Samstag, 24. März 2012
Der Gottesdienst als Lebenswirklichkeit
Der Gottesdienst der Kirche besteht nicht nur aus ehrwürdigen und ästhetisch in Form gebrachten Texten und Gebeten, deren Rezitation oder Gesang, in einer bestimmten Ordnung absolviert, den Menschen am Ende der Feier geheiligt entlässt. Die Liturgie ist kein Wellnessbereich, in dem man die Seele baumeln lassen kann. Die Liturgie ist auch kein Kontor mit Kirchenbindung, in dem Gutschrift und Schulden buchhalterisch abgerechnet werden. Für mich ist es ein Grauen, wenn manche Menschen Gott vorrechnen zu können meinen, was dem himmlischen Vater geschuldet ist und was diese Schuld abträgt. Das Gebet ist eines der anspruchsvollsten christlichen Werke, das dem Christen aufgetragen und geschenkt ist. Manchmal will es scheinen, dass diese Maxime aus dem Blickfeld gerät. Nämlich dann, wenn die Größe Gottes dazu verleitet, allzu menschlich ins Rechnen und Abwägen zu verfallen, um die Seele zu beruhigen. Vor dem dreifaltigen Gott ist die Seele wie atemlos; sie versucht, sich in Gott zu wiederzufinden, und stößt an die Grenzen ihrer Geschöpflichkeit. Das Paradoxon Gottes ist sicher auch seine "unermessliche Winzigkeit". Durch sie hat er sich vielleicht (oder auch nicht) so weit entäußern wollen, dass Gott Fleisch und menschliche Grenzen angenommen hat. Ohne das, was wir die Regel, den Ordo, das Typikon nennen, wären wir überfordert. Wir sind eben nicht ohne unsere Begrenztheit denkbar. Und deshalb sind die Regeln ein Geschenk und eine Herausforderung. Zu meinen, die Feier der Liturgie unter "Karenzbedingungen" - unter Rahmenbedingungen, die der Würde nicht widersprechen und die gnadenvermittelnde Teilnahme erlaubt, könnte genügen und könnte unser Gewissen befriedigen, ist wohl ein Trugschluss. Die Liturgie und der Gottesdienst sind nicht rechentechnisch abzuhaken und Gnaden sind nicht zu verbuchen! Und da werden die Probleme nur wieder zu gut sichtbar: Die Diskrepanz der Empfindungen (im Gestern und im Heute) ist eine unauslotbare Komponente in der Überlieferung des christlichen Frömmigkeitslebens. Waren unsere monastischen Vorfahren weniger fromm, weil sie nicht nur nicht täglich die Eucharistie feierten, sondern diesen Unterschied zur heutigen Wirklichkeit auch noch unthematisiert ließen? Dieser Umstand läßt sich nur vordergründig durch Mentalitätsverschiedenheit erklären. Auch die zugrundeliegende "Theologie der Liturgie" spielt nicht die Rolle in diesem Zusammenhang, die wir ihr wohl zuweisen würden. Es ist ein großer Unterschied, ob man Theologie betreibt, oder ob man sich für die Theologie bereit hält. Die Mönche und Mönchinnen des Mittelalters (zumindest läßt sich das aus den alten Texten herauslesen) gehören zu denen, die sich bereithalten. Das ist eines der schwierigsten Werke des Mönchslebens: das Bereitsein ohne Genugtuung, ohne Ergebnis. Das Eingeständnis, dass Gott in der Liturgie handelt, weil der Mensch sich bereithält und tut, was ihm richtig erscheint, wiegt schwer aus dieser Perspektive heraus. Denn sie erlaubt keine "Buchführung", kein Soll und Haben. Heute den Gottesdienst zu feiern, indem "rite et recte" zelebriert wird, aber ohne wirkliche theologische Perspektive im obengenannten Sinne, das ist "Buchhaltermentalität" und wirkt zerstörerisch - nicht auf die herrlichen Gnadengeschenke der Liturgie und des Gebets, aber auf die menschliche Seele, die in ihren Grenzen gequält wird, anstatt während des Gottesdienstes in die heilsame Lebenswirklichkeit Gottes eintauchen zu können.
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