Samstag, 22. Juni 2019

Schisma in der Ukraine - Ist die Position des Phanar wirklich nur kanonisch in Zweifel zu ziehen?


Nach der österlichen Festfeier beginnt in der orthodoxen Kirche traditionell wieder die neuerliche Vorbereitungszeit auf das kommende Osterfest. In diesem Jahr war die Festzeit überschattet von den kirchlichen Unruhen in der Ukraine, in Westeuropa und gezwungenermaßen dadurch auch in den anderen orthodoxen Kirchen. Am 20. Juni hat der ehem. Metropolit von Kiev, Filaret Denisenko, eine Lokalsynode abhalten lassen, auf der u. a. die Beschlüsse des "Vereinigungskonzils" vom vergangenen 15. Dezember in Kiev zurückgewiesen wurden. An sich ist diese Entwicklung nicht erstaunlich; sie war vorherzusehen, wenn man die Positionen der unkanonischen Entitäten auf dem ukrainischen Schlachtfeld sehen wollte: mit Kirchlichkeit hat die Positionierung gegen die kanonische ukrainische orthodoxe Kirche nichts zu tun. Das hätte jeder - sogar der Dümmste - wissen können. Kürzlich ordnete Patriarch Theodoros von Alexandrien die Ukraine-Frage der kanonischen Ordnung zu. Die neuesten Äußerungen von Filaret Denisenko sollten allerdings auch den eher dem Hellenismus nahestehenden Kirchen zu denken geben. Es geht hier nicht darum, die Positionen von Filaret Denisenko als richtig oder falsch einzuordnen. Es geht sicher auch nicht darum, dessen Wortmeldungen als Ausfluss von Egomanie oder Demenz zu brandmarken. Vielmehr muss es darum gehen, die Hintergründe zu erhellen, die scheinbar dem orthodoxen Ukraine-Konflikt zugrunde liegen. F. Denisenko behauptet im Vorfeld seiner Lokalsynode, dass das gesamte Autokephaliegebilde unlauter ist. Er begründet seine These mit der Feststellung, dass der Phanar hätte wissen müssen, dass sein neuernannter Außenminister Epifanij Dumenko, der eigentlich von der Vereinigungssynode im Dezember zum Oberhaupt der neuen Parallelkirche "der Ukraine" gewählt worden ist, gar keine Weihe besitzt,
wenn der Phanar wirklich das von ihm 1997 anerkannte Anathema gegen Filaret Denisenko erst aufheben musste, um das zur "orthodoxen Kirche in der Ukraine" gewordene "Kiever Patriarchat" fähig zur "communio" mit dem ökumenischen Patriarchat zu machen. Ein Anathematisierter kann niemandem eine Weihe spenden... Diese Folgerung haben allerdings auch viele andere Ortskirchen gezogen und verweigern u. a. deshalb die Anerkennung des phanariotischen Gebildes in der Ukraine. Und natürlich stellt Filaret Denisenko die Kanonizität der sogenannten "orthodoxen Kirche der Ukraine" unter Epifanij Dumenko in Frage, da sie einzig vom Phanar anerkannt sei. So entlarvend diese Binsenwahrheiten in den Augen einigermaßen unpolemisch Denkender sind - Filaret Denisenko möchte mit ihnen Politik machen; er möchte dem nie aufgehobenen "Kiever Patriarchat" eine neue Vorreiterrolle als "Kirche der Ukraine" zukommen lassen. Beunruhigend bleibt ein schwerwiegender Umstand:
Wer - wie Filaret Denisenko und seine gehassten oder geliebten Mitstreiter in der Ukraine sowie die Hierarchen im Phanar in Istanbul - die Kirche mit einem staatsähnlichen Gebilde verwechselt und politisch agiert anstatt kirchlich (d. h. unter dem Gesetz des Evangeliums und der gemeinsamen Tradition handelnd), der bewegt sich auf dogmatischem Grund, nicht mehr so sehr auf rechtlichem. Diesen Umstand hat das Moskauer Patriarchat scheinbar schon sehr früh erkannt, muss es sich doch gegen politisierende Angriffe wehren, wenn eine seiner Metropolien unter dem Vorwand kanonischen Handelns um der Politik willen von einer anderen Kirche anektiert werden soll. Auch die quasi schon zum Gesetz erhobene "Romaiosyne" der Hellenisierenden ist vor diesem Hintergrund eher ins Reich der Häresie zu verbannen - wenn man nicht den einfacheren Weg geht und sich schlicht der Realität zuwendet. Solche einst sicher gerechtfertigten Denkmodelle wie das "Römertum" können nicht mehr weiterhelfen, wenn man bereit ist, das Hier und Jetzt zu akzeptieren, das biblisch und übrigens auch ganz "kanonisch" ist.
Im Phanar in Istanbul wird man es wahrscheinlich als größtmöglichen Affront ansehen, dass zum Namenstag von Metropolit Onufrij von Kiev elf Repräsentanten von orthodoxen Lokalkirchen erwartet werden, um ihm ihre Unterstützung zu zeigen. In den Augen des Phanar kann es nicht anders als desaströs erscheinen, was in der Ukraine abläuft. Viel schlimmer, als menschlichem Ansehen Schaden zuzufügen, ist der Schaden am Leib der Kirche - auch das übrigens leider ein Hinweis auf die dogmatische Tragweite der Ukraine-Frage.

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