Dienstag, 26. Juni 2012

Tradition und Traditionalismus


Momentan stellen sich einigen Menschen, z.B. HIER, bedrängende Fragen: Was wird aus der Kirche, wenn die Einigung mit der Priesterbruderschaft St. Pius X. und ihren Anhängern nicht zustande kommt? Darf sich die "Priesterbruderschaft SPX" überhaupt zu einer Einigung mit Rom durchringen? Ist es nicht viel besser, Stachel im Fleisch der "Konzilskirche" zu bleiben, anstatt sich von einer dekadenten römischen (=häretischen!) Kirche ge-(bzw. miss-)brauchen zu lassen?
Unwillkürlich drängen sich dem etwas über den Tellerrand Hinausblickenden Assoziationen ganz anderer couleur auf: Da sind die russischen Altgläubigen des 17. Jahrhunderts, die sch entschieden gegen die Reformen der russischen Kirche wandten, um den wahren Glauben zu retten. Sie waren beseelt vom Verlangen nach Weitergabe der jahrhundertealten Traditionen ihrer Kirche - sie wollten die alten Riten und Gebete, die alten Traditionen und Bräuche bewahrt wissen, damit die Kirche nicht ebenso wie der damalige Staat den Verderben bringenden Enflüssen der Säkularisierung ausgesetzt bleibe und daran zugrunde ginge. Freilich waren die Umstände der russischen Kirche andere, als in Rom oder Ecône - um bei den plakativen Begrifflichkeiten zu bleiben. Und doch kann es in hohem Maße erschrecken, wie ähnlich Menschen völlig unterschiedlicher Mentalität reagieren. Liest man Beiträge theologisch durchaus gebildeter römisch-traditionalistischer Menschen zugunsten der entschiedenen Haltung der Priesterbruderschaft SPX, könnte sich mit Leichtigkeit der Eindruck aufdrängen, dass diesen Eiferern der heiligen Sache einzig eine Geburt beispielsweise in Rußland oder Griechenland abgeht, die sie zu gleich vehementen Verfechtern der ultraorthodoxen Sache gemacht hätte! Das sind keine beruhigenden Gedanken. Sie zeigen vielmehr, wie wenig es noch um den Dreifaltigen Gott und das Evangelium geht bei den erbitterten Diskussionen. Es geht um die Verhärtung der Positionen - sowohl bei Romtreuen und Romkritikern, als auch bei Orthodoxen und Ultra-Orthodoxen, denjenigen also, die sich, aus Liebe hoffentlich!, schon oberhalb der Orthodoxie positionieren. Im deutschen Sprachraum, und im Orden auf internationaler Ebene, ist unser Kloster Mariawald bekannt geworden durch einen Reformversuch ungewöhnlicher Art. Nach massiver Schrumpfung der Klostergemeinde in den letzten 30 Jahren - also nach den Reformen der Nachkonzilszeit - versuchen Abt und ein Teil der Klostergemeinde, durch die Rückbesinnung auf die Gebräuche der frühen 1960er Jahre, dem Kloster neue Lebensperspektiven zu ermöglichen. Und auch hier drängt sich der Eindruck auf, die Liebe zur Tradition versperre die freie Sicht auf die Grundlage unseres Glaubens. Über lange Jahrhunderte hinweg wurde im Zsterzienserorden treu bewahrt, was zum "Patrimonium" des Ordens gehört: Die Art und Weise, sich als Mönch auf die Suche nach Gott zu machen. Dazu gehören verschiedene Elemente, die wesentlicher Art sind: Ein monastisches Leben in Einsamkeit und Schweigen, das Fasten und die Abstinenz, das Gebet und die Lesung der Heiligen Schrift und der Väter. Dazu gehören jedoch nicht zwingend: Die lateinische Sprache (denn von ihr wurde sogar schon im 12. Jahrhundert bei der Sakramentenspendung dispensiert, wenn jemand sie nicht verstand), ein bestimmter "Stil" (denn was heute als traditionell gilt, etwa "römische" Kaseln, sind auch nur -späte- Entwicklungen, die gerade in der Zisterzienserliturgie sekundär sind), das legalistische "Pensum" der Frömmigkeit (denn es unterscheidet sich fundamental vom "officium" als heiliger Pflicht, zu welchem selbst die Eucharistiefeier in Ausnahmefällen in der Hohen Zeit des Zisterziensertums nicht gehört...). - Wie wohltuend könnte es sein, wenn die begeisterten Reformer von einst den begeisterten Reformern von heute zuhören könnten (et vice versa) und wenn beide weniger Ideologie und mehr Theologie (und zwar die echte) lebten.

Sonntag, 24. Juni 2012

Ein modernes Itinerarium aus dem Heiligen Land - VII


Hl. Johannes der Täufer, der Vorläufer des Herrn! Der Geburtstag des großen Zisterzienser-Patrons, des hl. Johannes des Täufers, ist ein besonderer Festtag, zumal jeder Pilger den Ort seiner Geburt in der Bannmeile Jerusalems verehren kann und sollte. Wo zur Zeitenwende das Haus des Priesters Zacharias, des Vaters des Vorläufers, stand, erhebt sich heute ein Kirche auf alten Fundamenten: St. Johannes im Gebirge nannten die Kreuzfahrer diesen Ort - wohl um ihn von "St. Johannes in der Wüste" zu unterscheiden.

Dort nämlich, etwa drei oder vier Kilometer entfernt, wird der Ort verehrt, an den sich Johannes zurückzog, um sich auf seine Predigttätigkeit vorzubereiten - durch Gebet, Einsamkeit, Fasten, Abstinenz und Buße: Genau deshalb ist er der Patron der Zisterzienser.
In der Geburtsgrotte des hl. Johannes in "St. Johannes im Gebirge" / En Kerem sieht man unter dem Altar den in Marmor eingefassten Gebortsort des Vorläufers.

Viele Pilger kommen dorthin, um diesen Ort zu verehren, ihn zu küssen und um dem hl. Johannes ihre Verehrung zu erweisen. - Ein Hymnus der Kirche zum Festtag:

"Das Andenken des Gerechten mit Lobgesängen! Dir aber, Vorläufer, gilt das Zeugnis des Herrn; erwiesen hast Du Dich doch wahrhaft als ehrwürdigster der Propheten, da Du gewürdigt wurdest, Ihn in den Wogen zu taufen, den Du verkündigt hast. Um der Wahrheit willen hast Du freudig gelitten, verkündet hast Du auch denen in der Hölle Gott, der erschienen ist im Fleisch, der hinwegnimmt die Sünden der Welt, und uns entbietet das große Erbarmen."

Samstag, 23. Juni 2012

Eine neue Seite über "Das Zisterzienserleben nach der Benediktsregel"

Gestern bin ich über die Vereinigung "ARCCIS" (oder auch HIER mit einer deutschen Präsentation)zur relativ neuen Seite eines französischsprachigen Zisterziensers geführt worden: "Vie cistercienne selon la règle de saint Benoît" - Zisterzienserleben nach der Regel des hl. Benedikt. Es verspricht, interessant zu werden. Der "compatriote" setzt sich mit ganz anderen Fragen auseinander. Und ich habe mit großem Interesse in seinen Notizen gelesen.

Donnerstag, 21. Juni 2012

Ein modernes Itinerarium aus dem Heiligen Land - VI


Auf einer Pilgerreise stellt sich immer wieder die bedrängende Frage, wie sich das Bemühen um ein effektiveres geistliches Leben auf die persönliche Gottesbeziehung auswirkt. Und es stellt sich zwangsläufig auch die Frage, nicht minder bedrängend übrigens, inwieweit ich die intensive Beziehung zu Gott überhaupt wünsche. Die glühende Mittagshitze in Israel kann für die brennend heißen Fragen stehen, die einem immer wieder durch den Kopf jagen. Ist es nicht viel angenehmer, sich nicht von Christus ergreifen zu lassen? Ist nicht der arm dran, der in die Hände des lebendigen Gottes fällt? (Frei nach der Heiligen Schrift zitiert!) Beide Fragen lassen sich positiv beantworten: Es ist angenehmer, so in den Tag hineinzuleben, ein sozial geschultes Gewissen zu haben und danach zu handeln. Denn Christus fordert heraus. Obwohl er sich nicht zurückhält mit seiner Liebe, sind wir frei, zu antworten. Und das ist gerade nicht die Problematik! Wie viel drängender ist doch die Suche nach dem lebendigen Gott, selbst wenn man sie abzustreifen versucht. Denn es bleibt die innere Gewissheit, dass ein einziger Tag in den Vorhöfen Gottes - also bei Gott! - besser sein wird, als alle vergleichbaren Ausflüchte und Ausweichmöglichkeiten. Alles kühle Planen und alle Berechnung, sogar alle Beschwichtigungen, dass Gott schließlich größer ist als man erfassen kann, bleiben hinter der Erfahrung der Gottesliebe zurück. Gott fordert alle, die sich ihm überlassen. Er fordert nicht zu viel, aber sehr viel. Es wird allerdings um einiges ärmer zurückbleiben, wer aus Angst vor dem Abenteuer Gottes auf die Bequemlichkeit setzt. Die Glut des Mittags wird bleiben, nur wird sie ohne Gott schier unerträglich oder totlangweilig.

Mittwoch, 20. Juni 2012

Ein modernes Itinerarium aus dem Heiligen Land - V


Auch das gehört heute untrennbar zum Heiligen Land: Das enge Zusammenleben der verschiedenen christlichen Denominationen. Allerdings darf dem Begriff des Zusammenlebens keine zu tiefgehende Bedeutung beigemessen werden: Es handelt sich oft um mehr oder weniger intensive Zweckgemeinschaften - wenn überhaupt. Das obige Photo zeigt links den offiziellen Eingang zur Visitatio-Kirche, der von den Franziskanern betreuten Wallfahrtstätte am Ort der "Heimsuchung Mariens" im Jerusalemer Vorort En Kerem. Rechts sieht man ein Gebäude des 19. Jahrhunderts, das zum ausgedehnten Komplex des russischen Frauenklosters "Gorny Monastery" (russ. Горний монастырь)gehört und gerade einer umfangreichen Renovierung unterzogen wird. Obwohl heute nur noch ein verschlossener Nebeneingang dieses relativ großen Klostergeländes der "Russischen Kirchlichen Mission in Jerusalem" (russ. русская духовная миссия), beeindruckt die geschmiedete Portalfront beider Eingänge durch ihre geschlossene künstlerische Komposition. Ein Symbol für gelungene interkonfessionelle Symbiose in einem mehrheitlich nichtchristlichen Land? Es ist ein hoffnungsträchtiges Symbol, aber keines, das der Wirklichkeit entspricht oder ihr nahekommt. Die römische und die russische christliche Denomination sind beide nur allzuoft gefangen im Schubladendenken vergangener Jahrzehnte. Es ist wichtig, die Grundlagen des christlichen Glaubens zu verteidigen, notfalls auch gegen Angriffe aus den eigenen Reihen - sprich: gegen die feige Häresie. Aber es ist ebenso notwendig, sich den Grundlagen des christlichen Glaubens zu stellen, wenn es um Ansprüche und Rechte geht, wenn Ehren oder Machtspiele im Spiel sind. Wenn das Spiel um Ansehen zur todbringenden Wunde im eigenen Leib wird.

Samstag, 16. Juni 2012

Ein modernes Itinerarium aus dem Heiligen Land - IV


Es hat Tradition, die einzelnen Kirchen im Heiligen Land oder andernorts an ihren Festtagen zu besuchen und die Festgottesdienste mitzufeiern. Am 15. Juni bin ich allerdings nicht aus Traditionsbewußtsein zur Vesper in das Gorny Monastery der russischen Mönchinnen gegangen. So kam ich eher zufällig dort an, als man sich zum Vespergottesdienst für das Patronatsfest der relativ neuen Hauptkirche rüstete: Das Fest aller Heiligen der Russischen Lande, das andernorts am folgenden Sonntag gefeiert wird. Nach altem Brauch wird der Gottesdienst vor Feiertagen als Nachtwache begangen: An die Vesper(n) schließt sich ohne Pause der Nachtgottesdienst an. Nunmehr im Bilde, bin ich heute zum Vespergottesdienst den Berg zum Kloster hinaufgestiegen, um den Feiertag mitzufeiern. Die (alt-)kirchliche Ordnung beschränkt sich nicht auf sinnentleertes Bewahren, sondern ist ein Geschenk an die mitfeiernde Gemeinde: Heute durften wir den Feiertag ausklingen und den Sonntag beginnen lassen - wieder mit einer Nachtwache. Da diese Zeilen als modernes Itinerarium gedacht sind, sollen sie auch moderne Gedanken enthalten, die mir gekommen sind:
Es ist die Modernität des Mönchtums, die mir in den Sinn kam. Vor Zeiten wurde das Mönchtum als Segen für die Kirche angesehen. Nicht, dass man die Mönche achtete, weil sie durch ihre Profess zu Quasi-Klerikern wurden, oder weil sie hinter unzugänglichen Mauern ein geheimnisvolles Leben führten. Der spürbare Segen des Mönchtums ging vielmehr von der Gewissheit aus, dass alle Gläubigen an einem Strang zogen. Der Dienst der Mönche - z.B. der Gottesdienst - war nicht klerikale Verpflichtung, sondern wurde als Dienst der ganzen Gemeinde wahrgenommen, den die Mönche mit besonderer Hingabe ausübten. Das sind eben die modernen Gedanken: Die Gottesdienste der Kirche, die vom Menschen Standhaftigkeit, Zeit und Kraft verlangen, sind ein Geschenk für die Gemeinde, die nicht auf die Uhr starrt. Insofern war der Festtag des Gornenskij Klosters eine Lektion und ein geistlicher Anstoß.

Donnerstag, 14. Juni 2012

Origenes - 29 Predigten über die Psalmen wiederentdeckt


Bild: Wikimedia commons
In der Ausgabe vom 12. Juni hat "L'Osservatore romano" von einem bedeutenden Fund in der Münchner Staatsbibliothek berichten können: Demnach entdeckte die italienische Philologin Marina Morin Pradel am 5. April 2012 in einer griechischen Handschrift der Bibliothek, BSB Cod. graec. 314, 29 bisher nicht publizierte Predigten des großen antiken christlichen Gelehrten Origenes. Für die Zisterzienser ist dieser Fund deshalb von Interesse, da die Ordensväter seine Schriften im Gottesdienst gelesen un somit "rezipiert" haben.