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Dienstag, 11. Juni 2024

"Der vierte König" und die versäumten Chancen, aus der Geschichte zu lernen

Kampfhandlungen in Norwegen während es 2. Weltkriegs / Photo: Bundesarchiv - Wikipedia


Edzard Schaper, Der vierte König. Ein Roman. Köln: Jakob Hegner, 1961. / Zweiter Weltkrieg, irgendwo im Grenzland zwischen Estland und der Sowjetunion, auf von der deutschen Armee besetztem Gebiet. Das Kloster Sviatogorsk, bislang annektierter Sitz eines Stabes der Wehrmacht, soll von der "Zivilverwaltung" übernommen werden, um später zur Ordensburg der SS umgewandelt zu werden. Die Inspekteure (SS, Zivilverwaltung) sind zur Besichtigung vor der unmittelbar bevorstehenden Übergabe des Klostergeländes gekommen. Der Chef des Stabes, ein Oberst, der die Übergabe mit allen Mitteln verhindern wollte, lässt sich nach gescheiterten Verhandlungen mit der Zivilverwaltung von einem seiner Stabsoffiziere, Major Frederichs, vertreten, der die Abgesandten zu empfangen hat:

"Nun waren alle [Besucher der SS / Zivilverwaltung] im Zimmer. Man stand. Die sechs Stühle konnten weiter von uns Vielsitzern ausruhen. Medem [Ranghöchster der Delegation] war bei genauer Betrachtung viel älter, als es mi im Hof geschienen hatte: ein Stier von einem Mann, der wahrscheinlich nur unter viel Alkohol weich wurde. Er stellte mir seine Mitarbeiter vor, lauter junge Leute, und Sie dürfen nicht verwundert sein, meine Herren, wenn ich die Namen der meisten noch heute genau weiß. Ich habe sie mir so genau gemerkt, daß ich sie noch einmal dem himmlichen Richter, sagen könnte, wenn der mich darauf ansprechen sollte, ob die Gattung der Schufte auf Erden endlich ausgestorben sei. Hier vor den irdischen Richtern hat man sich ja in den letzten fünfzehn Jahren nicht so besonders dafür interessiert." (S. 168)

Die Ereignisse der letzten Jahre mit ihren Pandemien, Kriegen, Gewalttätigkeiten und vor allem mit ihren Niederlagen sind zum Trauma vieler Menschen geworden. Sie werden wahrgenommen als eine ununterbrochene Folge von Bedrohungen, Übergriffen, Machtspielen und vor allem als gottvergessene politische Händel. Dass Menschen in ihrer Heimat das Recht haben, darüber zu entscheiden, was sie wollen, wird nicht immer zugestanden. Das Recht dazu nimmt sich der, der sich anmaßt, darüber urteilen zu dürfen, was gut und was nicht gut ist. Der fiktive Major Frederichs in Schapers Roman beklagt vor seinen Kameraden von einst Anfang der 1960er Jahre den selektiven Umgang der Justiz nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland mit den Kriegsverbrechern und ihren Zuarbeitern zur Zeit des Nationalsozialismus. Heute wird wieder mit zweierlei Maß gemessen: Verträge und Abkommen sind scheinbar nur dann einzuhalten, wenn die Vertragspartner genehm sind. Erlaubt ist offenkundig jede Art von Einmischung in die Politik anderer Länder, wenn sie meinem Dafürhalten nicht entspricht. Erlaubt sind scheinbar Lügen, Betrug, Machtkalkül und Einbringung wirtschaftlicher Interessen, wenn das politische Gegenüber per se als minderwertiger (normalerweise würde man sagen: einfach nur anders ...) eingestuft wird. Wenn das festgestellt wurde, auch wenn diese Feststellung in mehreren Punkten nicht haltbar ist, dann ist offensichtlich jede Art von Rechtsbruch "sanktioniert", ja sogar legitimiert: Das scheint zu gelten für die Einordnung in Rechte und Linke, in Radikale oder nicht Radikale, in den Kategorien von Rechtstaatlichkeit in der Ukraine, in den USA, in Rußland, in Frankreich, u.v.m.

Obwohl jede Art von Unrecht keine Zukunft haben kann, beschädigt das Unrecht den Frieden und die Würde des Menschen. - Nur einer der Protagonisten in Schapers "Der vierte König" überlebt den 2. Weltkrieg: Major Frederichs, der sich als Zeuge für die damaligen Geschehnisse versteht und als Vertreter des "vierten Königs", der für die Gottsuche steht, für das Martyrium im Namen Gottes, für das Gute im Namen Christi. Alle anderen Hauptpersonen des Romans haben ihr Leben hingegeben und sind als aufrechte, gute Menschen gestorben. Schaper hat in diesem Roman eine äußerst gesellschaftskritische Analyse verarbeitet, die auch heute noch erschüttern darf. 
   

Sonntag, 6. Januar 2013

Edzard Schaper - Betrachtungen eines Wanderes zum Geheimnis der Heilsgeschichte - "Der vierte König"

Das Fest der Erscheinung des Herrn, der Dreikönigstag, lädt ein, die Betrachtung des großen Dichters Edzard Schaper herzunehmen, die er in "Der vierte König" mit geistlicher Tiefe zu Papier gebracht hat. Deshalb hier ein Ausschnitt daraus:
"... Der vierte König bedachte alle Wege, die er geritten war, und vor allem jenen Morgen, da ihn der fremdländische König aus Osten gefragt hatte, warum er seine Tränen in die fremde Erde säe. Ich behalte ja noch mein Lachen, hatte er damals töricht zur Antwort gegeben; jetzt hatte er's lange verloren, auch das; wie die Perlen, das Gold, die Edelsteine, die Pelze und das Linnen. Und [an] das Königreich, das die Bettlerin ihm in ihrem Herzen bereitet hatte, wie sie gesagt, konnte er nicht mehr glauben und nicht darauf hoffen. Unsägliche Reue erfüllte seine Jahre. Er hatte alles vertan, wie er meinte, er hatte sinnlos verschwendet. Gar nicht zu reden davon, daß er nicht es Allherrschers Vasall werden konnte - er war nicht einmal mehr der Krone in der Heimat würdig. Längst hatte sie sich gewiß auch ein anderer aufgesetzt, und er war vergessen. Nur wunderte er sich von Jahr zu Jahr mehr, warum die Herrschaft des größten Königs, dem zu huldigen er ausgezogen war, sich gar nicht mit einer Wende zum Besseren in ihrem elenden Leben auf der Galeere bemerkbar machte. Und dann sah er die junge, schöne Witwe vor sich, um deretwillen er einst darin eingewilligt hatte, ein Ruderer der Galeere zu werden. Er hatte sich längst klargemacht, daß es nicht geschehen war, um das Los des Knaben zu lindern, sondern um der Frau, der Mutter, ein Zeichen seiner jäh erwachten Liebe zu geben. Und er fand, das Licht des Sterns dürfe und könne auch dieses Gesicht bestrahlen, und da habe er nichts zu verbergen und zu bereuen.Aber wo war sie? Sicher hatte sie ihn längst vergessen, dachte keinen Augenblick mehr an den Fremden, der ihr den Ernährer erhalten, oder hatte längst abermals einen Mann genommen - das Königreich ihrer Liebe verschenkt wieie Bettlerin ihr Herz gewiß dem Nächstbesten, der ihr nach ier Begegnung im Stall ein paar Münzen geschenkt, obschon sie es ihm versprochen und abgetreten. Ach! der Gedanken waren viele, und der Nächte und Tage in beinahe dreißig Jahren, sie zu denken, noch mehr." (Ausgabe Ex libris, Zürich, S. 125/126)
Was E. Schaper den vierten der Drei Könige hier bedenken lässt, kommt einem Resümee des Verlierens gleich. Anstatt in der Krippe, wird der vierte König dem größten König nur noch am Kreuz huldigen können. Anstelle der kostbaren Geschenke wird er ihm nur mehr ein Königreich zweier Vagabundenherzen und ein verbrauchtes Leben als Gaben anbieten. Schapers eigenes Resümee bleibt unausgesprochen, aber der Fortgang des Romans beantwortet die Fragen - allerdings nach geistlicher Art: Der Leser ist zum Handelnden geworden und die Antworten wird sein Herz geben.   

Montag, 22. Oktober 2012

Edzard Schaper, Der vierte König und die Transzendenz Gottes

In seinem Roman "Der vierte König" verarbeitet Edzard Schaper manche seiner eigenen großen Lebensfragen, so die nach dem sinnfälligen Zusammenspiel von Gott und Mensch in seiner Einordnung in die Lebensgeschichte der Menschen. Schaper konzentiert sich auf die Darstellung des sich als ungläubig darstellenden Erzählers Major Frederichs und seine ihn immer wieder in Frage stellenden Bezugspersonen: den jungen (russischen) Sonderführer (in der Wehrmacht!) Fürst Armjaninow, den vierten König und den Abt Ilarion. Eine knappe Passage, kurz vor dem Beginn der dritten Erzählebene innerhalb des Romans - der Legende vom vierten König -, ist so etwas wie ein "Wort für das Leben" der Geschichte, das bis zuletzt den Erzähler fesselt. Der Ungläubige hat sich zu weit vorgewagt auf das dünne Eis des Glaubens. Wie es scheint, hat es ihn nicht tragen können. So durfte er erkennen, dass der menschgewordene Gott immer noch bei den Menschen ist:
"Sehen Sie", sagte der Abt [...], "ich habe Ihnen gesagt, hier sei Christus wie gestern geboren, und Judas hänge jeden Tag unter jedem Baum, Herodes herrsche fürchterlich und vergieße das Blut der unschuldigen Kinder Gottes, aber der vierte König sei auch immer noch unterwegs - Wolodjenka hier, unser kleiner König. Er hat irgendwann einaml, in heiligen Augenblicken, über die wir gar nichts wissen, Christus erlebt, hat den Stern gesehen und ihm nachfolgen müssen. Das kann undkann nicht Geschichte werden für ihn, Vergangenheit; er ist sein ganzes, armes, geschlagenes und doch völlig glückliches Leben in die Gegenwart Gottes auf Erden gebunden. Wir wissen nicht, wo er gewandert ist, bevor er zu uns kam, und was er alles in seinem Leben erlebt hat. Es werden weite, weite Wege im alten Rußland gewesen sein, und doh immer nur Heilswege, könnte man sagen. [...] Er ist heute wie immer der kleine russische König, der vierte von den Heiligen Königen, der einmal aufbrach, als der Stern die Geburt des Erlösers verhieß, und er trauert hier darum, daß er das Kind versäumt, dem lehrenden Heiland nicht gehorcht und den Herrn nur am Kreuz gesehen hat, als er alle Gaben, die er zur Huldigung vor dem Kind mitgenommen, schon unbedacht verschwendet und seine Kraft vertan hatte und nichts mehr besaß als sein müdes, altes Herz, das er dem Gekreuzigten schenken konnte. - Natürlich können Sie diesen Menschen psychiatrisch rubrizieren; Sie im Westen tun das so gern; aber keine Rubrik hebt für Wolodjenka die Wirklichkeit auf..." (Schaper, Der vierte König, S. 94 f.)

Vladimir Kireev - Christus ist unter uns

Montag, 30. Juli 2012

Edzard Schaper - "Der vierte König": Über die Unbedingtheit


[...] "Jugend! dachte ich vielleicht, herrliche Unbedingtheit! Lieber ein irrender König in fremdem Land hinter einem untergegangenen Stern sein, als eine zweckeifrige Biene daheim in den blühenden Linden der irdischen Jahreszeiten... So vieles, unsäglich vieles aus der Geschichte des vierten Königs fiel mir ein, was jetzt am allerwenigsten Platz in meinem Kopf finden durfte. Aber wie hatte Armjaninow gesagt? ,Ich frage mich, ob er nicht ewig leben wird' ... Wen hatte er damit gemeint? Den König der Legende als ewigen König des russischen Volkes, so viele Kommissare ihm auch den Thron streitig machen mochten, oder die seltsame Gestalt da drüben im zweiten Saal? Es hatte sich beinahe mehr nach dm zweiten angehört, und das konnte einem Angst einflößen. Geriet auch er bei den inneren Erschtterungen der Heimkehr in den verhängnisvollen Wahn der ewigen und fortwährenden Anwesenheit Gottes auf Erden wie der vierte König? War auch er nicht imstande, das Heilsgeschehen Vergangenheit und Geschichte werden zu lassen? Der Abt mit seiner Autorität konnte ihn, der immerhin in westlichem Denkengeschult war, so leicht widerlegen. Auferstehung und Himmelfahrt waren doch wenigstens theologisch nicht einfach ungeschehen zu machen. Oder hatte der vierte König, der Vasall ,des größten Königs aller Zeiten und Zonen', in Armjaninow schon wieder einen Untervasallen gefunden?" [...]
Aus: Edzard Schaper: Der vierte König. Zürich [1962], S. 171)
Major Frederichs, Stabsoffizier der Wehrmacht im estnisch-russischen Grenzgebiet Anfang der vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts, also mitten im Zweiten Weltkrieg, der Ich-Erzähler des erschütternden Romans von Edzard Schaper, sinniert hier über die eine große Frage, die den ganzen Roman durchzieht: Wo liegt die Wahrheit für den suchenden Menschen verborgen? Und viel besser noch: Wer ist die Wahrheit und der Weg und, vor allem, das Leben? Sein ihm vor wenigen Stunden erst zugeteilter Sonderführer Armjaninow, Sohn russischer Emigranten und ehemaliger Student am (russischen) theologischen Seminar Saint-Serge in Paris, hat in dieser kurzen Zeit mit gigantischen Schritten seinen Aufstieg zum Berg Tabor begonnen. Frederichs wird ihm bis an sein Lebensende nachjagen - das erfährt der Leser ganz zu Beginn des Romans. Einholen kann er ihn nicht mehr: Welten trennen den jungen russischen Schmalspuroffizier, den seine Vergangenheit einholt, vom protestantischen Stabsoffizier. Schaper hat einen höchst theologischen Roman geschrieben, der nicht leicht zu erfassen ist. In diesem Werk wird die protestanische und allgemein westliche Theologie an ihre Grenzen geführt - und sie kann sie nicht hinter sich lassen. Dieses sich einzugestehen, fordert den ganzen Menschen. Demütig stellt sich Frederichs dieser Prüfung, ohne sie freilich in seinen Augen jemals bestehen zu können. Vielleicht ist das Taborlicht für sein Augen aber auch nur deshalb ein Geheimnis, weil er es schon längst im Herzen geschaut hat. Der Roman endet im Desaster, ohne den Leser wirklich loszulassen: Er macht sich, womöglich und hoffentlich, gleich Major Frederichs, auf den Weg zum Berg der Verklärung.

Samstag, 11. Juni 2011

Gedanken zu Pfingsten - Betrachtungen zu Edzard Schapers literarischem Schaffen


Edzard Schaper, ein Wanderer zwischen Welten, hat ein langes Leben als Pilger und als Suchender führen dürfen. 1908 in Ostrowo (bei Posen / heute Poznán) geboren, durchquerte er als junger Mann die Länder des Baltikums, um über Finnland und Skandinavien, hier vor allem Schweden, ab 1947 in der Schweiz Zuflucht zu finden. Sein schriftstellerisches Wirken zeichnet sich durch eine gewählte Sprache aus, die dem Deutschen das Altertümliche nicht nehmen möchte, das seinem Schreiber eigen ist. Edzard Schapers Schriften sind fromm, auch wenn sie zum großen Teil nicht explizit Frommes zum Thema haben. Trotzdem taucht immer wieder die grundlegende Frage auf: Wo finde ich das Fundament meines Lebens, wo finde ich Gott, wenn nicht im angestrengten Suchen des Herzens, im Mitmenschen, im Leiden?
Das Pfingstfest ist Schlusspunkt und Anfang der österlichen Feier, die sich im Leben beweisen muss. Die österliche Freude wird neu entfacht durch die Gabe des Heiligen Geistes. Edzard Schaper beschreibt die tiefe Freude des Osterfestes immer wieder. In seinen Werken erkennt der heutige Leser, wie viel ihm verlorengegangen ist vom Wissen des Herzens um das Echte und um das Wahre, das einzig, so Schaper, in der bedingungslosen Hingabe an Gott gefunden werden kann. Schapers Schaffen ist für heutige Leser keine leichte Kost. Er bleibt sich treu und erspart auch seinen Lesern nicht die bange Frage nach dem Sinn des Leidens und der ewigen Suche. Als Pilger ist Edzard Schaper nach einem mühevollen, aber reichen Leben im Jahr 1984 gestorben.