Mittwoch, 16. Mai 2012

Ein modernes Itinerarium aus dem Heiligen Land

Die Auferstehungskirche in Jerusalem - Zahlreiche Pilger haben die Beschreibung ihres Pilgerwegs ins Heilige Land der Nachwelt überliefern können. Der Bericht der Pilgerin Egeria ist nicht der einzige interessante Reisebericht, obgleich er unzählige Details mitteilt, für die wir heute sehr dankbar sind. Wer heute ins Heilige Land pilgert, ob nur nach Israel oder auch in die benachbarten biblischen Länder, der reist meist relativ bequem: per Flugzeug, und relativ schnell: in wenigen Stunden, bis er sein Ziel erreicht. Ich habe die irdische Heimat Jesu zum ersten Mal bei Nacht gesehen: Die brodelnde Großstadt Tel Aviv aus dem Flugzeug und des Nachts zu betrachten, ist ein echtes Erlebnis. Die Stadt (oder ihre Ausläufer) dann zu erleben, ernüchtert, da sie sich nicht sonderlich unterscheidet von den Großstädten der Welt, soweit ich das überhaupt beurteilen kann. Trotzdem ist auch Tel Aviv Bestandtteil des Pilgerwegs. Emotionale Hochgefühle stellen sich nicht ein, und in der Nacht im Auto ins Bergland von Judäa zu fahren, gleicht einer Reise ins Unbekannte: Die Berge lassen sich nur erahnen, und trotzdem ist der Orient greifbar nahe: Der Mond steht groß und im weichen Licht als schmale, liegende Sichel am Himmel. Das ist tatsächlich in Bild des Friedens mit Blick auf die Friedensstadt. Der "Mons gaudiorum" der Kreuzfahrer mit dem Samuelgrab hat vorhin noch dunkel die vorbeirasenden Autos gegrüßt. Als "Freudenberg" verhieß er den Pilgern, die vom Mittelmeer aus zur Heiligen Stadt zogen, die Freude der baldigen Ankunft an den Heiligen Stätten. Der nächtliche Blick auf die Stadtmauern der Altstadt von Jerusalem berührt eigenartigerweise außerordentlich. Trotz des künstlichen Lichts, das ungefragt alles beleuchtet, was sich ihm in den Weg stellt, wirkt das beeindruckende Panorama vom Ölberg aus seltsam friedlich. Vielleicht, weil die Stadt mit dem Tempelbezirk, den einzelnen Vierteln, den Friedhöfen und den Türmen und Kuppeln im Frieden der Nacht wie gezähmt daliegt. Um 3 Uhr morgens, zur besten monastischen Zeit der Nachtwache, hat der Dämon tatsächlich gebundene Hände und Füße. Am Heiligen Grab in der Auferstehungskirche singen die Beter schon das Stundengebet, bereiten sie sich auf die Liturgie vor. Am Morgen werde auch ich die heiligen Stätten besuchen, das Grab Christi, den Ort der Kreuzigung und den Salbungsstein küssen dürfen. Dann wird die Auferstehungskirche sonnendurchflutet sein. In den Kapellen werden die Lampen brennen, als gäbe es nichts Wichtigeres als ihr ruhiges Licht. Die Touristen sind noch nicht auf den Beinen. Die Kirche gehört noch den Betern. Auch ich bin einer von ihnen und darf lange vor dem Heilgen Grab sitzen. Sonderbarerweise hat diese Zeit nichts von rührender Emotionalität an sich. Und sonderbarerweise denke ich daran, dass gerade der Zisterzienser in seinem Kloster das heilige Jerusalem, Golgota, Bethlehem und Nazareth finden kann - und viel mehr noch: dass er in seinem Kloster in den Fußstapfen Jesu gehen kann.

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