Montag, 14. Dezember 2020
Krankheit und Gesetz
Die Evangelienperikope von der verkrümmten Frau (Lk 13,10-17) ist eine mahnende
Botschaft an uns. Der Erlöser wird aus sich heraus tätig, ohne dass die Frau mit
einer Bitte an Ihn herantritt. Jesus heilt sie und provoziert dadurch ein
schweres Ärgernis: Am Sabbat in der Synagoge vollzieht Er die Heilung - gegen
das Gesetz und seine Vorschriften! Auch wir sind diese verkrümmte Frau, und in
mancherlei Hinsicht können wir uns sogar permanent in ihr wiederfinden. Christus
heilt uns beständig, manchmal bitten wir Ihn darum, manchmal haben wir andere
Sorgen... Solche Sorgen, die vom Wesentlichen ablenken, finden sich in der
Schriftstelle: "Sechs Tage gibt es, an denen man arbeiten darf; an denen kommt
und lasst euch heilen, aber nicht am Sabbat!" Der Wächter über Zucht und Ordnung
in der Synagoge ist emört über diese Schändung des Sabbat - und das Gesetz ist
wohl auch auf seiner Seite. Und doch ist es für ihn nur ein Vorwand. Er sieht
weder die geheilte Frau, noch sieht er den Erlöser und Herrn, sondern er wird
von Zorn und vielleicht auch Neid gepackt. Uns geht es tatsächlich oft genauso.
- Die "Tempelordnung" läuft Gefahr, ausgehebelt zu werden. Das "Typikon" wird
missachtet. Altes Recht und älteste Bräuche sind in Gefahr. Leichtsinn und
Unordnung herrschen in der Kirche Christi... Alles das mag stimmen, alles das
mag bedacht werden. Doch wirklich wichtig ist zuallererst: Der Herr und Erlöser
der Menschen heilt hier und jetzt durch Sein sakramentales Tun, das zwar nicht
rubrikengemäß ist, aber das die Fülle aller Tradition und Gesetzmäßigkeit in
sich trägt. Und das ist tatsächlich auch orthodoxe Lehre: der Blick über die
äußerlichen Kanones hinaus auf das Wesen des sakramentalen Handelns. "Diese
Tochter Abrahams, die der Satan schon achtzehn Jahre lang gefesselt hielt,
musste sie nicht am Sabbat von dieser Fessel befreit werden?" Der Herr antwortet
uns exakt und mit Akribie: Seine Heilung ist der Sieg über die Fesseln Satans.
Dieser "Verwirrer", der uns alle in Atem hält, musste gerade am Sabbat seine
Niederlage entgegennehmen. Bei uns scheinen nur solche recht groben Winke mit
dem Zaunpfahl - wenn überhaupt - Wirkung zu zeigen. Und wie lange kann man nicht
brauchen, um diese längst und nur zu gut bekannte Perikope so zu verstehen? Dass
all das, was uns trennt und immer mehr trennt, weil es scheinbar gegen das
Gesetz und gegen die Kanones ist (und zwar auf allen Seiten!!!), nur deshalb
trennen kann, weil wir nicht auf den Erlöser blicken, sondern auf das, was um
ein Vielfaches kleiner und sogar erbärmlicher ist als Er. Wohlgemerkt: Es geht
hier nicht um die Abschaffung oder Verwässerung der Kanones, des Typikons oder
der Kirchengesetze! Nichts weniger als das will die Perikope ausdrücken. Denn
Christus sagt eindeutig und mit klaren Worten: "... musste sie nicht am Sabbat
von dieser Fessel befreit werden?" Der Sabbat, der hier für all das steht, was
uns äußerlich als Kirche zusammenhält und trägt, ist absolut unerlässlich für
diese Heilung, denn erst mittels dieser äußeren Form wurde der Satan wirklich
besiegt, da der Erlöser auf das Wesentliche hingewiesen hat: die Liebe in ihrer
Vollform. Deshalb klingt der letzte Satz der Perikope wie das Finale einer
Synphonie: "Als Er dies sagte, wurden alle Seine Widersacher beschämt, und das
ganze Volk freute sich über alles Herrliche, was durch Ihn geschah." Wir, die
Widersacher, und wir, die Kirche, sollten uns schämen, wenn wir das Gute aus dem
Blickwinkel des "Verwirrers" vorgegaukelt bekommen und es nicht als solches
erkennen (wollen?). Denn eigentlich dürfen wir uns aufrichtig freuen über die
Wunder Christi, die jeden Tag vor unseren Augen geschehen. Es ist ein
Evangeliumsabschnitt gegen Kurzsichtigkeit in all ihren Formen!
Labels:
christliches Leben,
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