Dienstag, 13. März 2012

Gedanken über die sogenannten Fluchpsalmen


Die monastische Tradition, die der Zisterzienser sowie der benediktinischen Gemeinschaften im Allgemeinen, aber auch andere monastische Typika, kennen die wöchentliche Rezitation des gesamten Psalters (während der Gottesdienste). Dass heute das Psalterium auf mehrere Wochen aufgeteilt wird, hat vielschichtige Gründe. Einer ist die Zeit, ein anderer kann die veränderte Struktur der Gottesdienste sein, um nur Beispiele anzuführen. Das, was gemeinhin als die "Fluchpsalmen" im deutschen Sprachgebrauch bezeichnet wird, kommt bei den Kürzungen oftmals schlecht weg. Das römische Stundengebet spart einige Psalmen aus, im monastischen kann es vorkommen, dass die anrüchigen Stellen ausgelassen werden. Macht das wirklich Sinn?
Diese Frage läßt sich wohl nicht apodiktisch beantworten. Es geht hier um den inneren Zusammenhang zwischen dem, was der Beter ausspricht, und dem, was die Gebetsworte vor Gott sind. In Psalm 68 heißt es:
"Ich erwarte, ob einer mittrauere, und es ist keiner da, ob einer tröste, und ich finde keinen. Und sie geben mir Galle zur Speise; und in meinem Durst tränken sie mich mit Essig. Ihr Tisch werde vor ihnen zum Fallstrick, zur Vergeltung und zum Anstoß. Ihre Augen sollen finster werden, daß sie nicht sehen; und ihren Rückn krümme auf immer!" (V. 21-24)
Diesen Psalm in der Vesper zu beten - das ist demütigend! Nicht etwa, dass die Worte peinlich wären. Sie sind ganz in Gebet gefasste Humanität! Gott hört auf das Gebet der Menschen. Er hört auf ihr Stöhnen und ihren Dank. Aber er hört erst recht auf ihre Anklage, da er weiß, wie groß seine Liebe ist - und folglich, wie sehr wir Menschen uns nach dieser Liebe ausstrecken, ohne sie erreichen zu können. Das, was die Theologen "Fluchpsalm" nennen, ist das Gebet eines verletzten Menschen. Gerade diese Worte möchte Gott hören, da sie ehrlich sind, viel ehrlicher, als Geschwafel und Süßholzgeraspel. Und der Gottesdienst muss ehrlich sein! Was in den Herzen verborgen ist, darf vor Gott getragen werden: Um wie viel größer ist doch ein Gottesdienst, der aufrichtig ist. Gott möchte der Aufrichtigkeit der Menschen mit seiner Liebe vergelten. Deshalb ist es traurig, wenn die anklagenden Worte des Psalmisten nicht mehr gebetet werden sollen, da sie "anstößig" sind. Und tatsächlich mag es sein, dass sie anstößig wirken. Doch das macht den Gottesdienst nicht weniger aufrichtig und wahrhaftig. Nur dem aufgesetzten Idealbild entspricht es nicht.
"Sie sollen vertilgt werden aus dem Buch der Lebendigen, und mit dem Gerechten nicht verzeichnet werden!" (Ps. 68,29). Wie wahr sind doch diese Zeilen, wenn Zeitungen und Nachrichten tagtäglich neue Grausamkeiten berichten können. Was der Psalmist betet, kommt aus der Aufrichtigkeit seines Herzens. Dass er diesen Fluch nicht herunterschluckt, sondern vor Gott ausspricht, macht den Beter größer vor Gott. Es ist der gleiche Beter, der ebenso wahrhaftig spricht:
"Erbarme dich meiner, o Gott, nach deiner großen Barmherzigkeit; und nach der Fülle deiner Erbarmung tilge meine Schuld. Mehr und mehr wasche ab meine Ungerechtigkeit; und von meiner Sünde reinige mich." (Ps. 50,3-4).
Die Heiligen Vierzig Tage des Fastens sind ein günstiger Moment, um die Wahrhaftigkeit in den Blick zu nehmen. Während ich in der "Qual meines Herzens" um Gottes Gerechtigkeit für meine Feinde bete, weiß Gott um die Sehnsucht des menschlichen Herzens, das sich an der Begrenztheit stößt - und seine anklagenden Worte vor Gott in Liebe umgewandelt sehen möchte.

1 Kommentar:

  1. „Wenn die Kirche die Fluchtexte unverändert in ihr Gebetsleben übernommen hat, so will sie damit dem Exorzismus über das Böse, nicht aber über böse Menschen sprechen und das Dämonische in der Weltgeschichte dem Gerichte Gottes überantworten.“ (Kardinal Faulhaber, zit. nach Pater Morant, Das Psalmengebet, Freiburg 1963, S. 10)

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