Montag, 17. September 2018

Theologie oder Politik - Konstantinopel vs. Ukraine?

Das Denkmal für den hl. Vladimir in Kiev - historische Ansicht (aus Wikipedia)

Wer immer sich in den letzten Tagen einige internationale Meldungen zur Frage der ukrainischen Autokephalie zu Gemüte führen wollte, stieß unwiderruflich auf einige Kernaussagen: Es stehen viele Jahreszahlen im Raum, die für oder gegen eine Einmischung Konstantinopels in dieser Angelegenheit sprechen. Es stehen auch kirchendiplomatische Aussagen im Raum, die entweder zu Konstantinopels oder zu Moskaus Gunsten ausgelegt werden können. Es steht eben auch die Frage nach dem "zweiten" (Konstantinopel) und "dritten" (Moskau) Rom im Raum. Und dann steht eine weitere Frage im Raum, die wenig Beachtung findet: Warum sieht sich das Patriarchat von Konstantinopel als Oberhaupt "inter pares" der orthodoxen Patriarchate? Warum sieht es sich als ältestes Patriarchat mit jurisdiktioneller Autorität? Das hängt eng mit der Frage zusammen, warum Rom dieses Vorrecht der Ersten Stadt verloren hat: Kaiser und Orthodoxie sind dahin. Doch warum fordert dann Konstantinopel als Zweite Kaiserstadt dann noch Vorrechte ein, wo auch dort ein byzantinischer Kaiser schon lange nicht mehr existiert? Es sind das schwierige Fragen, die eng mit der Identität zusammenhängen, der man verbunden ist. Schließlich steht noch eine viel wichtigere Frage im Raum, die der Metropolit von Diokleia, Kallistos, ausgeworfen haben soll: Warum wird die Eucharistie zum Politikum? Warum wird sie instrumentalisiert? Warum hängt die Kirchengemeinschaft nicht mehr an dogmatischen Fragen, sondern an (kirchen-)politisch motivierten?
Eine Antwort ist zwar nicht einfach, doch zumindest kann sie versucht werden: Das Eingreifen Konstantinopels in der Ukraine hat sehr wohl dogmatische Konsequenzen! Einzig dieser Hintergrund rechtfertigt die harsche Entgegnung der Bischöfe des Moskauer Patriarchats. Die Ekklesiologie - also, sehr vereinfachend, die Verortung der Kirche als Leib Christi -, für die die Ortskirche der Ukraine einsteht, sieht nicht zuallererst die historischen Entwicklungen und richtige oder falsche Positionierungen innerhalb der kanonischen Gegebenheiten. Sie sieht vor allem die kirchliche Realität heute mit ihren unglaublich komplizierten Verschachtelungen, die zumeist eine Folge ambitionierter Selbstüberschätzung sind. Es wäre vermessen, einen Stein auf den einen oder den anderen zu werfen: die vielen Parteien haben ihre guten Gründe, die momentane Extremsituation noch zu forcieren. Genau das ist hingegen ein recht sicheres Kennzeichen dafür, dass man sich in Konstantinopel nicht bewußt ist, wie theologisch schmal der Grat sich erweist, auf dem man - guten oder weniger guten Gewissens - sich zu gehen entschlossen hat. Denn es geht nicht um russlandtreue oder ukrainetreue Patrioten, die kanonische Rechte einfordern. Es geht um das kostbarste, was die Orthodoxie mit Leben zu füllen hat, will sie nicht zur Religion verkommen: Wie kann die orthodoxe Kirche der Leib Christi sein und diese Geistesgabe verkörpern? Es gibt wenigstens einen Weg, der gangbar wäre: der echten Theologie im wahrsten Sinne des Wortes wieder zu glauben, und nicht der wortgewaltigen und imposanten. Die hat ihre Kraft längst eingebüßt, da sie Antworten gibt, wo das Lebenszeugnis gefragt wäre, und Fragen stellt, wo die Anbetung der einzige Zugang bleiben sollte. 

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