Freitag, 27. November 2020

Verschobene Realitäten

Neben den zahlreichen Meldungen der letzten Tage, die Angst und Unsicherheit verbreiten (wollen?), da sie das existenzielle Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit in Frage stellen, wenn es um ihre Gesundheit und das Wohlergehen geht, kreisen auch andere im Netz, die für Christen auch existenziell sind. Es sind die Meldungen zu Äußerungen von Patriarch Bartholomäus zum Status der orthodoxen Christen in der Ukraine. Wer bislang von einem rein rechtlich fußenden Streit zwischen Ersthierarchen (Moskau / Phanar) ausging, wird allerspätestens jetzt begriffen haben, das dem nicht so ist. Es geht in der Ukraine-Frage um nichts weniger als den orthodoxen Glauben, und zwar um die grundlegenden Fragen der Kirche. Patr. Bartholomäus, so wird er in einem diesbezüglichen Beitrag zitiert, "toleriert zeitweilig" (- d.h. duldet die Zugehörigkeit zu einer anderen Denomination als der von ihm eingesetzten -) die Gläubigen der autonomen Ukrainischen orthodoxen Kirche (des Moskauer Patriarchats). Es ist spannend, die Argumentation zu verfolgen, zeigt sie doch, wie sehr die gesunden Grundlagen der orthodoxen Theologie schon beiseite geschoben sind. Für den Phanar gilt: Als kirchliches Haupt der "Ökumene" ist es recht und billig, alle Fragen innerhalb der "Ökumene" zu behandeln, auch unter Umgehung der Ortskirche. Das Problem beginnt schon an diesem Punkt: Die "Ökumene" war ein klar umschriebener Begiff des byzantinischen Reichs, der - grob gesagt - den ganzen Erdkreis umfasste. Die "Ökumene" unterstand dem Kaiser in Byzanz per definitionem. Wenn sich heute jemand "ökumenischer Patriarch" mit Sitz in "Konstantinopel" nennt, dann darf gefragt werden, welches Selbstverständnis er hat. Die Frage eindeutig zu beantworten, verbietet sich in diesem Kontext aus Respekt vor dem Bischofssitz in Istanbul. Dass es heute keine Stadt Konstantinopel mehr gibt, dass der Kaiser in Konstantinopel schon lange nicht mehr existent ist, das sind Tatsachen, die ein Christ nicht verdrängen sollte und auch nicht verdrängen darf. Beides, der Kaiser und seine Stadt Byzanz, sind für die christliche Botschaft heute tatsächlich völlig bedeutungslos. Der Erzbischof von Istanbul tut recht daran, zum Wohl der ihm unterstellten Christen alles ihm Mögliche zu tun - nur eines sollte er nicht: den orthodoxen Glauben, der untrennbar mit der Kirche verbunden ist, ins Lächerliche ziehen. Das jedoch geschieht momentan in großem Stil durch Wort und Tat. Das Wesen der Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen, versammelt als Glieder Christi in der Gnade des Heiligen Geistes, kann unmöglich dem politischen Kalkül untergeordnet werden, wie es momentan geschieht. Das Weihesakrament ist sichtbarer und unsichtbarer Ausdruck des Glaubenslebens der Kirche durch das Zusammentreffen von Bestellung und Einsetzung des Weiheempfängers. Dieses Zusammenspiel ist Ausdruck des Glaubens der Kirche, daher kann die Weihe "genommen" werden, wenn wesentliche Elemente des Glaubens nicht mehr gegeben sind. Das ist der Fall bei klerikalen Angehörigen der durch den Phanar in Istanbul geförderten "Kirche der Ukraine". Ein so schwerwiegender Umstand kann nicht durch ein rechtliches Dokument, wie seitens des Phanar geschehen, für nichtig erklärt werden, ohne wesentliche Elemente des orthodoxen Glaubens beiseite zu schieben. Und nicht umsonst wird eine Weihe bei Wiederaufnahme von solchen "Klerikern" in die orthodoxe Kirche nachgeholt. Leider wird diese Theologie momentan komplett umgedreht. Ein "Erzbischof von Konstantinopel" habe als "ökumenischer Patriarch" historisch verbrieftes Recht, um Ordnung zu schaffen und um die Ordnung der Kirche zu wahren. Die Kirchen der heutigen "Ökumene", der realen und oft sehr bedrängten, sollten nicht den "Kaiser" suchen, der ihnen Schutz und Hilfe gewährt. Er wird sich nicht in den USA oder im Kreml oder sonstwo finden lassen, denn es gibt ihn nicht mehr. Die Kirchen heute und jetzt müssen Christus verkörpern durch ihre Beten und Handeln. Bei aller Not und aller Hilflosigkeit angesichts der menschlichen, sozialen Realitäten ist es die tröstliche Antwort, die ein für allemal gegeben ist - die für uns heute aufgeschrieben wurde: "Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des Ewigen Lebens!"

Freitag, 20. November 2020

Steht fest im Glauben!

Es ist ein ganz und gar biblisch inspirierter Leitsatz, der als Thema und Aufhänger dient (vgl. 1 Kor 16,13). Die Heilige Schrift ist denn auch erste und letzte Instanz für alles Handeln des Christen, und zwar nicht in Form individueller Interpretation, sondern gegründet auf die Kirchlichkeit, die das Leben des orthodoxen Christen prägt. Das Zeitalter virtueller Informationsverbreitung bringt es mit sich, dass nicht nur viel konsumiert, sondern auch viel produziert wird an Nachrichten. Neben den desaströsen Folgen ungezügelter Nachrichtenschwemmen gibt es auch Vorteile: der Mensch kann sich bilden und sich weiterbilden. Schließlich kann sich ein Christ nicht aus dem Hier und Jetzt herausnehmen und so tun, als könne er völlig losgelöst dem Alltag entkommen. Heute erschien, französischsprachig, ein Beitrag, der die Ekklesiologie der "nouvelle théologie" des Phanar kritisch hinterfragt: HIER. Schon der Titel hat, auch übersetzt, Bekenntnischarakter: "Die Sache ist jetzt klar!" Es geht denn auch um nichts Geringeres als um die Darlegung der Differenzen, die sich in den letzten Verlautbarungen des Patriarchen Bartholomäus auftun im Bezug auf die traditionelle orthodoxe Lehre. Das "primus sine paribus", das "Erster ohne Gleichrangige", wird im zitierten Beitrag als häretisch, das heißt also, als stark verkürzender (und somit verfälschender) Auszug aus der gültigen Lehre der Kirche, gebrandmarkt. Nichts weniger als dogmatische Gründe werden nunmehr auch, nach zwei Jahren gemäßigter Kommunikation, angeführt als Begründung für die Aussetzung der Kommemoration des Erzbischofs Chrysostomus von Zypern: die kirchliche Gemeinschaft mit Schismatikern (d.i. mit den vom Phanar 2018 anerkannten Mitgliedern seiner neugebildeten ukrainischen Nationalkirche) ist nicht zu rechtfertigen: HIER. "Jetzt ist die Sache klar!", so sagt es die Überschrift des oben zitierten Beitrags. Klar ist nunmehr, und tatsächlich nicht erst seit heute, dass gravierende dogmatische Gründe einen Bruch in der Orthodoxie haben entstehen lassen. Kreise zieht dieser Bruch, der theologisch grundgelegt ist, auch bis in die deutschsprachige Sphäre. Der griechische Metropolit Arsenios von Österreich hat schon vor Wochen theologisch verstörende Gedanken geäußert, die bis jetzt noch unverdaut sind. Sie sind, veröffentlicht HIER in der "Tagespost", auch nicht berichtigt worden und somit wohl geltende Meinung des Metropoliten. Das verstört umso mehr und umso tiefer, weil sie grundlegende kirchliche Strukturen, etwa die diözesanen, ad absurdum führen. Selbst im noch einigermaßen rechtgläubigen Mittelalter konnten im Westen solche Theorien nicht als Lehrmeinung der (römischen!) Kirche durchgehen, die heute scheinbar höchste Billigung des ökumenishcen Patriarchen besitzen, wenn sie nicht sogar mit Gewalt durchgesetzt werden sollen. So erscheint es beinahe, wenn man Verlautbarungen des Patriarchen Bartholomäus liest, die in den letzten Wochen erschienen sind, etwa HIER. Es kann beruhigen, dass Klarheiten geschaffen sind. Es bleibt verstörend, wie wenig sich die Kirchenpolitik aus den handfesten Folgen eines solchen Handelns zu machen scheint. Es geht schließlich um nichts weniger als den mystischen, geheimnisvollen Leib Christi. Möge der Himmlische König, der Geist der Wahrheit und Spender des Lebens, einem jeden von uns die Kraft und Einsicht schenken, das Rechte zu tun und zu bekennen!

Mittwoch, 4. November 2020

Dankbarkeit

Es ist gerade ein Jahr her, dass sich der älteste Zweig der außerhalb Rußlands existierenden Diözesanverbände des Moskauer Patriarchats, das "Erzbistum der orthodoxen Gemeinden russischer Tradition in Westeuropa", wieder als Diözese in die Obedienz seiner geistlichen Erzeugerin bzw. Mutterkirche begeben hat. Nach dem in Rußland gültigen kirchlichen Kalender fiel der letzte offizielle Tag der Feierlichkeiten zur Wiedervereinigung (vom 2. bis 4. November 2019) auf das Fest der Gottesmutterikone von Kasan, die unter diesem Titel als Schutzpatronin des russischen Landes verehrt wird. Das "Erzbistum" war lange Jahrzehnte jurisdiktionell einem anderen Patriarchat angeschlossen, dem ökumenischen mit Sitz im Phanar. Vielleicht waren es die sich immer schneller drehenden Mühlen der Bürokratie und der Diplomatie, die die Wiedervereinigung am 3. November 2019 in Moskau haben zustande kommen lassen. Zumindest kann es heute nur providentiell erscheinen, dass sich zumindest ein Zankapfel der orthodoxen Welt eindeutig positionieren musste und durfte. Dass leider auch da Zwistigkeiten und Verärgerungen zu Trennungen geführt haben, ist nicht zu verschmerzen, aber - so scheint es - keine Tür ist in diesem Fall wirklich zugefallen und verbaut. Für weite Teile der orthodoxen Welt ist das Ereignis der Wiedervereinigung von zwei in langen Jahren eher auseinandergedrifteten Institutionen ein Anlass zu großer Dankbarkeit, denn es ist ein Segen und segenreich für alle, denen die Einheit und der orthodoxe Glaube am Herzen liegen. Manches Mal könnte es so scheinen, als sei ein diplomatischer Akt vor Gott zu einem Sprungbrett geworden: nämlich zur Überwindung immer gewichtiger erscheinender Mauern und Vorurteilen, die sich in den Augen Gottes wohl allesamt als dürftige Vorbehalte erweisen werden. Die Dankbarkeit sollte umso größer sein, als sich jetzt nur noch tiefere Abgründe der Uneinigkeiten auftun in den orthodoxen Kirchen. Immer mehr tun sich allerdings auch theologische Abgründe auf, die nicht mehr kaschiert werden, da sie als gegeben präsentiert werden: die Abgründe einer Ekklesiologie, die sich noch nicht einmal mehr den Mantel der apostolischen Orthodoxie überwirft. Es ist die Ekklesiologie der Ansprüche und Vorränge, nicht mehr die der Communio und der Communicatio. Es geht scheinbar um Werte und Kultur, dabei lägen sie doch gerade im Wesen der wirklich orthodoxen Ekklesiologie begründet: Es wären die Werte der Hinordnung auf den einzigen Herrn und Hirten der Kirche, auf den Erlöser und Bischof unserer Seelen, auf Jesus Christus. Dankbarkeit und gewissenhaftes Bekenntnis sind die wesentlichen Früchte jenes aufrichtigen Wiederfindens der alten kirchlichen Communio, wie es für das "Erzbistum" und das Moskauer Patriarchat der Fall ist. Dass es Wunden und Verletzungen gab und gibt, bleibt dann nebensächlich, da sie auf der Grundlage der gemeinsamen Fundamente heilbar sind. Viel wichtiger ist aber wohl jetzt noch, dass diese Wunden endlich verbunden werden, da viele von ihnen erst jetzt wirklich angeschaut und gereinigt werden können. Wenn das geschehen ist, darf die Ausheilung in Ruhe und gründlich vor sich gehen; aber sie wird zur völligen Gesundung führen! Die Dankbarkeit dafür wird zum Gebet um die Wiederherstellung des wirklich orthodoxen Glaubens: Auf die Gebete unserer heiligen Väter, Herr Jesus Christus, unser Gott, erbarme Dich unser!

Dienstag, 15. September 2020

Archevêché des églises orthodoxes de tradition russe en Europa occidentale

Drei Generationen in Christus: der hl. Patriarch Tichon, Patriarch Kyrill, Erzbischof Jean
 
 

Vor einem Jahr, am 14. September 2019, hat der Bischof des einstigen Exarchats der Rue Daru in Paris, Erzbischof Jean Renneteau, um Aufnahme in die Jurisdiktion des Moskauer Patriarchats gebeten: ein denkwürdiger Tag für die orthodoxen Christen in Westeuropa. Gerade zu diesem Jahrestag erschien nun in den Abgünden von Facebook u. ä., genauer gesagt auf der Seite der "Église locale en Europe occidentale", eine Zusammenfassung zur "Assemblée générale" der Gemeinden des "Erzbistums der orthodoxen Gemeinden russischer Tradition in Westeuropa" am 7. September 2019. Ein großes Problem der Rezeption jener "Assemblée", also einer gesetzlich festgelegten Zusammenkunft aller bei der 'Association' nach französischem Recht Eingeschriebenen bzw. ihrer gewählten Vertreter, ist die Vermischung grundlegender Ziele. Die Kirche kann nicht wie ein eingetragener Verein agieren. Eine Assoziation kann nicht mit ekklesiologisch argumentieren, wenn es um Vereinssatzungen geht. Es kann hier nicht um die Frage gehen, ob die Kirche sich vor einem Staat als Verein einschreiben lassen sollte... Es geht aber sehr wohl um die Frage - und zwar betrifft das alle orthodoxen Christen, da das besagte "Erzbistum der Rue Daru" eher bescheiden zu nennen ist -, was die Kirche ausmacht: Sie besteht aus den vielen Menschen, die auf Christus getauft sind, doch immer nur unter den Vorzeichen der unaufgebbaren Realia. Die Kirche lebt davon, dass sie auf Christus hin organisiert ist, dass ein Bischof ihr vorsteht - und dabei ist es egal, welchen Titel er führen kann. Zu den Realia gehört gleichfalls die unumstößliche Notwendigkeit, dass die Kirche niemals zu einer Demokratie werden kann, will sie nicht aufhören, Kirche zu sein. In der Kirche kann niemals ein "Volk" herrschen, da in ihr einzig die Herrschaft des menschenfreundlichen Gottes zugelassen ist. Was passiert, wenn eine Vermischung gewisser Ebenen vorgenommen wird, ist in der oben erwähnten (französischsprachigen) Zusammenfassung zu lesen, die hier aber nicht verlinkt werden soll. (Sie ist abrufbar auf der besagten Facebook-Seite unter dem 7. September.) Das "Erzbistum Rue Daru" hat seit der Entscheidung seines Bischofs, zur Mutterkirche von Moskau zurückzukehren, den für die Kirche so notwendigen Frieden wiedergefunden. Die orthodoxen Kirchen hingegen kämpfen immer noch um den Frieden Christi; ein trauriges Spiegelbild dieser verzweifelten Suche nach dem Frieden ist die Facebook-Seite der "Église locale en Europe occidentale": Dort wird geschimpft und gehadert, verleumdet und verurteilt. Es ist eine beschämende Lektüre, die jedem auf's Gemüt schlägt, der die Grundbegriffe akademischer theologischer Wissenschaft zumindest ansatzweise mitbekommen hat. Der Jahrestag der ekklesiologisch so wichtigen Entscheidung des Erzbischofs Jean Renneteau ist genau deshalb für alle orthodoxen Jurisdiktionen so denkwürdig, weil er alle Luftschlösser orthodoxer Befindlichkeiten grundlegend erschüttert. Die Entscheidung des französischen Bürgers Jean Renneteau als Präsident einer "Assemblée générale" zur Anerkennung eines Mehrheitsbeschlusses wäre der Todesstoß für ein orthodoxes Bistum gewesen, denn die Kirche kann und darf sich nicht zum Verein machen. Denn in ihr würden dann nicht mehr die Menschen in ihrer Hingeordnetheit auf den dreieinen Gott zählen, sondern nur noch Paritäten, Mehrheiten, Wahlregeln und Mitspracherechte. Der 14. September 2019 war - auch wenn die Rue Daru dem julianischen Kalender folgt - demnach wirklich ein dem lebenspendenden Kreuz geweihte Tag. Es war ein Tag, auf den sich alle orthodoxen Jurisdiktionen besinnen sollten, denn in dem mehr als bescheidenen Rahmen eines Exilbistums in Paris hat der orthodoxe Glaube zu einer ungeahnten Größe zurückgefunden, die auch die Person des Erzbischofs Jean Renneteau übersteigt, dem es scheinbar wirklich nur um die Menschen geht, die den Weg, die Wahrheit und das Leben suchen.  

Mittwoch, 15. Juli 2020

Eine verhangene Theologie

Historisierende Illustration zu einer Rekonstruktion des Klangraums der historischen Hagia Sophia
Die Wellen der Empörung schlagen hoch, da die einstige Bischofskirche Konstantinopels nach etwa 100 Jahren als Museum wieder zur Moschee werden soll, was sie seit 1453 war. Dass dieses Kirchengebäude zweifellos von großer Ehrwürdigkeit ist, sollte niemand mit Verstand bezweifeln. Wenn man jedoch lesen kann, dass die Hagia Sophia der "heiligste Ort der Orthodoxie" sei, dass - an gleicher Stelle zu lesen - der "ganzen Nation innigster Wunsch" in Erfüllung gegangen ist, als im Jahr 1919 eine Liturgie in diesem Kirchengebäude gefeiert wurde, und dass das ein Priester tat, der - wieder im gleichen Text zu lesen - ein Vertreter des "Hellenismus" war, dann darf man die Theologie hinter diesem Wunsch in Zweifel ziehen.

Donnerstag, 2. Juli 2020

Hagia Sophia - Kirche, Museum, Moschee... und die Mission der Christen

Hagia Sophia in Istanbul, Quelle: Wikipedia
Wie zu lesen ist, z. B. HIER, hat der oberste Gerichtshof der Türkei in einer gerade einmal 20-minütigen Sitzung entschieden, dass die einstige Kirche "Hagia Sophia" in Istanbul auf Präsidentialbeschluss wieder zur Moschee werden darf. Die Entrüstung seitens vieler orthodoxer Gläubigen ist verständlich, wurde in dieser Kirche doch nicht zuletzt auch Kirchengeschichte geschrieben: in ihr feierten die Vertreter des hl. Wladimir von Kiew den Gottesdienst zusammen mit den einheimnischen Gläubigen - und wußten nicht, "ob sie im Himmel oder auf Erden sind". Das war der Wendepunkt im oft unrühmlichen Kampf der christlichen Kulturen um Einfluss im Osten. Die Slawen wendeten sich dem östlichen Christentum zu, nicht dem westlichen mit seinem Zentrum in Rom. Es wäre hingegen mehr als verräterisch, würde sich die Befürchtung des Patriarchen Bartholomäus bewahrheiten, dass diese Entscheidung der Umwidmung der Hagia Sophia in eine Moschee zum weiteren Zerwürfnis zwischen Christentum und Islam beitragen werde. Verräterisch deswegen, weil nichts dem Evangelium mehr widerspricht,

Mittwoch, 24. Juni 2020

Nach dem Sonntag des Fests aller Heiligen des jeweiligen Landes


Es gehört zu den Grundlagen der Ekklesiologie, dass die Kirchen des Erdkreises nicht aus sich selbst entstanden sind: eine jede von ihnen darf sich als Teilhaberin an der apostolischen Tradition verstehen. Die Tradition ist in diesem Zusammenhang zu verstehen als Weitergabe des Glaubens und Anteilhabe am apostolischen Erbgut. Daher ist es völlig normal, dass die einzelnen Kirchen unterschiedliche Prägungen besitzen. Ganz natürlich ist für den "katholischen" Westen die Übernahme der Heiligen der römischen Frühzeit: Man feiert die römischen Märtyrer und Märtyrinnen, und im ganzen "katholischen" Westen werden die eminentesten von ihnen sogar in einem Hochgebet genannt, obwohl man hierzulande weder Italiener, geschweige den Römer ist. Diese Bezogenheit auf die römische Kirche im Westen ist allerdings nur natürlich, wird sie doch als Mutterkirche verstanden. Daher übrigens auch die Feiern der Weihetage von römischen Kirchen überall außerhalb der Stadt Rom und Italiens. Den orthodoxen Kirchen nun wird häufig so etwas wie Kirchen-Nationalismus nachgesagt.