Iwan S. Schmeljow
Photo: Wikipedia
Der 1950 in Frankreich gestorbene russische Schriftsteller Iwan Sergejewitsch Schmeljow besitzt ein ausgesprochenes Talent, die religiösen Stimmungen und das Drumherum in seiner Heimat, im alten Rußland nachzuerzählen. "Wanja im heiligen Moskau" ist ein autobiographischer Roman, der in den achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts in Moskau spielt. Rudolf Karmann hat dieses Werk aus dem Russischen ins Deutsche übertragen. Anläßlich des "Karnevals" und anläßlich der "Butterwoche" soll hier ein Ausschnitt folgen, den es zu genießen gilt!
„Eine riesige Tafel. Was da nicht alles drauf war! Fische und nochmals Fische… Kaviarspeisen in Kristallschalen auf Eis, Seeforellen auf Petersilie, roter Lachs, Perlmuttersalm mit grünen Gurkenäuglein, Klumpen von Fischrogen und Käse, Störknorpel in Essig, Porzellanvasen mit saurer Sahne, in der Löffel staken, rosa Butterdosen mit kochender goldig-schimmernder Butter – über Spiritusflämmchen, kleine Karaffen und Flaschen… Da sah man schwarze Röcke, weiße und strohgelbe Schals, Zierkämme, die in den Haaren getragen wurden, Kopfputz aus Spitzengewebe…
Man trägt die Bliny auf, unter einer Decke.
„Eure Eminenz!...“
Der hagere, strenge Archijerej – wie es heißt, fastet er schon! – isst wenig und bescheiden. Der Protodiakon, der ihm gegenübersitzt, wirkt wie ein ungeheurer Koloß. […] Butter trieft in den Kaviar und in die saure Sahne. Trieft von den weichen himbeerroten Lippen des Protodiakons auf seinen schütteren Spitzbart hernieder.
„Eure Eminenz… Fischpiroggen zur Fischsuppe gefällig?“
„Ach, wir Bauchdiener… Wahrhaftig, eine wunder-bare Fischpirogge!“ klingt es in der Stille wie ein Flüstern von den welken Lippen des Archijerej.
„Das sind die hochberühmten Rasstegajs Garankas, Eure Eminenz, in ganz Moskau bekannt!“
„Hab’ schon davon gehört… Der Herrgott hat uns ein Talent zu unserer Versuchung geschickt!... Ein wun-der-barer Rasstegaj…“
„Gestatten Eure Eminenz… noch mehr zuzulangen?“
„Lobpreise und segne, Hochwürdigster Herr…“, ruft eben, eine Pastete abbeißend, der Protodiakon und wirft die Haarsträhnen mit seiner Pranke zurück.
„Na-na, mach nur du deinen Mund auf, Protodiakon, und stimm’ das Danklied an…“ entgegnet freundlich der Hochwürdigste. „Schnauf dich erst etwas aus…“ […]
Der Protodiakon stimmt den Lobpreis an: seine Stimme dröhnt so gewaltig, dass die Lampen schier erlöschen und die Fensterscheiben bersten. Sein Gesang kommt aus der Tiefe, wo bei ihm, wie mir scheint, jetzt die Bliny knurren. Seine Haare sträuben sich unter dem Gebrülle. Die Weingläser, aus denen Lafitte getrunken wird, wackeln und klirren leise. Es zittern die Kristalle an den Lüstern, die Scheiben vibrieren. Am Halse des Protodiakons schwillt und zuckt eine Ader, ein Löffel rutscht in die saure Sahne hinein… ich spüre, wie sich meine Brust beklemmt und mir fast das Trommelfell platzt. Um Gottes willen, die Decke wird gleich herunterkommen!
„Eurer Hochwürden und der ganzen heiligen Kirche… und dem verehrten Hause…Vie-le…Ja-a-a-a-h…re-e-e!!!...“
Das Klavier gab einen dumpfen Laut von sich, im Winkel erlosch das Öllämpchen vor der Ikone!... Messer und Gabeln fallen. Die Weingläser klirren. […] Der Protodiakon ist ganz in Glut und Dampf gebadet. Er hockt auf drei Stühle nieder und trinkt Kwaß. Auf die Fischsuppe und die Fischpiroggen folgen Bliny und wiederum Bliny. Bliny mit Fülle. Danach Fischgallert und abermals Bliny, jetzt schon mit doppelter Fülle. Dann gibt’s gedämpften Stör und Bliny mit Zutat…
Anmerkungen zum besseren Textverständnis: In der „Butterwoche“ gibt es keine Fasttage am Mittwoch und Freitag, obwohl der Fleischgenuss der kommenden Fastenzeit wegen schon untersagt ist. Die russische „Karnevalswoche“ soll vor der vierzigtägigen Fastenzeit die Vorfreude auf Ostern wach halten.
Bliny sind russische Hefepfannkuchen, die in zahlreichen Varianten aufgetragen werden, herzhaft und süß.
Das Russische hat die griechische Bezeichnung für Bischöfe übernommen: Der Archijerej ist ein bischöflicher Gast an Schmeljowas Festtafel.
Der Protodiakon, ein besonders ausgezeichneter Diakon, übernimmt bei der Festtafel (wie während der Gottesdienste) einen großen Teil des Gesangparts des Tischgebets etc.
Piroggen sind ein Teiggebäck mit verschiedenen Füllungen, meist in Taschenform gebacken.
Ein Rasstegaj ist eine spezielle Piroggenart.
Die übliche Aufforderung zu einer Danklitanei mit abschließender Bitte um Wohlergehen lautet: „Auf viele Jahre!“.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen