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Mittwoch, 15. Juli 2020

Eine verhangene Theologie

Historisierende Illustration zu einer Rekonstruktion des Klangraums der historischen Hagia Sophia
Die Wellen der Empörung schlagen hoch, da die einstige Bischofskirche Konstantinopels nach etwa 100 Jahren als Museum wieder zur Moschee werden soll, was sie seit 1453 war. Dass dieses Kirchengebäude zweifellos von großer Ehrwürdigkeit ist, sollte niemand mit Verstand bezweifeln. Wenn man jedoch lesen kann, dass die Hagia Sophia der "heiligste Ort der Orthodoxie" sei, dass - an gleicher Stelle zu lesen - der "ganzen Nation innigster Wunsch" in Erfüllung gegangen ist, als im Jahr 1919 eine Liturgie in diesem Kirchengebäude gefeiert wurde, und dass das ein Priester tat, der - wieder im gleichen Text zu lesen - ein Vertreter des "Hellenismus" war, dann darf man die Theologie hinter diesem Wunsch in Zweifel ziehen.

Donnerstag, 2. Juli 2020

Hagia Sophia - Kirche, Museum, Moschee... und die Mission der Christen

Hagia Sophia in Istanbul, Quelle: Wikipedia
Wie zu lesen ist, z. B. HIER, hat der oberste Gerichtshof der Türkei in einer gerade einmal 20-minütigen Sitzung entschieden, dass die einstige Kirche "Hagia Sophia" in Istanbul auf Präsidentialbeschluss wieder zur Moschee werden darf. Die Entrüstung seitens vieler orthodoxer Gläubigen ist verständlich, wurde in dieser Kirche doch nicht zuletzt auch Kirchengeschichte geschrieben: in ihr feierten die Vertreter des hl. Wladimir von Kiew den Gottesdienst zusammen mit den einheimnischen Gläubigen - und wußten nicht, "ob sie im Himmel oder auf Erden sind". Das war der Wendepunkt im oft unrühmlichen Kampf der christlichen Kulturen um Einfluss im Osten. Die Slawen wendeten sich dem östlichen Christentum zu, nicht dem westlichen mit seinem Zentrum in Rom. Es wäre hingegen mehr als verräterisch, würde sich die Befürchtung des Patriarchen Bartholomäus bewahrheiten, dass diese Entscheidung der Umwidmung der Hagia Sophia in eine Moschee zum weiteren Zerwürfnis zwischen Christentum und Islam beitragen werde. Verräterisch deswegen, weil nichts dem Evangelium mehr widerspricht,

Mittwoch, 24. Juni 2020

Nach dem Sonntag des Fests aller Heiligen des jeweiligen Landes


Es gehört zu den Grundlagen der Ekklesiologie, dass die Kirchen des Erdkreises nicht aus sich selbst entstanden sind: eine jede von ihnen darf sich als Teilhaberin an der apostolischen Tradition verstehen. Die Tradition ist in diesem Zusammenhang zu verstehen als Weitergabe des Glaubens und Anteilhabe am apostolischen Erbgut. Daher ist es völlig normal, dass die einzelnen Kirchen unterschiedliche Prägungen besitzen. Ganz natürlich ist für den "katholischen" Westen die Übernahme der Heiligen der römischen Frühzeit: Man feiert die römischen Märtyrer und Märtyrinnen, und im ganzen "katholischen" Westen werden die eminentesten von ihnen sogar in einem Hochgebet genannt, obwohl man hierzulande weder Italiener, geschweige den Römer ist. Diese Bezogenheit auf die römische Kirche im Westen ist allerdings nur natürlich, wird sie doch als Mutterkirche verstanden. Daher übrigens auch die Feiern der Weihetage von römischen Kirchen überall außerhalb der Stadt Rom und Italiens. Den orthodoxen Kirchen nun wird häufig so etwas wie Kirchen-Nationalismus nachgesagt.

Freitag, 5. Juni 2020

Das ökumenische Patriarchat und sein Prestige - ein englischsprachiger Aufsatz von Vater Kyrill Johnson

Patriarch Meletios Metaxakis

Ein mittlerweile auch schon historischer Artikel (von 1944/45) aus der Feder eines zur Orthodoxie gekommenen Amerikaners, der zeit seines Lebens innerhalb der antiochenischen Erzdiözese in Amerika gewirkt hat. Als ausgebildeter Historiker, Archäologe und Linguist konnte Vater Kyrill Johnson in Kairo mit dem damaligen Patriarchen von Alexandria über die im Artikel behandelten Dokumente zur Anerkennung der anglikanischen Weihen sprechen. Aus seinen Aufzeichungen zu diesem persönlichen Gespräch erarbeitete Vater Kyrill später den nachfolgenden Artikel:
The Prestige of the Ecumenical Patriarchate
Vielleicht lohnt es sich, die geschichtlichen Hintergründe im Licht des Pfingstfestes zu betrachten. Letztlich wurde der Kirche damals - und auch heute - die Kraft geschenkt, sich von der Angst vor dem Fremden zu lösen und das Evangelium allen Völkern zu verkünden.

Mittwoch, 29. Januar 2020

Was es heißt, Ortskirche zu sein

Der hl. Apostel Jakobus umgeben von anderen Bischöfen unterschiedlicher "Ortskirchen" 
Ikone aus Kiew, Wikimedia

Es braucht nicht viel, um allenthalben auf diverse Plattformen (z.B.) zu stoßen, die - orthodoxerseits - die "Ortskirche" oder "Lokalkirche" in den Fokus rücken. Vor allem in Frankreich und in den französischsprachigen Ländern war und ist diese Bestrbung nach einer lokalen orthodoxen Kirche stark, nicht erst seit den Versuchen der Kowalewski-Brüder, die Orthodoxie auch in einem liturgisch-rituellen Kontext westlich werden zu lassen. Auf der oben verlinkten Seite wird tatsächlich momentan kritisch beurteilt, was sich orthodoxerseits an Schwierigkeiten auftut. Hauptkritikpunkt ist entweder die Unterwerfung unter eine, wie man sagt, politisch dominierte Kirche Moskauer Prägung oder aber das Beklagen des Fehlens einer Unterstützung durch andere orthodoxe Kirchen. Dass der Phanar nurmehr sehr schlecht wegkommt, darf nicht verwundern, sind manche der Kommentatoren doch ehemalige Daru-Gemeindemitglieder - eines Erzbistums also, das als "Exarchat" des ökumenischen Patriarchen im Jahr 2018 aufgelöst wurde und erst Ende 2019 wieder zu seiner Gründerin, der Kirche von Moskau, zurückkehren konnte. Viel wichtiger ist bei näherer Betrachtung allerdings der Umstand, dass die einschlägigen Kommentare vor allem eines betonen: eine Ortskirche darf nicht abhängig sein.

Freitag, 22. November 2019

Politisch korrekte Orthodoxie?


Es kann nur mit einigermaßen erstaunter Beunruhigung wahrgenommen werden, was sich aufgrund der zugespitzten Ereignisse in der Ukraine-Frage in der orthodoxen Kirche tut:
Der Erzbischof von Athen, Hieronymus, weist die Einladung seines bischöflichen Mitbruders, des Patriarchen von Jerusalem Theophilos, formell zurück als ungehörige Anmaßung: ein solches Recht hätte einzig der Patriarch von Konstantinopel - eine ungeheuerliche Behauptung für jeden Orthodoxen, der nur ein wenig die geschichtlichen Zusammenhänge der "Ökumene" des "ökumenischen Patriarchen" in Istanbul durchschaut. Diese "Ökumene" unterstand dem byzantinischen Kaiser, den es längst nicht mehr gibt. Konstantinopel selbst existiert nicht mehr als das, was sie zu Kaisers Zeiten war - Hauptstadt eben jener Ökumene. Diese Stadt ist heute weder Hauptstadt, noch Teil eines Kaiserreichs, sondern schlicht eine Stadt mit Namen Istanbul in der Türkei. Die Ukraine-Frage rechtens angewandt auf die realen Verhältnisse der Gegenwart - das ist ein echtes theologisches Muss! - bedeutet: Zurückweisung aller Besitzansprüche des Patriarchen in Istanbul auf Gebiete ausserhalb der Türkei, vor allem auch auf Gebiete im heutigen Griechenland; Bildung einer türkischen Kirche in den Grenzen der Türkei, des einzigen Landes, auf das der Bischof von Istanbul rechtens seine geistliche Hand legen kann; Zurückweisung aller historischen Gebietsumschreibungen, die auf heutige kirchliche Grenzen angewendet werden sollen unter Umgehung der realen kirchlichen Synoden.
Nicht genug damit: Man kann seit kurzem einen Text einsehen, der von einem Priester der deutschen griechischen Metropolie verfasst wurde und der sich der Thematik des "Erzbistums orthodoxer Gemeinden russischer Tradition in Westeuropa" zuwendet, das kürzlich ins Moskauer Patriarchat zurückgekehrt ist. In diesem Text, der sich den Anschein wissenschaftlicher Objektivität geben möchte, fällt die aggressive Wortwahl politischer Prägung auf, die den Text verzerrt und seine wohl beabsichtigte Gemessenheit Lügen straft. Leider Gottes muss man in diesem Schriftstück gehäuft auf unangemessene Wortwahl und unangemessene Rhetorik stoßen, Ungern, aber einer gewissen Objektivität geschuldet, soll hier ein Auszug aus diesem Text folgen, um den oben angesprochenen Vorwurf zu stützen: "Das Drama der „Auflösung des Erzbistums“ hat allerdings noch einen zweiten Akt. Der auferlegten Auflösung seiner Struktur als Diözese des Ökumenischen Patriarchats folgte der geistige Suizid jenes Teils des Erzbistums, der Erzbischof (seit dem 3. November 2019 Metropolit) Jean von Dubna in die Jurisdiktion des Moskauer Patriarchats in der Hoffnung gefolgt ist, gerade die Struktur erhalten zu können. Dieser Schritt ist indessen Verrat an allem, was uns kostbar ist: Ortskirche, Konziliarität, Verwendung der Volkssprache im Gottesdienst, Freiheit von staatlicher Willkür. Das Moskauer Patriarchat verkörpert die Unterwerfung unter ein staatliches Willkürregime, das der Kirche Reichtum und Macht dafür gibt, dass sie seinen Machtanspruch durch die Ideologie der „russischen Welt“ ideologisch fundiert. Der Anschluss an eine solche Formation bedeutet einen Salto mortale in ein ekklesiologisches Gegenuniversum, in dem die Kirche zum Instrument klerikalen Machterhalts degeneriert. Anders gesagt: Das Moskauer Patriarchat ist der Inbegriff all dessen, was zu vermeiden und zu bekämpfen die raison d’être jenes Erzbistums war, dem wir entstammen und dessen Erben wir sind. Das galt schon 1930/31, als sich Metropolit Evlogij genötigt sah, das damalige Westeuropäische Exarchat des Moskauer Patriarchates dem Schutz und der Obhut des Ökumenischen Patriarchen Photios II. zu unterstellen. Und das gilt noch mehr unter den Bedingungen einer gegenüber dem 20. Jahrhundert dank der Möglichkeiten des digitalen Zeitalters unvorstellbar verfeinerten und gesteigerten Dominanz des Staates im Dienst seines postsowjetischen, neofaschistischen Totalitarismus. Der Unterschied besteht allerdings darin, dass der neue russische Staat die Kirche nicht mehr im „klassischen“ Sinne verfolgt, sondern vereinnahmt, weil diese Kirche mit ihm eine vorbehaltlose und uneingeschränkte symbiotische Verbindung eingegangen ist."
In diesem Kommentar zur Krise der Orthodoxie infolge der Ukraine-Problematik sollte eine Auswahl an Wörtern und Begrifflichkeiten des oben zitierten Schriftstücks veröffentlicht werden, um auf die Gefahren des politischen Machtmissbrauchs hinzuweisen; aufgrund der diesbezüglichen Begriffsdichte im oben angeführten Text war das Zitat unerlässlich. Im Text wird der russischen Kirche u.a. vorgeworfen, gefälliges "Spielzeug" des russischen Staates zu sein, um besser bestehen zu können. Eine berechtigte Frage an den Verfasser könnte lauten, wo er sich selber als Angestellten einer Institution in Deutschland sieht, die aus ihrer politischen Verbindung in ein anderes Land bedeutende Vorteile auch finanzieller Natur zieht, ganz zu schweigen von der kirchlichen Eingebundenheit der katholischen und evangelischen Kirche in Deutschland, die ihre Grundlage auf Konkordate gründet. Der scharfe Vorwurf der "Unterwerfung unter ein staatliches Willkürregime" erscheint in der Form als wirklich bedauernwerte Verurteilung sowohl eines Staatssystems an sich, als auch einer Kirche, die auf dem Gebiet eben jenes Staates existiert - und zwar nicht nur als "Prälatenkirche" ohne Gläubige, sondern gerade als Kirche von Gläubigen, zu denen auch ihre Bischöfe zählen! So traurig es ist - die Istanbuler Kirche wird oft genug als eine "Prälatenkirche" bezeichnet, da ihnen fast alle Gläubigen abgehen und nurmehr der Verwaltungsapparat bleibt, der mittels der Diaspora um sein Überleben kämpft. Warum er das muss? Zum einen sicherlich darum, weil er vergessen ließ, dass die Kirche sich nicht um Vorrang und Macht und Ansehen und Rasse (ja, vor allem um die NICHT) zu kümmern hat, sondern um das Reich Gottes, das in ihr schon existent sein soll.

Donnerstag, 31. Januar 2019

Politik als treibende Kraft kirchlichen Handelns?

"Es gab Epochen, da hatte das Patriarchat von Konstantinopel seine hohe Zeit... seine einstige Herrlichkeit ist in eine blasse Erinnerung umgeschlagen, und dieses schismatische Verbrechen, mit welchem es sich in der Ukraine rühmt, wurde zur größten Herausforderung für die Orthodoxie im 21. Jahrhundert."(Quelle)
Schon lange wird als bekannt vorausgesetzt, dass das Patriarchat in Istanbul einzig durch die finanzielle Unterstützung aus den USA bestehen kann. Die neuesten Entwicklungen haben dazu geführt, dass nicht nur die phanariotischen Finanzpolitik, sondern auch seine Kirchenpolitik als gänzlich abhängig von äußeren - also nicht-kirchlichen - Kräften eingestuft wird. Und es fällt schwer, bei den gegenwärtigen, durch die phanariotische Politik hervorgerufenen Zuständen von etwas anderem auszugehen, das darf eingestanden werden. Gleichzeitig kann man nun lesen, dass die Kirche ohne "Konstantinopel" nicht existiert und nicht existieren kann... Und dass die "griechische Nation" einen Vorrang hat, so Patr. Bartholomäus: "Unsere slavischen Brüder können den Vorrang des ökumenischen Patriarchats und unserer Nation - übersetzbar sogar mit 'Rasse' (genos)... - in der Orthodoxie nicht ertragen." (zitiert u. a. HIER). Es scheint, dass sich der orthodoxe Christ entscheiden sollte, und diese Entscheidung hat etwas mit einer Wahl zu tun, nämlich: Für etwas einzutreten und das Andere für sich zu verwerfen. Der Christ wird den Weg des Evangeliums wählen, der unpolitisch ist. Der Christ lebt nicht in der "polis", sondern in Christus! Deshalb wird es die Kirche auch ohne "Konstantinopel" geben, wie es sie auch ohne "Rom", "Moskau" etc. geben wird.

Donnerstag, 17. Januar 2019

Phantasma Constantinopolitanum

Von Istkart - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=32035980
Ein Artikel jagt den anderen, eine Enthüllung die andere. Die Fronten verhärten sich beiderseits, nicht nur im sogenannten Moskau freundlich gesonnenen Lager. Was verwundert, ist die hektische Bereitschaft, These nach These zu formulieren und das jeweils unterstützte Lager mit fundierten Standpunkten in seinem Recht zu bestärken, fortzufahren in seiner Politik. Während man seitens des Phanar mit wenigen Wochen rechnet, bis die neue Entität, gebildet aus den schismatischen Gruppierungen der Ukraine, von den orthodoxen Kirchen anerkannt wird, glauben andere nicht mehr an ein Einlenken des einstigen Konstantinopel. Mit Nachdruck verweist Patriarch Irenej von Serbien auf den wichtigen Umstand, dass es nicht darum geht, "Konstantinopel" oder "Moskau" zu unterstützen, sondern dass es um die orthodoxen "canones" geht, also um Verhaltensregeln, die der besseren Organisation dienen und die eigentlich die Weisungen des Evangeliums ergänzen. Im Wust der Anklagen und Verteidigungen fällt auf, wie wenig sich die Verfasser um die Fundamente kümmern können: um die Grundlagen der christlichen Orthodoxie, die tiefer gehen, als jeder "canon", und sei er auch apostolisch! Die Verletzlichkeit ist groß auf beiden Seiten, wenn man schon im Bild der Fronten bleiben möchte. Allerdings hat der Phanar damit zu kämpfen, dass ihm sein Überleben zugestanden wird. Eine recht ausgewogene Analyse der gegenwärtigen Situation in engl. Sprache bietet Anna Stickles. Der Fokus ihrer Beobachtungen liegt hier auf den Auswirkungen jener Autokephalie der ukrainischen Schismatiker, die von einem Freiheitsbegriff ausgeht, der wohlwollend als naiv, auf die konkrete Situation gezogen hingegen nur als fatal bezeichnet werden kann. Die Autorin versucht in ihren Ausführungen zudem, die Schieflage zu erklären, die sich aus den unterschiedlichen Deutungen der "canones" ergibt. Denn diese kirchlichen Richtlinien müssen auch kirchlich, d.h. geistlich interpretiert werden. Es genügt keine historisch-kritische Exegese des kirchlichen Rechts! Dieser Umstand scheint nicht in vollem Umfang Beachtung gefunden zu haben. Das zeigt sich an manchen Entscheidungen der jüngeren Geschichte, nicht erst in Estland und nicht erst in der Ukraine.
Wo aber versteckt sich das "phantasma constantinopolitanum" der Überschrift, jenes "Schreckgespenst Konstantinopels"? Es verbirgt sich vielleicht hinter der Angst und der Panik, dass es nicht mehr weitergeht. Diese Panik wird nur allzu deutlich in den Aktionen des Phanar und in der Art, Kirchenpolitik zu betreiben. Ist diese Angst begründet? Ganz sicher nicht! Auch wenn man das im Phanar anders sieht: Die orthodoxe Kirche wird weiterleben, auch wenn es keines der alten Patriarchate mehr geben sollte. Konstantinopel gibt es schon lange nicht mehr; und die Kirche hat mehrere Jahrhundert "überlebt", ohne dass es das "Neue Rom" gab. Es ist die verzwickte Interpretationslage der "canones", die die Existenz der Kirche Christi an kanonistische Gesetzesinterpretationen und ihnen zugrunde liegende "canones" zu binden versucht, dabei aber die Kirche als Leib Christi außen vor lässt! Dieser geheimnisvolle Leib Christi ist hingegen viel wichtiger, ja vielleicht die einzig wichtige Wirklichkeit, die zählt. Diese Realität hingegen gibt es, sie lebt als Kirche in einer Welt, deren Landesgrenzen sich, je nach politischer Lage, verschieben können. Das gibt der Kirche nicht das Recht, ihr Grundgesetz zu verwerfen und den Machthabern dieser Welt hinterherzulaufen. Die Menschen in der heutigen Ukraine gehören nicht deswegen zum ukrainischen Volk, weil sie 1991 auf der "richtigen" Seite der Grenzziehung gelebt haben. Zum Selbstverständnis eines Volkes gehört mehr, als nur pubertäre Politik mit fatalen Folgen. Ein solches, echtes Volk wird mit den Feindbildern nichts anfangen können - vor allem nicht mit dem Feindbilder des machtbesessenen Russen. Für viele moderne Staatsgebilde gilt das gleichermaßen, auch für das deutsche: Die Völker auf deutschem Boden eint heute eine große Staatenföderation (!) als deutscher Staat. Es wäre hingegen ein schlimmes Zeichen, würde die Kirche sich immer den herrschenden politischen Denkmustern anpassen und so ihre vermeintlichen Zuständigkeiten regeln wollen. Das wäre ein jeweils übertragenes "phantasma constantinopolitanum" in Reinform - und ein phänomenales Versagen einer Ekklesiologie, die nur noch dem Namen nach orthodox genannt werden könnte.

Freitag, 7. Dezember 2018

Orthodoxie oder Kulturverein: die Kirche als Gemeinschaft von Völkern


"Wollt auch ihr weggehen?" (Joh 6,67) Das ist die Frage Jesu an die Jünger nach seiner Offenbarungsrede in Kafarnaum, nach der es kein Wenn und Aber mehr gab. Es ist aber auch die Frage an jeden Christen hier und heute. Die Orthodoxie ist kein Kulturverein, auch wenn sie Hüterin einer großen Kultur ist. Sie ist auch keine ethnische Insel inmitten einer schlechten Welt, auf der es sich gemächlich leben läßt im Träumen von der vergangenen Herrlichkeit. Es muss klar sein: Konstantinopel gibt es seit Jahrhunderten nicht mehr. Und es wird kein Konstantinopel mehr geben. Auch das alte Moskau, auch das Kiew der Rus' ist vergangen und wird nicht wiederauferstehen. Was bleibt, ist die unverbrüchliche Treue Gottes hinter all den Katastrophen der Menschheitsgeschichte. Diese Treue zeigt sich in der Langmut Gottes, der auch "Kulturvereine" erträgt und - mitträgt! Allerdings sollten wir uns nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Die Realität ist unerbittlich und wird uns einholen. Es lohnt sich der unermüdliche Blick in das Neue Testament, in dem Antworten bereitliegen für uns heute. Eine der Antworten ist die beständige Erinnerung des hl. Apostels Paulus in seinen Briefen an die Weitergabe des Glaubens durch Menschen. Ihr liegen die Missionserfolge zugrunde, die seit den urchristlichen Zeiten den Glauben erstarken ließen. Die Menschen sind aber auch anfällig für Krankheiten, die Sünde, die das Glaubenszeugnis verdunkeln oder sogar zunichte machen können. Wer dann nicht die einzige Wahrheit hinter der schmutzigen Krankenwäsche sieht, der wird Gott die Antwort auf die eingangs gestellt Frage geben und sagen: "Es ist unerträglich, was Er sagt!" (vgl. Joh 6,60) Unerträglich scheint heute vielen der Gedanke, andere Menschen und Sitten und Prägungen auf Augenhöhe akzeptieren zu müssen; nichts anderes ist das Beharren auf kulturellen Erbstücken, während die Begegnung mit dem lebendigen Gott auf den zweiten Platz verwiesen wird. Es ist tieftraurig, dass die kulturelle Verschiedenheit eher als Last denn als Geschenk wahrgenommen wird. Die orthodoxe Kirche in Deutschland hat einen unglaublichen Reichtum geschenkt bekommen in den vielen Traditionen, die Christen mitgebracht haben. Das, was niemals geschehen darf, ist die Aufgabe der geistlichen Tradition, die so grundlegend für die Kirche ist, dass der heilige Paulus es klar benennen kann: "Denkt an eure Vorsteher, die euch das Wort Gottes verkündet haben; schaut auf das Ende ihres Lebens, und ahmt ihren Glauben nach!" (Hebr 13,7) Mit diesen Worten wird deutlich zum Ausdruck gebracht, dass das Herkommen (arabisch, griechisch, russisch, aber auch deutsch, etc.) nicht gleichgültig ist, dass unsere überlieferten Traditionen in den Kirchen Griechenlands, Rußlands, etc. nicht austauschbar sind! Aber die Lehre der Kirche als Hüterin der apostolischen Überlieferung sagt dazu deutlich: Alles bleibt auf Christus bezogen, der das Oberhaupt der Kirche ist. Die orthodoxe Kirche in Deutschland braucht keine russische oder griechische zu werden, da sie sich in diesem Falle selbst zugrunde gerichtet hätte, denn sie wäre dem apostolischen Glauben untreu geworden. Die orthodoxe Kirche in Deutschland (und in vielen anderen Ländern) muss hingegen ihrer jeweiligen Lehrer im Glauben gedenken, muss ihnen treu verbunden bleiben: Deshalb muss sie ihre griechische, arabische oder russische (etc.) Tradition voller Hochachtung in sich tragen, denn alle diese Traditionen sind ein Charisma. Was für eine Verirrung, nur eine Tradition als gültig anzusehen oder gar als höherwertig! Der byzantinische Kirchengesang ist nicht hochwertiger und spiritueller, als es der russische polyphone Kirchengesang des 19. Jahrhunderts ist oder der Znamenje-Gesang des 16. Jahrhunderts: Wenn etwas zum Spielball der Ideologien wird, dann ist der Urheber dieser Verwirrungen offensichtlich! Was für ein Drama, wenn die Gläubigen dazu gebracht werden, andere Traditionen geringer zu achten! Aber welch ein Drama entsteht, wenn die Gläubigen getrennt werden von der Teilnahme am himmlischen Altar - durch Verhärtungen und Verdrehungen von kirchlichen Gesetzen, die dem Heil dienen sollen, nicht dem Fluch. Der Schmerz und die Tränen der Kinder in der Ukraine (und anderswo!) mögen nicht auf die zurückfallen, die sie verursachen. Es kann nicht sein, dass ethnische Fragen - auch nicht die um Ukrainer und Russen - die Organisation der Kirche bestimmen. Begriffe wie "Region" und "Landstrich" haben nichts zu tun mit dem, was die Begrifflichkeit "Rasse" und "Ethnie" bezeichnen, denn ein spezifisches "Volk" kann im christlichen Sinne wunderbar in einer bestimmten "Region" leben, zusammen mit vielen anderen "Völkern", die alle die eine irdische Heimat eint. So lehrt es die apostolische Überlieferung. Daher ist die Verfassung der Kirche oft als Widerschein der Trinität gesehen worden: Es gibt keinen Übergeordneten innerhalb der Kirchengemeinschaft, sondern nur Gleichberechtigte. Es gibt keinen Befugteren unter den Ersthierarchen, sondern nur für den Dienst Bestellte, die alle gleichermaßen Beauftragte sind. Das gilt nicht nur für die Ersthierarchen, sondern nach kirchlicher Lehre für alle Bischöfe gleichermaßen. Wohlgemerkt: Jeder ist dann verantwortlich. Und jeder ist dann gefordert. Es wäre beruhigend, wenn die Menschen nicht wie die Menge in Kafarnaum reagieren würden, denen der Erlöser vorwirft: "Ihr sucht Mich nicht, weil ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil ihr von den Broten gegessen habt und satt geworden seid. Müht euch nicht um die Speise, die vergänglich ist, sondern um die Speise, die für das ewige Leben bleibt..." (Joh 6,26.27)