Montag, 4. Juni 2012

Iwan Schmeljow - Pfingsten...

Aus gegebenem Anlass hier eine "Hommage" auf den russischen Schriftsteller Iwan Schmeljow mit einem Auszug aus seiner Beschreibung des Pfingstfestes in "Wanja im heiligen Moskau": Iwan Schmeljow: Auszug aus „Pfingsten“ (Wanja im heiligen Moskau, S. 117 f.) „… Morgen, am heiligen Pfingstfest, wird der Herrgott kommen und die ganze Erde durchwandern. Auch uns wird er besuchen. Wie froh sind wir darob, gelt? […] Wir ziehen mit Blumen beladen in die Kirche. Ich trage einen Strauß Maiglöckchen mit einer großen Pfingstrose in der Mitte. Die Einfriedung an der Kasanschen Kirche verschwindet ganz im Grün der Birken. Die Stufen sind so dicht mit Gras bestreut, dass man darin mit den Füßen einsinkt. Es duftet nach grüner Wiese, nach zertretenem feuchtem Gras. Am Portal kann man für lauter Birken gar nichts sehen; alles stößt dort mit den Köpfen an und schiebt die Bäume auseinander. Es ist, als beträten wir einen Hain. In der Kirche umfängt uns grünliche Dämmerung und Stille; man hört keine Schritte, denn alles ist durch das hier verschüttete Gras gedämpft. Und der Duft ist so ganz ungewöhnlich, penetrant und grün – es ist sogar etwas schwül. Die Ikonostasis ist kaum sichtbar; nur hier und dort glitzert sie golden und silbern zwischen den Birken hervor. Im grünen Laube glühen die Lampadas. Die Gesichter der Heiligen auf den Ikonen blicken uns aus diesem Birkengehölz ganz lebendig an. Birken schauen auch zu den Fenstern herein, wie wen sie ebenfalls beten wollten. Allenthalben prangen Birken: an den Kirchenbannern, an der Kreuzigungsikone un über dem Kerzenstand, wo ich stehe – hier bilden sie gleichsam eine Laube über uns. Die Sänger sind unsichtbar, auch die Chorstallen. Der Gesang tönt von irgendwoher, hinter den Birken hervor. Birken stehen auch am Altar – ihre Blättchen neigen sich auf den Tisch des Herrn herab. Es sieht so aus, als wachse Gras auf dem Altar. Vor dem Ambon ist es so dicht verschüttet, dass sich der Diakon mit seinen Füßen darin verwickelt; wenn er durch die „Zarenpforte“ zum Altar schreitet, stößt er mit den Schultern an die Birken, so dass sie über ihm aufrauschen. Das ist doch gar keine Kirche mehr, sondern etwas ganz anderes, Fröhliches. Ich lausche – man singt [den bekannten Hymnus] „Stilles Licht des heiligen unsterblichen Ruhmes“ und gleich danach den Psalm den mir Gorkin gestern vorgesungen hat, eine so ungewöhnliche, sieghafte Melodie: „Wer ist Gott, außer dem Herrn? Du bist der wun-der-schaf-fende Go-ott!…“ Ich schaue Gorkin an – hört er wohl zu? Sein Kopf ist zurückgeworfen, er singt mit. Auch ich stimme ein und summe vor mich hin. Das ist doch gar nicht unsere Kirche: dies ist etwas ganz anderes, irgendein heiliger Garten. Und wir sind nicht hierhergekommen, um zu beten – sondern um zu einem Feste Blumen darzubringen. Auch dort am Altar ist alles anders. Dort schaut zwischen den Birken unsichtbar der Herrgott auf uns hernieder – unsichtbar sind für uns die drei geheimnisvollen Gesichter auf der Ikone der heiligen Dreifaltigkeit. Mir ist jetzt gar nicht mehr bange. Denn mit uns sind all diese Birken, Blumen und Gräslein hierhergezogen – und wir alle, wir Sünder, und die Erde selbst, welche nun zum Leben erwacht ist, verneigen uns in Anbetung vor ihm. Aber er ist unter der Birke gegenwärtig. Er ist jetzt mitten unter uns, ganz nahe – er ist nunmehr vollständig unser!

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