Samstag, 14. April 2012

Iwan S. Schmeljow: Vorbereitung auf Ostern - Das Fest der Auferstehung Christi

Zum Osterfest und für die Tage der Osterzeit eine berührende autobiographische Erzählung des Schriftstellers Iwan S. Schmeljow aus den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts in seiner Heimatstadt Moskau. Sie spiegelt verhalten und wirklich kontemplativ die Freude wider, die Christi Auferstehung in uns wachrufen möchte.


Schmeljow, Ivan S.: Wanja im heiligen Moskau (Лето Господне). Übersetzung: Rudolf Karmann
Auszug aus Schmeljows Beschreibung der Vorbereitung auf die Osterfeier am Fest der Auferstehung Christi (S. 80 ff.):
Karsamstag: „Die Plaschtschanitza [das Grabtuch Christi] steht nun mitten in der Kirche, ganz allein – und ringsum brennen die Öllämpchen. ER aber ist jetzt in die Hölle hinabgestiegen und wird alle abgeschiedenen Seelen aus dem feurigen Schlund heraufführen. Und um seinetwillen ist Ganjka auf das Kreuz hinaufgeklettert [um es zu schmücken], um seinetwillen wird der Vater den Glockenturm im Kreml besteigen, und Wassilj-Wassilitsch und alle unsere Burschen tun alles für ihn! Die Barken auf der Moskwa liegen vor Anker, die ganze Bemannung ist fort – nur je ein Wächter verblieb auf jedem Schiff. Auch die Flöße sind gestern angekommen. Einsam schaukeln sie auf dem dunklen Wasser. Aber Christus ist auch bei ihnen, ist überall… […]
Karsamstag, Abend. Im Hause ist es still, alle haben sich vor der Frühmesse zur Ruhe gelegt. Ich schleiche in den Saal, will sehen, was auf der Straße los ist. Drunten sieht man nur wenig Leute, sie tragen meist Kulitsche [Osterkuchen] und Paskhas [Osterquarkspeise] in großen Pappschachteln. Die Tapeten im Saal schimmern rosig im Schein der untergehenden Sonne. In den Zimmern glühen purpurrote Öllämpchen vor den Ikonen – waren sie zu Weihnachten nicht blau? Im Wohnzimmer liegt der Osterteppich mit dem roten Blumenmuster ausgebreitet. Man hat die grauen Überzüge von den Sesseln abgenommen. An den Heiligenbildern hängen Kränzchen von Rosen. Im Saal und auf den Korridor neue rote Läufer. Im Speisezimmer auf den Fenstern bunte Eier in Körben, auch alle rot: Morgen wird der Vater mit den Leuten den Osterkuß wechseln. Im Vorzimmer grüne Viertelseimerflaschen mit Wodka, die Gäste zu bewirten. Auf Daunenkissen im Esszimmer liegen auf dem Sofa riesige Kulitsche, mit rosa Musselin zugedeckt – zum Abkühlen. Sie strömen einen süßen warmen Duft aus.
Still ist’s auf der Straße. Aus dem Hofkommt ein zottiger Karren gefahren – er bringt Wacholderzweige in die Kirche. Es ist schon ganz dunkel. Da schreckt mich unerwartetes Flüstern auf:
„He, warum schläfst du nicht, schlenderst hier herum?“ Es ist der Vater. Er ist eben erst heimgekommen. Ich weiß nicht, was ich antworten soll: Es macht mir Spaß, durch die stillen Stuben zu gehen, zu schauen und zu lauschen. Es ist alles so ganz anders heute, so ungewöhnlich, heilig.
Der Vater zieht seine Sommerjacke an und beginnt die Lampadas anzustecken. Das macht er immer selbst, die anderen verstehen es nicht so gut. Er wandelt mit den Öllämpchen durch alle Zimmer und singt halblaut: „Deine Auferstehung, Christe Erlöser … besingen die Engel im Himmel.“ … Und ich gehe mit ihm. Es ist mir so froh und friedlich ums Herz, und zugleich möchte ich weinen. […] Ich schmiege mich an des Vaters Bein. Er tätschelt meine Wange. Seine Finger riechen nach duftigem Öl vom Berg Athos. […] Ich küsse die nach Baumöl riechende zärtliche Hand. Er setzt mich auf seine Knie, streichelt mich…
„Wie müde bin ich, mein Junge… So viel Arbeit… Schlaf mal noch ein bisschen, ich will mich auch hinlegen.“
O unvergeßlicher Abend! O dieses erlöschende Licht in den Fenstern… Heute noch glaube ich die langsamen Schritte zu hören, mit dem Öllämpchen, und die versonnen singende Stimme:
„Besingen die Engel im Himmel…“

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