Die Heilige Woche mit den liturgischen Texten der Ostkirche ist nicht nur eine letzte Etappe in der Vorbereitung auf das Osterfest, der Auferstehung des Herrn. Nach den vierzig Tagen der Fastenzeit und den beiden festlichen Tagen der Auferweckung des Lazarus und des Palmsonntags erhalten die Wochentage der Karwoche ihr Gepräge ganz wesentlich durch einen Tropar, der nach dem Beginn des Nachtgottesdienstes gesungen wird ("laut und getragen", so heißt es). Der Text dieses Liedes spricht für sich und zeigt gleichzeitig, welche Ausrichtung die Gläubigen antreibt und um was es beim Fasten geht!
"Siehe, der Bräutigam kommt um Mitternacht,
und selig der Knecht, welchen er wachend findet,
unwürdig aber hingegen der,
den er nicht bereit finden wird.
Siehe also zu, meine Seele,
daß du nicht vom Schlaf befallen wirst,
damit du nicht dem Tod übergeben
und vom Reiche ausgeschlossen wirst,
sondern sei nüchtern und rufe:
Heilig, heilig, heilig bist Du, Gott;
um der Gottesgebärerin willen, erbarme Dich unser!"
Kirchenslavisch gesungen vom Chor des Sretenski-Klosters:
Stichire der Aposticha im Morgengottesdienst des heutigen Freitags der 6. Fastenwoche:
Ehre sei dem Vater... Jetzt und immerdar, 8. Ton: Angelangt am Ende der Quadragesima, Herr und Menschenliebender, bitten wir Dich darum, auch die heilige Woche Deines Leidens sehen zu dürfen, um in ihr Deine Großtaten zu verherrlichen und das unergründliche Wirken Deines Heils, indem wir mit einer Stimme singen: Herr, Ehre sei Dir!
Vor Beginn der Großen und Heiligen Woche am Palmsonntag wird in österlicher Freude am morgigen Samstag schon der Auferweckung des Lazarus gedacht. Es ist wie ein Vorgeschmack des Auferstehungsfestes, auf das sich die Gläubigen seit nunmehr vierzig Tagen vorbereiten.
(Übers. nach dem Kirchenslavischen und Französischen, beides hier verfügtbar...)
..., das schöne und berührende Gebet des heiligen Ephräm des Syrers:
"Herr und Gebieter meines Lebens,
den Geist des Müßiggangs, der Verzagtheit, der Herrschsucht
und der eitlen Rede halte von mir fern.
Aber gib Deinem Diener den Geist der Weisheit,
der Demut, der Geduld und der Liebe.
Ja, Herr und König, lass mich meine Sünden sehen
und meinen Bruder nicht verurteilen.
Denn Du bist gepriesen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen"
Üblicherweise begleiten tiefe Verbeugungen dieses Gebet - sie helfen uns, aufmerksam und mit Bedacht die Worte des Gebets aufzunehmen und mit Leben zu füllen. Während der Fastenzeit sprechen wir diese Bitten immer wieder: Und jedes Mal kann dem Menschen mehr zu Bewußtsein kommen, wie weit entfernt er von dem ist, was er vom himmlischen Vater erbittet. Man muss kein Mönch sein, um sich dabei an die bekannten Worte des Auferstehungshymnus zu erinnern: "Christi Auferstehung haben wir gesehen, laßt uns anbeten den heiligen Herrn, Jesus, der allein ohne Sünde ist..." Und dann kann es sein, dass man sich an die großen Heiligen erinnert, die hl. Maria Magdalena, die hl. Maria von Ägypten, viele andere unserer Väter und Mütter, deren Tränen vielleicht beides widerspiegeln können - die Zerknirschung und die Freude.
Gerade jährt sich die Entführung der Mönche von Tibhirine in Algerien zum 20. Mal (26./27. März 1996). Nicht weniger erhebend sind die Nachrichten über die Verfolgung und Ermordung von Christen jetzt und heute. Die Mönche von Notre-Dame de l'Atlas hätten sich in Sicherheit bringen können - fast alle waren Franzosen. Als Zisterzienser, einem Mönchsorden mit internationaler Verbreitung, wußten sie um die konkreten Risiken: die verantwortlichen Politiker und ihre Oberen des Zisterzienserordens hatten sie gebeten, sich dem Ernst der Lage zu stellen. In Algerien war es wohl religiöse Intoleranz, die als Grundübel sowohl den politischen Verfall, als auch die Verfolgung und Bedrohung vor allem der Christen und gemäßigten Muslime hervorgebracht hat.
Mit dem 3. Sonntag der Fastenzeit, dem "Sonntag der Kreuzverehrung", beginnt die vierte Fastenwoche: Während dieser Woche liegt in der Kirche ein geschmücktes Kreuz, das im Nachtgottesdienst des Sonntags feierlich dorthin getragen wird. Ein sehr schöner Hymnus wird zur anschließenden Verehrung gesungen, der auch das Trishagion in der Liturgie ersetzt: "Vor Deinem Kreuze, o Herrscher, werfen wir uns nieder, und Deine heilige Auferstehung preisen wir." In der "Woche der Kreuzverehrung" wird das Kreuz dann am Montag, Mittwoch und Freitag während der Prim, dem Gebet zur Ersten Stunde, von allen verehrt. Traditionellerweise werden die ganze Woche hindurch süße gebackene Kreuze als Nachspeise gegessen - die Vorfreude auf das Osterfest ist allgegenwärtig und belebt selbst den Speisenplan der Fastenzeit...
"Ein Mönch sollte so etwas wie die Mensch gewordene Liebe sein. Nach ihr dürstet die Welt - nach dieser Liebe, die vergibt, die geduldig ist, die zartfühlend zu sein versteht."
P. Seraphim, Kloster Valaam
"Wer aber im ... Glauben voranschreitet, dem weitet sich das Herz, und mit der unsagbaren Freude der Liebe eilt er voran auf dem Weg der Gebote Gottes."
Hl. Benedikt von Nursia, Mönchsregel, Vorwort, Vers 49.
Im Menologium zum 2. Februar wird der hintergründige Sinn des Festes der Begegnung am Tage der Reinigung Mariens - ihrer "purificatio" - beschrieben: Der greise Simeon bittet mit seinem "Nunc dimittis - Nun entlässt Du, Herr" darum, dass der Alte Bund und das Alte Testament, hinfällig geworden durch die Ankunft Christi, sich zurückziehen dürfen vor dem Licht der Gnade, so das Synaxarion. Es ist die Verkündigung des Endes des Sinnbildhaften und die letzte Prophezeihung auf den Erlöser hin, auf sein Leiden, Sterben und auf seine Auferstehung. Eine alte, wohl mehr symbolische Tradition läßt den greisen Simeon einen der 70 Übersetzer der dann so genannten "Septuaginta" sein, der inspirierten Übersetzung des Alten Testaments aus dem Hebräischen ins Griechische. Freilich - Simeon, wäre dann bei seiner Begegnung mit dem Erlöser im Tempel über 250 Jahre alt gewesen... Doch, so sagt die Tradition: Seine Übersetzungsarbeit hätte dem Buch Jesaja gegolten. Und er wäre beschämt worden über die Schriftstelle (Jes 7,14), in der die Jungfrau einen Sohn gebären wird! So wollte er schon "Jungfrau" durch "junge Frau" ersetzen, als ihm Einhalt geboten wurde, da das, was unmöglich erscheint, eine Prophezeihung ist auf die Fleischwerdung Gottes hin. Und der hl. Greis sollte, der Überlieferung gemäß, das Fleisch gewordene Wort noch in seinen Armen tragen. Das "Nunc dimittis" ist also ein Gebet des Anfangs und des Beginns. Es steht für die beharrliche Gottsuche, als Bitte am abendlichen Beginn des neuen Tages vor der Nachtruhe (im orth. Vespergottesdienst bzw. in der röm. Komplet) und als Bitte um Erfüllung der Heilstaten Gottes.