Mittwoch, 29. Januar 2020

Was es heißt, Ortskirche zu sein

Der hl. Apostel Jakobus umgeben von anderen Bischöfen unterschiedlicher "Ortskirchen" 
Ikone aus Kiew, Wikimedia

Es braucht nicht viel, um allenthalben auf diverse Plattformen (z.B.) zu stoßen, die - orthodoxerseits - die "Ortskirche" oder "Lokalkirche" in den Fokus rücken. Vor allem in Frankreich und in den französischsprachigen Ländern war und ist diese Bestrbung nach einer lokalen orthodoxen Kirche stark, nicht erst seit den Versuchen der Kowalewski-Brüder, die Orthodoxie auch in einem liturgisch-rituellen Kontext westlich werden zu lassen. Auf der oben verlinkten Seite wird tatsächlich momentan kritisch beurteilt, was sich orthodoxerseits an Schwierigkeiten auftut. Hauptkritikpunkt ist entweder die Unterwerfung unter eine, wie man sagt, politisch dominierte Kirche Moskauer Prägung oder aber das Beklagen des Fehlens einer Unterstützung durch andere orthodoxe Kirchen. Dass der Phanar nurmehr sehr schlecht wegkommt, darf nicht verwundern, sind manche der Kommentatoren doch ehemalige Daru-Gemeindemitglieder - eines Erzbistums also, das als "Exarchat" des ökumenischen Patriarchen im Jahr 2018 aufgelöst wurde und erst Ende 2019 wieder zu seiner Gründerin, der Kirche von Moskau, zurückkehren konnte. Viel wichtiger ist bei näherer Betrachtung allerdings der Umstand, dass die einschlägigen Kommentare vor allem eines betonen: eine Ortskirche darf nicht abhängig sein.
Dieser Punkt, der, so formuliert, recht grob vereinfacht, verdient an sich schon eine kritische Betrachtung. Alle Ortskirchen seit ihrem Bestehen sind ihrem Wesen nach abhängig, sonst wären sie nicht würdig, sich Ortskirche zu nennen. Denn jede Kirche kann sich nur dadurch definieren, dass sie Leib Christi ist, und das in der communio der Kirchen auf der Welt, von denen eine jede nur Tochter sein darf, und hieße sie auch "Patriarchat von Konstantinopel" (in Istanbul). Diese von manchen geführte polemische Diskussion soll hier nicht weiter interessieren. Es kann vielmehr interessant sein, was sogenannte etablierte Ortskirchen, z.B. die römisch-katholische Kirche, denn ausmacht bzw. ausgemacht hat: Wichtig ist und war immer ein ausgesprochen gegenwärtiger Rückbezug auf die Ursprünge, vor allem durch Feste (römische Märtyrer, römische Frauen, römische Bischöfe und Priester u.a.), aber auch durch eindeutige liturgische Rückbezüge auf die Mutterkirche, im vorliegenden Falle also Rom. Mag die Liturgie noch so "altgallisch" oder "gallikanisch" sein - es gibt Elemente in ihr, die sie eindeutig der römischen Mutterkirche zuordnen, nicht zuletzt die Sprache, also das Lateinische. Es kann vor diesem Hintergrund wahrhaftig nur erstaunen, wie naiv manche Kommentatoren im oben verlinkten Diskussionsforum sich gegen die "Russifizierung" der Ortskirche wenden. Es gehört schließlich zum Wesen der Kirche, dass sie aus der Weitergabe lebt, wie schon der Apostel Paulus in nicht nur einem seiner Briefe schreibt. Vielleicht ist diese romantische Sicht auf eine Lokalkirche dem Umstand geschuldet, dass diese orthodoxe Bewegung einfach zu jung ist, um gelassen an diese Frage herangehen zu können. Die Begeisterung für die neu geschaffene (quasi rekonstruierte) "Liturgie des hl. Germanus von Paris" dürfte sich neben die Begeisterung für die tradierte Chrysostomus-Liturgie nach "Rue Daru-Tradition" stellen, wenn man bereit wäre, ohne Feindbilder an diese Fragen heranzugehen. Für manche Diskutierende ist das, was heute "Moskauer Patriarchat" ist, identisch mit sowjetisch infiltrierter Diktaturkirche, die ohne Unterbrechung seit 1990 weiterbesteht. Die Polemik beiseite lassend, darf die Frage gestellt werden, was denn kultur- und mentalitätsmäßig eine "Ortskirche" haben muss? Darf sie noch Prägungen besitzen, wie seinerzeit im damaligen Konstantinopel die Antiochener Liturgietradition durch den hl. Johannes Chrysostomus? Darf sie geprägt sein durch eindeutige römisch-lateinische Fundamente, wie die "gallikanische" Liturgie? Darf sie Feste feiern, die Heilige anderer Länder hervorheben - die röm. Märtytrer, Frauen und Päpste, die sogar früh in den "canon romanus" (!) gewandert sind, oder die russischen Neumärtyrer? Darf sie sich - im Jargon des oben genannten Forums - fremdbestimmen lassen durch Vorgaben von ausländischen Institutionen - römisch-italienischen, russischen, türkischen, griechischen, balkanesischen, etc.? Alle diese Fragen hat die Kirchengeschichte beantwortet, und nicht nur das: sogar das Evangelium als Grundlage hat da ein Machtwort gesprochen, das seine Macht jedoch nur leise hervorkehrt, und auch dann nur denen zeigt, die auch ein bereites Herz haben: Es gibt bei uns (also: in der Kirche Christi) nicht mehr "Sklaven und Freie, nicht mehr Griechen und Russen, nicht mehr Rumänen und Serben, nicht mehr Römer und Gallikaner", um nur einige zu nenen, sondern nurmehr Menschen, die Christus angehören. Dass man in Frankreich die russischen Neumärtyrer feiert, in Deutschland die römischen Protomärtyrer und in Serbien oder Rumänien oder Amerika griechische Großmärtyrer - all das gehört zum gesunden Wesen der Kirche, die sich geeint weiß über alle Rassen, Sprachen und Mentalitäten hinweg. Ein starker Tobak für die "Église locale en Europe occidentale"... Es führt allerdings kein Weg daran vorbei, sich nicht nur als "lokal" zu definieren, sondern vor allem als Kirche! Die nämlich weiß, dass es keine Gemeinschaft gibt ohne Weitergabe. Eine gesunde Weitergabe hingegen kann nur dann geschehen, wenn sich Geber und Empfänger nicht von vornherein als Feinde gegenüberstehen. Wer vom Gegenüber erstmal nur Schlechtes erwartet, dem wird nie Gutes geschenkt. Einer "Ortskirche", gegründet auf Feindbildern, wird die tödliche Krankheit direkt mit in die Wiege gelegt. Unnötig zu betonen, dass es sich hierbei nicht um realitätsferne Theorien handelt, sondern die Grundlagen einer gesunden, aber bodenständigen Lehre von der Kirche in Betracht gezogen wurden.        

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