Mittwoch, 15. Juli 2020

Eine verhangene Theologie

Historisierende Illustration zu einer Rekonstruktion des Klangraums der historischen Hagia Sophia
Die Wellen der Empörung schlagen hoch, da die einstige Bischofskirche Konstantinopels nach etwa 100 Jahren als Museum wieder zur Moschee werden soll, was sie seit 1453 war. Dass dieses Kirchengebäude zweifellos von großer Ehrwürdigkeit ist, sollte niemand mit Verstand bezweifeln. Wenn man jedoch lesen kann, dass die Hagia Sophia der "heiligste Ort der Orthodoxie" sei, dass - an gleicher Stelle zu lesen - der "ganzen Nation innigster Wunsch" in Erfüllung gegangen ist, als im Jahr 1919 eine Liturgie in diesem Kirchengebäude gefeiert wurde, und dass das ein Priester tat, der - wieder im gleichen Text zu lesen - ein Vertreter des "Hellenismus" war, dann darf man die Theologie hinter diesem Wunsch in Zweifel ziehen.
Natürlich, es gibt heilige Orte in dieser Welt. Es gibt Orte, die geschichtsträchtig sind und dadurch stark emotional aufgeladen. Die Hagia Sophia gehört zu diesen Orten, das ist sicher richtig. Aber sie ist nicht der heiligste Ort der Orthodoxie, mit ihr fällt oder steht nicht die gesamte christliche Orthodoxie - beileibe nicht! Ein weiterer Punkt wird immer öfter genannt: die Umwandlung von Museum zu Moschee sei wie eine Strafe zu verstehen für die Handlungen des ökumenischen Patriarchats im Phanar von Istanbul, die sich als kontraproduktiv für die Einheit der Orthodoxie erwiesen haben. Eine solche Denkweise kann zumindest als fragwürdig eingestuft werden, wenn sie sich auf allzu anthropomorphe Bilder von Gott berufen möchte. Zweifellos hat sich die Situation in den Ländern, in denen das ökum. Patriarchat in die internen Angelegenheit der Ortskirchen eingegriffen hat, niemals zum Besseren gewendet, was betrüblich (und verständlich) ist, aber dieses Eingreifen als Sündenfall mit der jetzt folgenden Strafe einzuschätzen, ist etwas niederschwellig. Der Fall Konstantinopels vor mehr als 500 Jahren war sicherlich eine Folge der Uneinigkeit der Christen. Der Fall der Hagia Sophia vom Museum zur Moschee im Jahre 2020 ist nicht weniger ein Armutszeugnis, sowohl für die Christen, als auch für die Verantwortlichen: Es scheint letzteren im Prestige und Nationalismus zu gehen - erstere haben es indes ebenfalls nicht geschafft, sich wenigstens innerhalb der Orthodoxie auf die Wurzeln zu besinnen, die man durchaus als zutiefst theologisch bezeichnen könnte: dass die Heiligkeit des Ortes nicht aus der Nation, aus der Sprache und aus der Ethnie hervorgeht, sondern dass sie immer auf Gott bezogen ist. Zumindest steht es so im Evangelium - vgl. Mt 23,16ss.

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