Freitag, 7. Dezember 2018

Orthodoxie oder Kulturverein: die Kirche als Gemeinschaft von Völkern


"Wollt auch ihr weggehen?" (Joh 6,67) Das ist die Frage Jesu an die Jünger nach seiner Offenbarungsrede in Kafarnaum, nach der es kein Wenn und Aber mehr gab. Es ist aber auch die Frage an jeden Christen hier und heute. Die Orthodoxie ist kein Kulturverein, auch wenn sie Hüterin einer großen Kultur ist. Sie ist auch keine ethnische Insel inmitten einer schlechten Welt, auf der es sich gemächlich leben läßt im Träumen von der vergangenen Herrlichkeit. Es muss klar sein: Konstantinopel gibt es seit Jahrhunderten nicht mehr. Und es wird kein Konstantinopel mehr geben. Auch das alte Moskau, auch das Kiew der Rus' ist vergangen und wird nicht wiederauferstehen. Was bleibt, ist die unverbrüchliche Treue Gottes hinter all den Katastrophen der Menschheitsgeschichte. Diese Treue zeigt sich in der Langmut Gottes, der auch "Kulturvereine" erträgt und - mitträgt! Allerdings sollten wir uns nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Die Realität ist unerbittlich und wird uns einholen. Es lohnt sich der unermüdliche Blick in das Neue Testament, in dem Antworten bereitliegen für uns heute. Eine der Antworten ist die beständige Erinnerung des hl. Apostels Paulus in seinen Briefen an die Weitergabe des Glaubens durch Menschen. Ihr liegen die Missionserfolge zugrunde, die seit den urchristlichen Zeiten den Glauben erstarken ließen. Die Menschen sind aber auch anfällig für Krankheiten, die Sünde, die das Glaubenszeugnis verdunkeln oder sogar zunichte machen können. Wer dann nicht die einzige Wahrheit hinter der schmutzigen Krankenwäsche sieht, der wird Gott die Antwort auf die eingangs gestellt Frage geben und sagen: "Es ist unerträglich, was Er sagt!" (vgl. Joh 6,60) Unerträglich scheint heute vielen der Gedanke, andere Menschen und Sitten und Prägungen auf Augenhöhe akzeptieren zu müssen; nichts anderes ist das Beharren auf kulturellen Erbstücken, während die Begegnung mit dem lebendigen Gott auf den zweiten Platz verwiesen wird. Es ist tieftraurig, dass die kulturelle Verschiedenheit eher als Last denn als Geschenk wahrgenommen wird. Die orthodoxe Kirche in Deutschland hat einen unglaublichen Reichtum geschenkt bekommen in den vielen Traditionen, die Christen mitgebracht haben. Das, was niemals geschehen darf, ist die Aufgabe der geistlichen Tradition, die so grundlegend für die Kirche ist, dass der heilige Paulus es klar benennen kann: "Denkt an eure Vorsteher, die euch das Wort Gottes verkündet haben; schaut auf das Ende ihres Lebens, und ahmt ihren Glauben nach!" (Hebr 13,7) Mit diesen Worten wird deutlich zum Ausdruck gebracht, dass das Herkommen (arabisch, griechisch, russisch, aber auch deutsch, etc.) nicht gleichgültig ist, dass unsere überlieferten Traditionen in den Kirchen Griechenlands, Rußlands, etc. nicht austauschbar sind! Aber die Lehre der Kirche als Hüterin der apostolischen Überlieferung sagt dazu deutlich: Alles bleibt auf Christus bezogen, der das Oberhaupt der Kirche ist. Die orthodoxe Kirche in Deutschland braucht keine russische oder griechische zu werden, da sie sich in diesem Falle selbst zugrunde gerichtet hätte, denn sie wäre dem apostolischen Glauben untreu geworden. Die orthodoxe Kirche in Deutschland (und in vielen anderen Ländern) muss hingegen ihrer jeweiligen Lehrer im Glauben gedenken, muss ihnen treu verbunden bleiben: Deshalb muss sie ihre griechische, arabische oder russische (etc.) Tradition voller Hochachtung in sich tragen, denn alle diese Traditionen sind ein Charisma. Was für eine Verirrung, nur eine Tradition als gültig anzusehen oder gar als höherwertig! Der byzantinische Kirchengesang ist nicht hochwertiger und spiritueller, als es der russische polyphone Kirchengesang des 19. Jahrhunderts ist oder der Znamenje-Gesang des 16. Jahrhunderts: Wenn etwas zum Spielball der Ideologien wird, dann ist der Urheber dieser Verwirrungen offensichtlich! Was für ein Drama, wenn die Gläubigen dazu gebracht werden, andere Traditionen geringer zu achten! Aber welch ein Drama entsteht, wenn die Gläubigen getrennt werden von der Teilnahme am himmlischen Altar - durch Verhärtungen und Verdrehungen von kirchlichen Gesetzen, die dem Heil dienen sollen, nicht dem Fluch. Der Schmerz und die Tränen der Kinder in der Ukraine (und anderswo!) mögen nicht auf die zurückfallen, die sie verursachen. Es kann nicht sein, dass ethnische Fragen - auch nicht die um Ukrainer und Russen - die Organisation der Kirche bestimmen. Begriffe wie "Region" und "Landstrich" haben nichts zu tun mit dem, was die Begrifflichkeit "Rasse" und "Ethnie" bezeichnen, denn ein spezifisches "Volk" kann im christlichen Sinne wunderbar in einer bestimmten "Region" leben, zusammen mit vielen anderen "Völkern", die alle die eine irdische Heimat eint. So lehrt es die apostolische Überlieferung. Daher ist die Verfassung der Kirche oft als Widerschein der Trinität gesehen worden: Es gibt keinen Übergeordneten innerhalb der Kirchengemeinschaft, sondern nur Gleichberechtigte. Es gibt keinen Befugteren unter den Ersthierarchen, sondern nur für den Dienst Bestellte, die alle gleichermaßen Beauftragte sind. Das gilt nicht nur für die Ersthierarchen, sondern nach kirchlicher Lehre für alle Bischöfe gleichermaßen. Wohlgemerkt: Jeder ist dann verantwortlich. Und jeder ist dann gefordert. Es wäre beruhigend, wenn die Menschen nicht wie die Menge in Kafarnaum reagieren würden, denen der Erlöser vorwirft: "Ihr sucht Mich nicht, weil ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil ihr von den Broten gegessen habt und satt geworden seid. Müht euch nicht um die Speise, die vergänglich ist, sondern um die Speise, die für das ewige Leben bleibt..." (Joh 6,26.27)

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