Mittwoch, 24. Juni 2020

Nach dem Sonntag des Fests aller Heiligen des jeweiligen Landes


Es gehört zu den Grundlagen der Ekklesiologie, dass die Kirchen des Erdkreises nicht aus sich selbst entstanden sind: eine jede von ihnen darf sich als Teilhaberin an der apostolischen Tradition verstehen. Die Tradition ist in diesem Zusammenhang zu verstehen als Weitergabe des Glaubens und Anteilhabe am apostolischen Erbgut. Daher ist es völlig normal, dass die einzelnen Kirchen unterschiedliche Prägungen besitzen. Ganz natürlich ist für den "katholischen" Westen die Übernahme der Heiligen der römischen Frühzeit: Man feiert die römischen Märtyrer und Märtyrinnen, und im ganzen "katholischen" Westen werden die eminentesten von ihnen sogar in einem Hochgebet genannt, obwohl man hierzulande weder Italiener, geschweige den Römer ist. Diese Bezogenheit auf die römische Kirche im Westen ist allerdings nur natürlich, wird sie doch als Mutterkirche verstanden. Daher übrigens auch die Feiern der Weihetage von römischen Kirchen überall außerhalb der Stadt Rom und Italiens. Den orthodoxen Kirchen nun wird häufig so etwas wie Kirchen-Nationalismus nachgesagt.
Im (nicht ganz objektiven) Vergleich schwächt sich dieser '-ismus' schon deutlich ab: die einzelnen orthodoxen Diözesen in Westeuropa sind zwar ethnisch geprägt, doch ist ihre Hinordnung auf eine Nation vor allem den Mehrheiten an ethnischen Kirchenmitgliedern geschuldet. Als "Kirchen" sind diese Diözesen nicht mehr und nicht weniger national geprägt, als jede römisch-katholische Diözese auch - dort finden sich nämlich durchaus die Farben des Nationalstaats, des Vatikan, vor jeder Haustür, wenn Prozessionen oder Feiertage abgehalten werden.
Wie jedoch kann die Kirche sich gut integrieren, ohne von der so grundlegenden Tradition zu lassen? Das funktioniert nicht, wenn sie vor ihren Wurzeln davonläuft. Die russische Kirche feiert mit Hingabe die Heiligen ihrer Mutterkirche, des einstigen Konstantinopel. Die Diözesen des Moskauer Patriarchats im Westen feiern mit Hingabe die Heiligen ihrer Mutterkirche, die Heiligen des russischen Landes, ohne dass eine solche Feier nationalistisch wäre. Im Gegenteil: wer seine Wurzeln vergisst, wird früher oder später anfällig für den Extremismus in seinen subtilen Formen. Denn es fehlt dann an der Verwurzelung, die nur durch extreme Forderungen aufgewogen werden kann. Als Rückschluss muss man sagen: Es fehlt dann tatsächlich an Kirchlichkeit, da die Kirche nur durch die "Tradition" echt und apostolisch sein kann.
Die Heiligen des deutschen Landes treten schließlich neben ihre heiligen Brüder und Schwestern der Mutterkirchen. Und es ziemt sich, sie hochzuhalten und sie einzuschließen in den Gottesdienst der Kirche, sind sie doch nicht selten älter als ihre Verwandten Griechenlands, Rußlands, Georgiens, Rumäniens, Bulgariens, Serbiens etc.
Ein weiterer Punkt ist zu bedenken: Wie kann eine Ortskirche aufgebaut werden, wenn man sich vor Ort eher nicht um die Mutterkirche scheren möchte? Ein solcher Eindruck entsteht nicht selten, wenn man einschlägige Internetseiten liest. Dort ist zu lesen, wie schädlich die eigentlich ja unkanonisch organisierten Diözesen der einzelnen orthodoxen Patriarchate in Westeueropa sich auf das Glaubensleben der Menschen auswirken. Dass es oft nur um Größe und Macht ginge  - wie etwas hier:
Doch wird die Ortskirche authentischer, wenn sie keinerlei Autorität über sich duldet? Ganz im Gegenteil! Denn sie verliert das Wesen ihres Kirche-Seins durch dieses Aufbegehren: sie verliert die gewollte Anbindung an die apostolische Tradition mittels ihrer Verwurzelung in der geschichtlichen Wirklichkeit. Irenäus von Lyon etwa war nicht weniger ein Christ aus Smyrna, nur weil er in Lyon wirkte. Und das wird er sein ganzes Leben lang hochgehalten haben, ohne dass die Kirche von Lyon deshalb "ethnisch durchseucht" war. Die Heiligen und Zeugen für Christus sind nicht russisch, griechisch, serbisch o.ä., sondern sie sind - kurz und sehr schlicht gesagt - die Kirche Christi. Daher ist es nur verständlich, wenn von vielen Seiten die Frage des Vorrangs von Ersthierarchen der Patriarchate als sekundär eingestuft wird. Nicht nur vor dem Hintergrund des Evangeliums kann dieser Einschätzung nur zugestimmt werden.
Nicht vergessen hingegen sollte man die echte Kirchlichkeit: die apostolische Tradition, die sich weiterverpflanzt einzig durch konkrete Menschen, durch die mehr oder minder vorbildlichen Heiligen aller Völker und Rassen. Und vor allem darf die heutige Kirchlichkeit nicht in Vergessenheit geraten, die nicht ohne Anbindung an konkrete kirchliche Strukturen - und seien sie noch so streitbar - auskommt. Moskau, Istanbul, Bukarest, Belgrad, Sofia, Jerusalem, Antiochien, Alexandria, etc.: kein Bischof dieser Städte sollte sich zu schade sein, den Platz des Menschensohnes einzunehmen, den dieser in den Evangelien den Jüngern vor Augen stellt. Die Heiligen aller Zeiten und Orte haben sich an diesem Platz ausgerichtet und dadurch die Schätze des Himmelreichs erworben.

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