Mittwoch, 4. November 2020

Dankbarkeit

Es ist gerade ein Jahr her, dass sich der älteste Zweig der außerhalb Rußlands existierenden Diözesanverbände des Moskauer Patriarchats, das "Erzbistum der orthodoxen Gemeinden russischer Tradition in Westeuropa", wieder als Diözese in die Obedienz seiner geistlichen Erzeugerin bzw. Mutterkirche begeben hat. Nach dem in Rußland gültigen kirchlichen Kalender fiel der letzte offizielle Tag der Feierlichkeiten zur Wiedervereinigung (vom 2. bis 4. November 2019) auf das Fest der Gottesmutterikone von Kasan, die unter diesem Titel als Schutzpatronin des russischen Landes verehrt wird. Das "Erzbistum" war lange Jahrzehnte jurisdiktionell einem anderen Patriarchat angeschlossen, dem ökumenischen mit Sitz im Phanar. Vielleicht waren es die sich immer schneller drehenden Mühlen der Bürokratie und der Diplomatie, die die Wiedervereinigung am 3. November 2019 in Moskau haben zustande kommen lassen. Zumindest kann es heute nur providentiell erscheinen, dass sich zumindest ein Zankapfel der orthodoxen Welt eindeutig positionieren musste und durfte. Dass leider auch da Zwistigkeiten und Verärgerungen zu Trennungen geführt haben, ist nicht zu verschmerzen, aber - so scheint es - keine Tür ist in diesem Fall wirklich zugefallen und verbaut. Für weite Teile der orthodoxen Welt ist das Ereignis der Wiedervereinigung von zwei in langen Jahren eher auseinandergedrifteten Institutionen ein Anlass zu großer Dankbarkeit, denn es ist ein Segen und segenreich für alle, denen die Einheit und der orthodoxe Glaube am Herzen liegen. Manches Mal könnte es so scheinen, als sei ein diplomatischer Akt vor Gott zu einem Sprungbrett geworden: nämlich zur Überwindung immer gewichtiger erscheinender Mauern und Vorurteilen, die sich in den Augen Gottes wohl allesamt als dürftige Vorbehalte erweisen werden. Die Dankbarkeit sollte umso größer sein, als sich jetzt nur noch tiefere Abgründe der Uneinigkeiten auftun in den orthodoxen Kirchen. Immer mehr tun sich allerdings auch theologische Abgründe auf, die nicht mehr kaschiert werden, da sie als gegeben präsentiert werden: die Abgründe einer Ekklesiologie, die sich noch nicht einmal mehr den Mantel der apostolischen Orthodoxie überwirft. Es ist die Ekklesiologie der Ansprüche und Vorränge, nicht mehr die der Communio und der Communicatio. Es geht scheinbar um Werte und Kultur, dabei lägen sie doch gerade im Wesen der wirklich orthodoxen Ekklesiologie begründet: Es wären die Werte der Hinordnung auf den einzigen Herrn und Hirten der Kirche, auf den Erlöser und Bischof unserer Seelen, auf Jesus Christus. Dankbarkeit und gewissenhaftes Bekenntnis sind die wesentlichen Früchte jenes aufrichtigen Wiederfindens der alten kirchlichen Communio, wie es für das "Erzbistum" und das Moskauer Patriarchat der Fall ist. Dass es Wunden und Verletzungen gab und gibt, bleibt dann nebensächlich, da sie auf der Grundlage der gemeinsamen Fundamente heilbar sind. Viel wichtiger ist aber wohl jetzt noch, dass diese Wunden endlich verbunden werden, da viele von ihnen erst jetzt wirklich angeschaut und gereinigt werden können. Wenn das geschehen ist, darf die Ausheilung in Ruhe und gründlich vor sich gehen; aber sie wird zur völligen Gesundung führen! Die Dankbarkeit dafür wird zum Gebet um die Wiederherstellung des wirklich orthodoxen Glaubens: Auf die Gebete unserer heiligen Väter, Herr Jesus Christus, unser Gott, erbarme Dich unser!

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