wurde - und das ist der Anstoß dieser Meditation - eine neue orthodoxe Gemeinde in Paris (VIIème) gegründet. Es ist die Splittergruppe der alten "Krypta"-Gemeinde der Kathedrale der Rue Daru, die sich mit respektabler Mehrheit dafür entschieden hatte, ihrem Bischof zu folgen. Es gibt nun Kommentare, HIER z.B., wo es heißt: "Alexandra de Moffarts. La crypte est passé à Moscou, et une petite moitié était contre ce passage et l'a quittée." (Will heißen: "Die Krypta ist zu Moskau übergewechselt und eine kleine Hälfte war gegen diesen Wechsel und hat [die Krypta-Gemeinde] verlassen."). Verwunderlich, wie wenig dort von einer gesunden Ekklesiologie zu lesen ist. Man wechselt "nach Moskau"! Natürlich ist gemeint: Man hat das Patriarchat gewechselt...

Mittwoch, 29. Januar 2020

Was es heißt, Ortskirche zu sein

Der hl. Apostel Jakobus umgeben von anderen Bischöfen unterschiedlicher "Ortskirchen" 
Ikone aus Kiew, Wikimedia

Es braucht nicht viel, um allenthalben auf diverse Plattformen (z.B.) zu stoßen, die - orthodoxerseits - die "Ortskirche" oder "Lokalkirche" in den Fokus rücken. Vor allem in Frankreich und in den französischsprachigen Ländern war und ist diese Bestrbung nach einer lokalen orthodoxen Kirche stark, nicht erst seit den Versuchen der Kowalewski-Brüder, die Orthodoxie auch in einem liturgisch-rituellen Kontext westlich werden zu lassen. Auf der oben verlinkten Seite wird tatsächlich momentan kritisch beurteilt, was sich orthodoxerseits an Schwierigkeiten auftut. Hauptkritikpunkt ist entweder die Unterwerfung unter eine, wie man sagt, politisch dominierte Kirche Moskauer Prägung oder aber das Beklagen des Fehlens einer Unterstützung durch andere orthodoxe Kirchen. Dass der Phanar nurmehr sehr schlecht wegkommt, darf nicht verwundern, sind manche der Kommentatoren doch ehemalige Daru-Gemeindemitglieder - eines Erzbistums also, das als "Exarchat" des ökumenischen Patriarchen im Jahr 2018 aufgelöst wurde und erst Ende 2019 wieder zu seiner Gründerin, der Kirche von Moskau, zurückkehren konnte. Viel wichtiger ist bei näherer Betrachtung allerdings der Umstand, dass die einschlägigen Kommentare vor allem eines betonen: eine Ortskirche darf nicht abhängig sein.